Umgangssprache und spontane Gesten – der neue Stil des Papstes

Einfachheit und Verzicht auf alle Machtsymbole, Nähe zu den Menschen in Worten und Gesten – das ist typisch für den ersten Papst aus Südamerika. Zum «Bergoglio-Stil» passt ganz besonders seine Sprache. Allgemein verständlich, ohne schwierige theologische Begriffe, mit Appellen, die zu Herzen gehen. Die römischen «Vaticanisti», sprich: die Vatikanspezialisten der Medien in der italienischen Hauptstadt, die alle Auftritte von Franziskus aufmerksam verfolgen, meinen sogar: Dieser Papst spreche geradezu «Slang»! Nicht im negativen Sinn, sondern im Gegenteil – «Slang» als eine neue, populäre Art, den Glauben zu vermitteln und ausdrücklich allen Christen ihre Aufgaben einzuschärfen.

Was gehört zu diesem Gebrauch der Umgangssprache durch Franziskus? Effektvolle, einprägsame Aufrufe, Slogans, die Verwendung von populären englisch-amerikanischen «Brocken», ferner frei aus dem Spanischen ins Italienische übersetzte Begriffe – bis hin zu bildkräftigen Worten aus dem Dialekt der Hafenarbeiter von Buenos Aires, den der ehemalige Erzbischof der argentinischen Metropole sehr gut kennt.

Ein Exempel: Als Franziskus unlängst die Jugendlichen aufrief, nicht träge abseits zu stehen, sondern – wie einst Jesus Christus – bei den Ereignissen mitzumischen, da formulierte er, sie sollten nicht bloss «balconear». Anders gesagt, sie sollten keinesfalls nur wie von einem Balkon aus neugierig zusehen, sondern sich mutig ins Getümmel stürzen. Sie sollten Lärm schlagen, ja sogar «fare casino».

Im Italienischen bedeutet «casino» Unruhe, Krach, grosser Wirbel (doch nebenbei auch, was Franziskus wohl nicht beachtete: Bordell). Ein Papst, der diesen Begriff gebraucht – beispiellos! Aber ganz auf der Linie dieses Pontifex, der eben alle sprachlichen Register zieht, um laue Christen aufzurütteln. Wenngleich der Jesuit Jorge Mario Bergoglio ein hochgebildeter Mann ist, wirkt er bei seinen Ansprachen oft wie ein Grundschullehrer, der imstande ist, auch sehr schwierige Sachverhalte zu vereinfachen und somit verständlich zu machen.

Dabei spart er nicht mit Kritik sowohl am hochgestochenen Ton mancher Kleriker wie auch an jenen Priestern, die sich fälschlicherweise nur auf die Schäfchen in ihrer Pfarrei konzentrieren: Ihnen riet er ironisch, sie sollten keine Zeit damit verlieren, «den Schafen Lockenwickler zu verpassen».

Der «Bergoglio-Slang» (so der römische «Messaggero ») entsteht oft ganz spontan, wenn der Papst aus dem Stegreif spricht. Dann benützt er, wie erwähnt, schon mal anglo-amerikanische Begriffe. «Wir dürfen nicht Part-Time-Christen sein,» sagte er etwa. Oder: «Es gibt kein Christentum ‹low cost›.» Oder: «Der Glaube ist schliesslich kein Mix aus Bananen und Äpfeln.»

Besonders bei den Morgenmessen im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, wo Franziskus bekanntlich wohnt, redet er mitunter frei von der Leber weg. So kritisierte er die sauertöpfische Miene mancher Weltpriester und frustrierter Ordensleute: «Man kann das Evangelium doch nicht mit Gesichtern wie bei einem Begräbnis verkündigen (…). Ich mag keine Christen mit Gesichtern, die mich an Paprika erinnern.» Und weiter: Wenn Nonnen aufhören, «mit dem Herzen Mütter zu sein» und alle Menschen ohne Einschränkung zu umarmen, dann würden sie am Ende leider «zittelle» (alte Jungfern).

Kein Wunder, dass Bergoglios ungewohnter Sprachstil die Traditionalisten in der Kirche irritiert. So geschehen unlängst in der Lateranbasilika, wo der Papst als Bischof von Rom zu den Priestern seiner Diözese sprach. Sie sollten sich gefälligst die Ärmel raufkrempeln und zusammenlebenden Paaren sowie geschiedenen Wiederverheirateten offen entgegengehen. «Wir sind doch nicht im Mittelalter, äh, sondern im Jahr 2013!» Die Doktrin, macht Franziskus klar, ändert sich nicht; ändern muss sich jedoch die Art und Weise, sie in einem völlig veränderten sozialen Kontext zu vermitteln.

Nicht nur die Worte, auch die Gesten von Franziskus verraten einen neuen Stil. «Avvenire», die Zeitung des italienischen Episkopats, hat dazu Mitte November die jetzt in Italien lebende und dort sehr erfolgreiche Schriftstellerin Helena Janeszek befragt, die äusserst sensible Tochter polnischer Juden. Sie ist von diesem Pontifex sehr beeindruckt. Denn er sei in einer Zeit, wo das Vertrauen in alle «Autoritäten» zusammenbricht, die grosse Ausnahme. Er wecke eine kollektive Hoffnung.

Und zwar besonders durch die Sponaneität seiner Gesten. «Der Wunsch, unter den Menschen zu sein, die Nähe zu den Kranken und die vielen Umarmungen zeigen, wie wichtig für ihn die körperliche Dimension ist.» Diese «Körpersprache» sei effizient, weil sie jeden Verdacht der Fälschung und Täuschung überwindet.

Spontane, überraschende Gesten und eine mit Ironie und Phantasie gewürzte Umgangssprache: typisch Franziskus. Es ist ein Stil, der diesem Papst weitere Sympathien, vor allem bei der Jugend, einträgt. Und der nicht ohne Wirkung auf den Kommunikationsstil in der ganzen Kirche bleiben dürfte.

 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan