Vom Antlitz Gottes und vom Mitbauen an seinem Reich

Christus

Christkönigssonntag: Ezechiel 34, 11–17 und Mt 25, 31–46

Im Festgedanken Christkönig eingeprägt ist die Suche nach dem menschlichen Antlitz Gottes in Jesus, dem Christus, und das Mitbauen an seinem Reich. Ein zur Zeit 1950 neues Christus-Bild, das Roland Peter Litzenburger geschaffen hat, begleitet die vorliegenden Gedanken.1 Zu seinem Aquarell notierte der Künstler: «Hineinschreiben in die Materie, das war es, was ich wollte; in das Fleisch ein Zeichen setzen; besser: inkarnieren. Und noch bevor Tinte und Tusche erstarrten, schrieb ich das Antlitz hinein.» Damit setzte Litzenburger einen Anfang, dem unzählige weitere berührende und ungewohnte Christus-Bilder folgten, erfüllt von besonderer Menschlichkeit.

Günter Biemer schrieb zum Bild des «Blauen Christus», es sei aus einem «horror vacui», der «Angst vor dem Leeren, das unbeschriebene Blatt zu verletzen» entstanden. Kurz nach Bezeichnung mit Tinte und Tusche zerflossen beim Aquarellieren die Farben weich … Darin schrieb er ein Antlitz hinein und «wollte in das Fleisch ein Zeichen setzen».

«Menschen seid ihr – ich aber euer Gott»

Auf den ersten Blick hat diese Darstellung mit dem Bild des Hirten, von dem das Buch Ezechiel erzählt, wenig zu tun. Eher zeigt es ikonenartig die Segenshand einer Christus-Figur im Gewölbe orientalisch-orthodoxer Kirche. Unter den Völkern im Vorderen Orient war das Hirt-Sein eine Eigenschaft für den König wie für Gott. Der biblische Text gibt nun dem Bild vom Hirten mit Absicht klärenden Schwung. Vorher werden die schlechten Hirten beschrieben, die sich selber weiden, die Herde ausbeuten und alles an sich reissen. Sie seien solche, die die Schwachen nicht gestärkt, das Kranke nicht geheilt, das Verletzte nicht verbunden, das Verirrte nicht zurückgebracht, das Verlorene nicht gesucht haben (Ez 34, 4). Die guten Hirten machten es umgekehrt.

Die Hirten Israels, seine Könige und die Führungsschicht haben versagt und das Volk ausgebeutet, anstatt für Recht zu sorgen. Darum ist über sie das Gericht gekommen. Jerusalem fällt im Jahr 587 v. Chr. Die Bevölkerung wird verschleppt. Jetzt will Gott selbst für sein Volk der gute Hirte sein. Wie dann Gott als ein solcher tätig ist, braucht die Textstelle andere als die uns gewohnten Bilder. Nach dem hebr. und lat. Text lautet der Schluss: «Ihr aber seid meine Schafe, Schafe meiner Weide, Menschen seid ihr – ich aber bin euer Gott.» (V. 31) Gott und Mensch kommen in nahe Beziehung. Gott zeigt sich nicht als strafender Richter der Endzeit oder Wesen ferner Welten. Eher als jener, den Bertold Brecht 1945 in seiner Parabel «Der Städtebauer» schildert.

Der Freundliche

«Als sie die Stadt gebaut hatten, kamen sie zusammen und führten einander vor ihre Häuser und zeigten einander die Werke ihrer Hände. Und der Freundliche ging mit ihnen, von Haus zu Haus, den ganzen Tag über, und lobte sie alle. Aber er selber sprach nicht vom Werk seiner Hände und zeigte keinem ein Haus. Und es ging gegen Abend, da auf dem Marktplatz trafen sie sich wieder alle und auf einem erhöhten Brettergerüst trat jeder hervor und erstattete Bericht über die Art und Grösse seines Hauses und die Baudauer, damit man herausfinden konnte, welcher von ihnen das grösste Haus gebaut hatte, oder das schönste und in wie viel Zeit.

Und nach seiner Stelle im Alphabet wurde auch der Freundliche aufgerufen. Er erschien unten, vor dem Podium, und einen grossen Türstock (= Türrahmen) schleppend. Er erstattete seinen Bericht. Dies hier, der Türstock, war, was er von seinem Haus gebaut hatte. Es entstand ein Schweigen. Dann stand der Versammlungsleiter auf. «Ich bin erstaunt», sagte er, und ein Gelächter wollte sich erheben. Aber der Versammlungsleiter fuhr fort: «Ich bin erstaunt, dass erst jetzt die Rede darauf kommt. Dieser da war während der ganzen Zeit des Bauens überall, über dem ganzen Grund und half überall mit. Für das Haus dort baute er den Giebel, dort setze er ein Fenster ein, ich weiss nicht mehr welches, für das Haus gegenüber zeichnete er den Grundplan. Kein Wunder weiter, dass er hier mit einem Türstock erscheint, der übrigens schön ist, dass er aber selber kein Haus besitzt. In Anbetracht der vielen Zeit, die er für den Bau unserer Häuser aufgewendet hat, ist der Bau dieses schönen Türstocks ein wahres Wunderwerk, und so schlage ich vor, den Preis für gutes Bauen ihm zu erteilen.»2

Geschwister des Weltenrichters

Die brechtsche Parabel zeigt neben dem Willen, durch vereinte Kräfte Gemeinsames zu bauen, die helfende Hand des «Freundlichen», der seinen Mut zum Dienen radikal lebt und zum Aussenseiter wird. So gesehen rücken auch ‹die geringsten Brüder› im vielbesprochenen Traditionsstück von Mt 25 in den Blick: «Die Menschenwelt als ganze wird vor dem Weltenrichter versammelt» und die Geschwister des Weltenrichters erfahren an sich selber die «Trostrede, ... Stiftung von neuem Vertrauen in der Drangsal der Differenzerfahrung».3

 

 

 

1 Vgl. Jesu Weg – unser Weg, Texte aus dem Markus-Evangelium, hrsg. v. den evang. und kath. Bibelwerken und Bibelgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz, vergr. o. J., 70–71 u. Günter Biemer: Kunst in der Katechese: R. P. Litzenburger (1917–1987). Vgl. auch www.guenterbiemer.de/cat/litz.htm

2 Vgl. Manfred Finger: Unser König, In: Gottes Wort im Kirchenjahr 2008, Lesejahr A, Bd. 3, 263 f. mit leicht abgeänderter Fassung der Geschichte von Brecht: Der Städtebauer. Geschichten und Anekdoten 1919–1956, Leipzig 1978. Interpretationsvorschlag http://hausaufgabenweb.de/deutsch/interpretation/staedtebauer/

3 Vgl. Egon Brandenburger: Das Recht des Weltenrichters. Unters. Zu Mt 25, 31–46, Stuttgart 1980 (Zitate 129 u. 136).


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)