Versöhnt mit der Beichte?

Wenn Jesu Aufruf «Kehrt um und glaubt an das Evangelium!» (Mk 1,15) in der Kirche nicht mehr gelebt und existenziell vollzogen wird, fehlt ihr etwas sehr Wesentliches.

Wenn ich in eine katholische Kirche komme, fällt mein Blick oft auf die Beichtstühle. Immer wieder sind es schön geschnitzte Kunstwerke; in neueren Kirchen wirken sie eher funktional. Nicht nur einmal aber habe ich besondere Entdeckungen gemacht, als ich die Tür zum Beichtstuhl öffnete: So mancher wurde zur Kinderspielecke, zum Materiallager oder zur Putzkammer umfunktioniert. Als «Putzkammer» für das innere Leben wird er offenbar nicht mehr benötigt, denn das Busssakrament ist in vielen Pfarreien der Schweiz, in Österreich und Deutschland fast völlig ausgestorben. Viele Christinnen und Christen empfinden eine Fixierung der Pastoral auf Sünden, zumal auf Sexualmoral, zu Recht als unchristlich. Einen letzten Todesstoss hat der Beichte wohl das Aufdecken spirituellen Missbrauchs gegeben, der in den letzten Jahren zusätzlich zum Skandal sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche ans Tageslicht kam: Menschen öffneten sich in so persönlichen, geschützten Räumen wie Beichte und geistlichen Gesprächen und wurden vom Gegenüber verletzt, ja missbraucht.1

Neu entdeckt und bleibend umstritten

Trotz allem gibt es die Beichte noch, und sie wird von einigen, durchaus auch jüngeren Gläubigen wirklich als Sakrament der Versöhnung empfunden. Es gibt eine Nachfrage in städtischen Beichtkirchen und an geistlichen Zentren. Nicht wenige junge Christinnen und Christen erleben auf internationalen katholischen Jugendevents oder im Kontakt mit Katholiken aus anderen Kulturen eine Beichtpraxis, die für sie teils fremd, teils aber so faszinierend ist, dass sie es auch selbst einmal versuchen. Nicht zuletzt hat in evangelischen Kirchen das Interesse an der persönlichen Beichte zugenommen. Luther hatte sie als drittes Sakrament neben Taufe und Abend- mahl durchaus akzeptiert, lange Zeit aber wurde sie nicht praktiziert. Nun entdeckt man sie in verschiedenen evangelischen geistlichen Kommunitäten und Kirchen wieder.2

Es gibt auch umstrittene Entwicklungen: Als manche katholischen Bistümern zur Hochphase der Coronavirus-Pandemie die Generalabsolution erlaubten, waren viele Seelsorgende skeptisch: Zwar bleiben einem damit das Infektionsrisiko im persönlichen Gespräch und das unangenehme Sündenbekenntnis erspart. Aber könnte dies nicht zu einem problematischen Automatismus der Gnade ohne existenzielle Umkehr führen? Ein anderes, immer wieder diskutiertes Thema ist das der Laienbeichte, die bis zum Konzil von Trient im 16. Jahrhundert in besonderen Fällen erlaubt war. Könnte man nicht auch heute angesichts des Priestermangels bei anderen qualifizierten Seelsorgenden das Sakrament empfangen? Manche Themen lassen sich vielleicht besser bei einer verheirateten Person oder bei einer Frau ansprechen, die zudem etwa während der Begleitung von Exerzitien menschlich viel näher ist als ein Priester im Beichtstuhl.

Warum Sünden bekennen?

Wie werden Bekenntnis, Busse und Versöhnung zu einem Sakrament? Im klassischen Verständnis braucht es dazu die Materie einer schweren Sünde, die vor einem Priester mit Beichtbefugnis zu bekennen ist. Bereits die Reue, also der Schmerz über die eigene Sünde angesichts der Liebe Gottes wirkt vergebend. Doch die Vergebung kann ich mir nicht selbst zusprechen: Das tut der Priester im Auftrag der Kirche mit der Formel der Lossprechung. Die Busse, die man schliesslich vereinbart, soll die Umkehr in ersten Schritten in die Tat umsetzen: zum Beispiel indem man sich im Gebet dankend wieder Gott zuwendet oder eine konkrete Wiedergutmachung leistet. Weil dieser Raum, in dem sich ein Mensch persönlich öffnet, so verletzlich ist, gilt das vom Priester streng einzuhaltende Beichtgeheimnis. Eine solche Beichte kann sinnvoll sein, um sich bewusst zu werden und vor Gott auszusprechen, was man falsch gemacht hat. Es ist gut, diese klassische Form kennengelernt zu haben, um bei Bedarf mit ihr vertraut zu sein. Dazu braucht es niederschwellige, auch anonym, ohne Anmeldung wahrzunehmende Beichtgelegenheiten. Es versteht sich von selbst, dass dies nur freiwillig geschehen und es keinen Zwang zur Beichte geben kann.

Viele Christinnen und Christen aber halten den damit verbundenen Sündenbegriff für zu eindimensional:3 Sie verstehen ihr Leben nicht nur als ein Erfüllen oder Missachten von Normen, sondern als ein komplexes Netz von eigenem und fremdem Handeln, in dem sie Konflikte erleben, mit dem Schicksal ringen, in Verstrickungen gefangen sind und ihre Schwäche wahrnehmen, die Dinge wirklich zu bessern. Dies alles kann nur in einem längeren Beichtgespräch, in regelmässiger geistlicher Begleitung oder bei Exerzitien ins Bewusstsein und zur Sprache kommen.4 Dann geht es nicht so sehr um ein Vergeben einzelner Sünden als vielmehr um Versöhnung: mit anderen, mit mir selbst und mit Gott. So wird Gottes Barmherzigkeit im menschlichen Leben zeichenhaft an mir selbst erfahrbar, und wir können Instrumente und Boten von Gottes Versöhnung in der Welt werden (vgl. 2 Kor 5,18–20). Zeichen und Instrument von Gottes Barmherzigkeit ist der theologische Inhalt des Begriffs Sakrament, der auf so einem Versöhnungsweg neu verständlich wird.

Umkehr als Grundmoment des Glaubens

Die persönliche Auseinandersetzung mit dem, was im Leben nicht gelingt, ist auch deswegen so wichtig, weil es eine Möglichkeit ist, den Glauben in der Tiefe der eigenen Existenz bedeutsam werden zu lassen. «Umkehr» ist die zentrale Ansage von Jesus und Grundmoment des Glaubens. Wenn es keinen Ort in der Kirche mehr gibt, wo dies existenziell vollzogen wird, fehlt etwas Wichtiges. Es geht nicht darum, wieder die Sünden ins Zentrum zu stellen. Insofern ist das lateinische Wort confessio für Beichte interessant doppeldeutig: Es bedeutet «Bekenntnis» und kann ebenfalls für das Bekenntnis des Glaubens stehen. Wenn jemand zum Sakrament der Versöhnung kommt, bekennt er oder sie noch viel mehr als die Sünden den eigenen Glauben! Es ist der Glaube, dass die Beziehung zu den Mitmenschen und zu mir selbst mit der Beziehung zu Gott zu tun hat und mein Tun und Lassen vor ihm relevant sind. Er ist mir barmherzig zugewandt und ich erkenne in dieser Liebe, wie ich von meinen falschen Wegen wegkomme. So entgegnet Jesus auf die Frage, wie er Sünden vergeben kann: «Dein Glaube hat dich gerettet!» (Lk 7,50). Diesen Glauben versucht zu stärken, wer z. B. vor Weihnachten oder Ostern zur Beichte geht: Ich möchte mein Leben wieder ordnen und mich so auf das Fest vorbereiten, dass Christus in mir selbst zur Welt kommen oder als Auferstandener auch mir begegnen kann.

Kreuz und Versöhnung neu erschliessen

Im christlichen Glauben beruht die Versöhnung, die im Sakrament wirksam wird, auf Zusammenhängen, die es neu zu erschliessen gilt:5 Obwohl wir als Menschen immer die Tendenz haben, uns von Gott abzuwenden, bleibt er uns gegenüber versöhnlich. Dass Jesus Christus als Sohn Gottes von uns Menschen gekreuzigt wurde, macht die menschliche Sündengeschichte auf das Äusserste sichtbar. Selbst unschuldig, nahm er diesen Tod auf sich, und sein Vater nahm diese Lebenshingabe an. Dies deutet der Apostel Paulus als Versöhnung, die Gott allen Menschen schenkt (vgl. Röm 5,6–11). Das neue Leben der Auferstehung möchte Gott nicht nur seinem Sohn, sondern allen geben, die er mit sich versöhnt hat. Diese Versöhnung mit ihm ist ein Geschenk.

Möchte ich entdecken, wie ich in Kreuz und Versöhnung involviert bin, könnte ich mich fragen, wie ich selbst dazu beitrage, dass Jesus auch heute noch ans Kreuz geschlagen wird: durch mein Ausgrenzen, mein Verurteilen und mein Wegschauen bei Unrecht, das geschieht. Denn «was ihr für einen meiner geringsten Brüder (nicht) getan habt, das habt ihr mir (nicht) getan» (Mt 25,40.45). Was das mit meinen Haltungen, Einstellungen, Beziehungen, meinem guten Wollen, aber auch meinem Scheitern zu tun hat – all das kann im Sakrament der Versöhnung zur Sprache kommen, weil ich weiss, dass Gott mir barmherzig entgegenkommt. Dafür die jeweils entsprechenden Formen zu finden, ist eine wichtige Aufgabe heutiger Theologie und Pastoral.6

Bernhard Knorn

 

1 Vgl. Reisinger, Doris, Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg 2019.

2 Vgl. Prüller-Jagenteufel, Gunter / Schliesser, Christine / Wüstenberg, Ralf K. (Hg.), Beichte neu entdecken. Ein ökumenisches Kompendium für die Praxis (Kontexte 45), Göttingen 2016.

3 Vgl. Rosenberger, Michael, Frei zu vergeben. Moraltheologische Überlegungen zu Schuld und Versöhnung, Münster 2019.

4 Vgl. Körner, Bernhard (Hg.), Geistliche Begleitung und Busssakrament. Impulse für die Praxis, Würzburg 2007.

5 Vgl. Knorn, Bernhard, Versöhnung und Kirche. Theologische Ansätze zur Realisierung des Friedens mit Gott in der Welt, Münster 2016.

6 Vgl. Demel, Sabine / Pfleger, Michael (Hg.), Sakrament der Barmherzigkeit. Welche Chance hat die Beichte? Freiburg 2017.

 


Bernhard Knorn

Dr. theol. Bernhard Knorn (Jg. 1980) ist Jesuit, Priester und Dozent für Dogmatik und Ökumenik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Er promovierte zum Thema «Kirche und Versöhnung». Seine weiteren Forschungsschwerpunkte sind Ekklesiologie und Ökumene sowie Jesuiten- und Theologiegeschichte. Er war in Forschung und Seelsorge tätig in Südsudan, den USA sowie in Kolumbien und Kuba. (Bild: Angelika Zinzow)

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

Dokumente