Die Geschichte des Christentums in China setzt mit der Gründung von Gemeinden der Assyrischen Kirche des Ostens während der Tang-Dynastie (617/18–907) ein. In der früheren Literatur wird diese Form des Christentums noch unzutreffend als «nestorianisches Christentum» bezeichnet. Demgegenüber setzt sich heutzutage in der Forschung zunehmend deren historische Selbstbezeichnung durch – die «Leuchtende Lehre» (Jingjiao).
Die «Leuchtende Lehre» (7. Jahrhundert)
Ihre Verbreitung folgte den regen Handelsbeziehungen entlang der Seidenstrasse, über die Christinnen und Christen aus dem Nahen Osten und Zentralasien, v. a. Syrien, Persien und Sogdien (ein Reich, das Teile des heutigen Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan umfasste) nach China gelangten.
Entsprechend der grossen religiösen Diversität in dieser Region integrierte die Jingjiao auch manichäische und buddhistische Elemente in ihre Texte und Ikonografie. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Kombination des Kreuzes mit dem Lotus, einem buddhistischen Symbol der Reinheit, z. B. auf der «Stele von Xi’an» aus dem Jahr 781. Dieses Denkmal beschreibt die Geschichte der Verbreitung der Jingjiao in China: Demnach erhielt die Lehre im Jahr 635 die Protektion des zweiten Kaisers der Tang-Dynastie, Taizong (d. i. Li Shimin, Regierungszeit 626–649). Da sie kaum missionarisch tätig waren, blieben die assyrisch-christlichen Gemeinden stark persisch und sogdisch1 geprägt. Ihre Spuren verlieren sich im 13. Jahrhundert, als diese Gruppen in der han-chinesischen Mehrheit aufgegangen waren. Auch die Stele von Xi’an ging bald nach ihrer Errichtung verloren und wurde erst im Jahr 1625 bei Ausgrabungen wieder entdeckt. Sie erhielt eine besondere Bedeutung als historisches Zeugnis, da sie von den zu dieser Zeit missionarisch tätigen Jesuiten als Beleg der frühen Verwurzelung des Christentums in China herangezogen wurde.
Der polnische Jesuit P. Michał Boym (1612–1659) erstellte mithilfe des Konvertiten Andreas (Zheng Andelei, ca. 17. Jh.) eine Abschrift des Stelentextes und verfasste die erste lateinische Übersetzung, die sein Ordensbruder Athanasius Kircher (1602–1680) in seinem monumentalen Werk «China Illustrata» (1667) übernahm.
Neuanfang (16. Jahrhundert)
Von einer Kontinuität des Christentums in China kann man tatsächlich erst ab der katholischen Mission des 16./17. Jahrhunderts sprechen. Federführend waren zunächst die Jesuiten: 1582 gelangten die Patres Michele Ruggieri (1543–1607) und Matteo Ricci (1552–1610) nach China.
Ricci erreichte 1601 die Hauptstadt Peking und prägte die frühe Missionsstrategie in China wesentlich. Er folgte dabei der Akkommodations-Methode, die Alessandro Valignano S. J. (1539–1606) für die Asienmission postuliert hatte: Die Jesuiten sollten sich den einheimischen Traditionen anpassen, sofern dies nicht zentralen Glaubenssätzen widersprach. So umwarb Ricci gezielt die Elite der Gelehrtenbeamten; er konnte mit gewissem Erfolg Kontakte zu dieser Schicht knüpfen und einige von diesen zur Konversion bewegen, wie z. B. den ranghohen Beamten Xu Guangqi (1562–1633, Taufname Paulus). Dazu stellte er das Christentum als eine Religion vor, die mit dem traditionellen Konfuzianismus kompatibel war und ihn ergänzte. Riccis Einführung in das Christentum, «Tianzhu shiyi» (Die wahre Bedeutung des Herrn des Himmels, 1603), präsentierte diese Religion als Fortführung einer monotheistischen Tradition, die er auch in Schriften des konfuzianischen Kanons, wie dem «Shijing» (Buch der Lieder) oder dem «Shujing» (Buch der Urkunden), angelegt sah. Entsprechend waren er und seine Nachfolger bereit, dort verwendete Termini wie tian (Himmel) oder shangdi (Höchster Herr) als Übersetzungen für «Gott» zu übernehmen.
Demgegenüber konzentrierten sich die Vertreter der traditionellen Bettelorden, der Dominikaner und der Franziskaner, die in der Peripherie, vor allem in Südchina, missionierten, auf die Evangelisierung durch öffentliche Predigten. Sie wandten sich stärker an marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die einer Konversion gegenüber aufgeschlossener waren als Mitglieder der Elite. Die Auseinandersetzungen zwischen Dominikanern und Jesuiten über die korrekte Missionsmethode, v. a. die Frage des Umgangs mit dem Ahnenkult, führten zum sogenannten «Ritenstreit» im 17. Jahrhundert: Die Jesuiten deuteten ihn als rein sozialen Ritus, als Praxis der kindlichen Pietät (xiao), einer der höchsten konfuzianischen Tugenden und Grundlage der gesamten soziopolitischen Ordnung, und duldeten ihn. Für Dominikaner und Franziskaner handelte es sich jedoch um einen religiösen Ritus, bei dem die Ahnen um Interventionen zugunsten der Familie gebeten wurden, als solcher war er zu verbieten. Die Kurie folgte zunächst der Interpretation der Jesuiten, im 18. Jahrhundert setzten sich jedoch die Dominikaner durch: 1704 wurde Konvertiten die Teilnahme am Ahnenkult verboten, 1707 wurde das Verbot in China verkündet. Das Christentum galt dort in Folge als eine Irrlehre, die am Fundament der Gesellschaft rüttelte. Unter dem Kaiser Yongzheng (Regierungszeit 1723–1735) wurde daher 1724 die christliche Mission in ganz China verboten, ausländische Missionare wurden des Landes verwiesen. Katholische Gemeinden bestanden im Verborgenen weiter und wurden v. a. durch das Engagement der «Jungfrauen» (tongzhen, auch zhennü) getragen, freiwillig zölibatärer Laiinnen, die als Katechetinnen, Predigerinnen und Täuferinnen aktiv waren.
Wiederanknüpfen und Kontextualisierung (19. und 20. Jahrhundert)
Ein neuer Kontakt zwischen den katholischen Gemeinden in China und der Weltkirche entstand durch die von Priestern der Missions Etrangères de Paris (MEP) einberufene Synode von Sichuan (1803). Auf dieser wurde die zentrale Bedeutung der «Jungfrauen» für die Kontinuität des Glaubenslebens anerkannt. Zugleich wurden ihren Aktivitäten jedoch verschiedene Beschränkungen auferlegt, um Konflikte mit der konfuzianisch geprägten Mehrheitsgesellschaft zu vermeiden: So waren die Jungfrauengelübde keine ewigen Gelübde, sondern mussten alle drei Jahre erneuert werden. Männer durften sie nur dann im katholischen Glauben unterweisen, wenn diese an der Schwelle des Todes standen.
Legal gelangten westliche Missionare erst Mitte
des 19. Jahrhunderts wieder nach China. Mit den «Ungleichen Verträgen» aus dem Ersten und Zweiten Opiumkrieg (1840–1842 bzw. 1856–1860) erzwangen Grossbritannien und andere westliche Grossmächte die Öffnung des Qing-Reiches; Ausländerinnen und Ausländer wurden der chinesischen Gerichtsbarkeit entzogen und durften sich auch jenseits der Vertragshäfen im Binnenland frei bewegen. Spezifische Privilegien für die katholische und protestantische Mission erwirkten Frankreich und die USA nach dem Zweiten Opiumkrieg, dazu gehörten die Aufhebung des Missionsverbots von 1724 sowie die Rückgabe katholischen Besitzes aus der Zeit vor dem Verbot. Letzteres traf auf heftige lokale Widerstände, z. B. dann, wenn die Gebäude inzwischen in Tempel umgewidmet worden waren. Bestimmte Praktiken wie der Unterhalt von Waisenhäusern durch katholische Missionsgesellschaften waren der Bevölkerung ebenfalls suspekt und erzeugten weitere Konflikte. Die relativ hohe Sterblichkeitsrate unter den geschwächten Schützlingen gab Gerüchten Nahrung, Missionarinnen und Missionare würden die Kinder aktiv töten. Drastisch illustrierte Flugschriften fachten diese Gerüchte noch an, um Übergriffe auf kirchliche Einrichtungen zu provozieren, wie z. B. 1870 in Tianjin. Eine weitere Hypothek für das Christentum in China war der Taiping-Aufstand unter Führung des «Himmelskönigs» Hong Xiuquan (1814–1864), eine Bewegung, die Teile der christlichen Lehre mit volksreligiösen Elementen vereinte.
Allerdings war das Christentum auch in den Modernisierungs-Debatten der intellektuellen Elite des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sehr gegenwärtig: Vor allem protestantische Missionare wie Young J. Allen (1836–1907), Herausgeber der «Wanguo gongbao – Chinese Globe Magazine», einer der ersten chinesisch-sprachigen Zeitungen mit einer internationalen Perspektive, gaben Impulse in den Debatten über soziopolitische Reformen in China. Eher negativ wurde das Christentum von intellektuellen Kreisen bewertet, die im Rahmen der «Neuen Kulturbewegung» von 1915 und der «4.-Mai-Bewegung» von 1919 rationalistische und naturwissenschaftliche westliche Diskurse rezipierten. Eine konzentrierte generelle Kritik an den Aktivitäten christlicher Gemeinschaften in China, v. a. der starken Präsenz von ausländischen Missionarinnen und Missionaren, stellte die «Anti-Christentums-Bewegung» von 1922 bis 1927 dar, eine Sammelbewegung von Anhängern der Kommunistischen Partei und der nationalistischen Guomindang bis zu religionskritischen Intellektuellen, die Gruppierungen wie den politisch sehr aktiven Young Men‘s Christian Association (YMCA)2 angriffen.
Innerkirchlich entwickelten sich Positionen, die für ein soziopolitisches Engagement der Kirchen bzw. ihre Indigenisierung plädierten: Yu Rizhang (1882–1936), Vorsitzender des YMCA Chinas, vertrat das wertkonservative Modell einer grundlegenden Transformation Chinas durch die moralische Erziehung der Bevölkerung. Der protestantische Theologe Wu Yaozong (1893–1979) legte einen stärkeren Schwerpunkt auf eine Kirche, die sich sozialer Fragen annimmt, was ihn schliesslich dazu führte, die Kommunistische Partei Chinas zu unterstützen. Auf der Ebene des geistlichen Personals begannen die katholische wie auch die protestantische Kirche ab den 1920er-Jahren die Ausbildung einheimischer Priester, Pfarrer und Katecheten zu fördern. In der katholischen Kirche gab das Apostolische Schreiben «Maximum illud» (1919) von Papst Benedikt XV. den Ausschlag hierzu. Auf protestantischer Seite erfolgte dies durch die Initiative chinesischer Pfarrer, die 1924 in Shanghai das National Christian Council als neues Leitungsgremium gründeten. Diese Aktivitäten leiteten im frühen 20. Jahrhundert in beiden Konfessionen den Übergang von Missionskirchen zu Landeskirchen ein.
Dirk Kuhlmann