Unterschreiben oder nicht unterschreiben?

Der zermürbende Druck auf die Untergrundkirche Chinas nimmt zu. Präsident Xi Jinpings Ideal der Sinisierung zielt auf die totale Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche unter die kommunistische Partei Chinas.

Wie die meisten seiner Kollegen quält sich der junge Priester der sogenannten «Untergrundkirche» in China schon Jahre mit der Frage: Soll er das «Übertrittsformular» zur staatlich anerkannten, «offiziellen» Kirche unterschreiben oder nicht? Jetzt aber wird eine Entscheidung besonders dringlich. Aus seinem Heimatort kam die Aufforderung der lokalen Verwaltung, der Einheitsfront der Kommunistischen Partei und der Sicherheitsbehörden, er solle zeitnah zu einem Gespräch kommen. Es ist klar: Sie wollen ihn zwingen, die Untergrundkirche zu verlassen und zur offiziellen Kirche überzutreten. Dazu muss er sich als Priester registrieren lassen und dabei schriftlich versprechen, der Führung der Kommunistischen Partei Chinas zu gehorchen, mitzuhelfen, den «Sozialismus mit chinesischen Charakteristika» aufzubauen und allen «Vorschriften für die Verwaltung religiöser Angelegenheiten» zu folgen. Zudem muss er der von Rom als mit der katholischen Lehre nicht zu vereinbarenden «Patriotischen Vereinigung», dem politischen Bindeglied von Partei und Kirche, gehorchen und folgen, wie auch der von Rom nicht offiziell anerkannten Bischofskonferenz Chinas.

Schlimmer noch: Er muss unterschreiben, den Grundsatz der «Unabhängigkeit und Selbstverwaltung» einzuhalten und sich für die Autonomie der «chinesischen katholischen Kirche» (d. h. ihrer Loslösung von der «römisch-katholischen Kirche») einzusetzen. Diese Forderung ist wohl die wichtigste und schwerste Hürde für die Untergrundkirche, sich registrieren zu lassen und somit der offiziellen Kirche beizutreten. Für ihre Treue zum Papst und zur Weltkirche haben Bischöfe, Priester, Ordensschwestern und Laien lange Jahrzehnte viel gelitten: Verfolgung, Gefängnis, Hausarrest, Bedrohungen, Schikanen usw. Die Gläubigen können einfach nicht verstehen, wie man – wie gefordert – «Autonomie» anstreben soll und zugleich dem Papst und der Weltkirche treu bleiben kann.

Zunehmender Druck

Um ein strukturiertes und öffentliches Glaubensleben mit einer den Umständen angepassten möglichst guten Seelsorge aufrechterhalten zu können, nehmen die Amtsträger der offiziellen Kirche diesen Spagat auf sich oder finden Wege, sich ohne dieses schriftliche Versprechen registrieren zu lassen. Aussagen der letzten Päpste ermutigen zudem zu mehr Annäherung und engerer Zusammenarbeit der Kirche mit dem Staat.

Der Druck der Behörden auf die Untergrundkirche wird immer grösser und zermürbender. Der Text des historischen, 2018 unterzeichneten vorläufigen Abkommens zwischen China und dem Vatikan über die Ernennung von Bischöfen ist immer noch geheim und ermöglicht damit chinesischen Behörden, fälschlich zu behaupten, der Papst habe doch der Religionspolitik der Kommunistischen Partei zugestimmt, die Untergrundbischöfe und -priester sollten dementsprechend gefälligst unterschreiben.

Rom muss hilflos mitansehen, wie Bischof Cui Tai, Bischof Zhang Weizhu, Bischof Shao Zhumin u. a. immer wieder festgenommen, verschleppt oder unter Hausarrest gesetzt werden. Priester verschwinden spurlos. Allein in der Diözese Baoding wurden zwischen Januar und Juni 2022 mindestens zehn Priester der Untergrundkirche entführt.

Dies alles beunruhigt auch unseren jungen Priester. Zur Verzweiflung treiben ihn jetzt aber einige «Hinweise» der lokalen Behörden, dass sein Bruder doch ein gutgehendes kleines Geschäft aufgebaut habe, eine schöne Wohnung besässe.

Wie bedauerlich es doch wäre, wenn dieser keine Lizenz mehr erhalten und alles verlieren würde, weil bekannt würde, dass sein Bruder «illegale religiöse Aktivitäten» durchführe. Einen seiner Studienkollegen hatte man vor dem Krankenhaus, in dem dessen krebskranker Vater im Sterben lag, abgefangen und ihm gesagt, er könne seinen Vater besuchen, aber zuerst müsse er das «Übertrittsversprechen» unterschreiben. Den Vater vor seinem Tod noch einmal zu sehen, ist eine wichtige Forderung chinesischer Pietät. In seiner Verzweiflung unterschrieb er dann in letzter Minute.

Sorgen und Fragen treiben unseren jungen Priester um: Wenn er unterschreiben würde, würden seine treuen Gemeindemitglieder, die grosse Risiken auf sich nehmen, sich oft schon morgens vor vier Uhr geheim zur Heiligen Messe zu treffen, ihm Verrat vorwerfen? Würden seine «Priester-Eltern» das Gesicht verlieren? Würde seine Unterschrift auch weitere Mitbrüder ermutigen, zur offiziellen Kirche überzutreten? Wie immer versucht er, Ruhe im Gebet zu finden und wartet auf einen Hinweis, was der Wille Gottes sei.

Auswirkungen der Sinisierung

Die Situation der Kirchen in China ist von Provinz zu Provinz verschieden, aber Überwachung und Unterdrückung werden fast überall grösser und betreffen nicht nur die Untergrundkirche, sondern auch die offizielle Kirche. Eine Unmenge von Vorschriften engt die in der Verfassung verankerte Glaubensfreiheit und damit die pastoralen Möglichkeiten der Kirche mehr und mehr ein. Der Kommunistischen Partei reicht es nicht, die Religionen – wie auch die gesamte Gesellschaft – zu kontrollieren, immer mehr möchte sie auch auf die Inhalte der Religionen Einfluss nehmen und sie der kommunistischen Ideologie unterordnen. Sie will die religiösen Amtsträger verpflichten, ihren Gläubigen die Denkweise des doch eigentlich atheistischen Marxismus und die Politik der Partei nahezubringen: «Die Partei hören, der Partei danken und der Partei folgen» ist der in China allgegenwärtige Slogan.
Präsident Xi Jinpings Ideal der «Sinisierung» (Chinesisch-Werden, Chinesisch-Machen) fördert zu Recht die grossartige chinesische Kultur und Geschichte, aber das vorrangige Ziel der «Sinisierung» aller gesellschaftlichen Bereiche ist die totale Unterordnung unter die Führung der Kommunistischen Partei Chinas, genährt und befeuert von einem immer stärker werdenden Nationalismus. Zum Schutz gegen die Einflüsse des Westens mit ihrem völlig «falschen Verständnis» von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat will Xi Jinping möglichst das Denken der Chinesen formen und kontrollieren. Damit die Jugend nicht «verdorben» wird, ist es folglich seit 2018 streng verboten, Minderjährige mit Religion in Kontakt treten zu lassen. In vielen Provinzen wird dies strikt implementiert. In anderen Teilen Chinas sind noch Sonntagsschulen möglich. Vor allem die beliebten und für die Kinderpastoral so wichtigen Ferienlager scheinen, wie auch viele andere Jugendaktivitäten, landesweit verboten. Fast alle christlichen Waisenheime wurden geschlossen, ebenso einige (alle?) der sogenannten «kleinen Seminare», früher die Hauptquelle der Priesterberufe. «Sie nehmen uns unsere Zukunft; mit der Jugend nehmen sie uns die Beine zum Laufen …», meinte ein katholischer Priester.

Gegenwärtig wird das gesamte Internet, auf dem sehr viel religiöse Kommunikation und Information stattfand, unter noch striktere Kontrolle gestellt. Nur unter Aufsicht der Partei durch extra dafür geschultes Personal dürfen lizensierte und registrierte Internetdienste noch öffentlich religiöse Inhalte anbieten. Im Innenbereich der Kirchenmauern können erwachsene Christen durchaus ein lebendiges Gemeindeleben führen und sogar evangelisieren. Ausserhalb der Kirchenmauern aber sind missionarische («Proselytismus») oder andere religiöse Akte generell verboten. Nicht gemeldete religiöse Aktivitäten an nicht registrierten Orten oder durch nicht registrierte Geistliche (z. B. Untergrundpriester) sind illegal und werden mit sehr hohen Geldbussen bestraft. So ist das finanzielle Risiko einfach viel zu hoch, um ein Kirchenleben im Untergrund führen zu können. Der Käfig des Glaubenslebens in China wird immer enger.

Mit Bewunderung ist zu beobachten, wie unsere chinesischen Glaubensschwestern und -brüder in beiden Gemeinschaften der katholischen Kirche unter all diesen Schwierigkeiten kreativ nach Lösungen suchen, den Glauben und ein lebendiges Gemeindeleben zu erhalten und zu stärken. «In der Kulturrevolution haben wir viel Schlimmeres erlebt», trotzen einige. «Und seht: wir sind stärker und zahlreicher als zuvor!» Möge ihre Stärke, Treue und vor allem ihre Hoffnung unseren schwankenden Kirchen in Europa ein Zeichen des Mutes und des Kampfgeistes für das Evangelium sein.

P. Martin Welling


Martin Welling

P. Martin Welling SVD (Jg. 1955) ist Steyler Missionar. Er war lange in Taiwan tätig und ist seit 2012 Direktor des China-Zentrums e. V. in Sankt Augustin (D). Getragen von den grossen katholischen Hilfswerken Deutschlands, europäischen Missionsorden und Diözesen fungiert das Zentrum als eine Brücke zu China, vor allem seinen Christen und Religionen. Es fördert Information, Austausch und Begegnung im Kontext von «Die Kommunistische Partei Gesellschaft und Kultur.