Die mühsame Umkehr zur Lernbereitschaft im Vatikanum II (II)

2.3. Das Ausserhalb der Welt

Die konziliaren Aussagen zur Empfangsbereitschaft der Kirche für Güter und Einsichten von aussen gehen dort am weitesten, wo sich der Blick auf die «Welt», auf Kultur und Wissenschaft richtet. Was auf den ersten Blick erstaunlich erscheint, lässt sich doch dadurch erklären, dass für diese Wertschätzung Vorbilder im Verständnis der Kultur als «praeparatio evangelii» vorlagen. Die Berührungsängste gegenüber anderen Formen religiösen Lebens waren grösser als gegenüber einer gewissermassen neutralen und evangelisierbaren Welt. Allerdings war im 19./20. Jahrhundert das Vertrauen in die Offenheit von Kultur und Gesellschaft für Religion und Kirche geschwunden und entsprechende Abwehr eingekehrt. Diese Welt nun positiv anzuschauen und ihr sogar eine positive Bedeutung für die Kirche zuzuschreiben, war deswegen vorbereitet, aber keineswegs selbstverständlich.

2.3.1. Kulturell geprägte Ortskirchen

Diesbezügliche Aussagen finden sich in zwei unterschiedlichen Kontexten, was der Sache umso mehr Gewicht gibt. Die Vielfalt der Kulturen und ihre Bedeutung für die Kirche ist von Anfang an ein ekklesiologisches Thema. Erzbischof Mauritius Baudoux verbindet das Anliegen mit dem Motiv des Volkes Gottes: «Die Kirche, die die legitimen Sitten und Kulturen der Völker bewahrt, zieht alle Völker in ihren Schoss, damit aus ihnen in Christus ein Volk Gottes hervorgebracht wird.»17 Sehr entschieden trägt Erzbischof Antoine Grauls ein Plädoyer für eine inkarnatorische Katholizität vor, die durch Einheit in Vielfalt gekennzeichnet ist. «Die pilgernde Kirche ist Sakrament des inkarnierten göttlichen Wortes. Das inkarnierte Wort aber hat in sich alles, was menschlich ist, aufgenommen, ausser der Sünde. Aus diesem Grund ist die Kirche mit wunderbarer Einheit und Vielfalt geschmückt.»18 Dabei entfaltet der Bischof aus Burundi insbesondere die Vielfalt, um deretwillen die Kirche gemäss der Ökonomie der Inkarnation alle menschlichen Werte, die den Kulturen eigen sind, in ihre Einheit aufnehmen und sie im Geist Christi tränken muss.19 Grauls legt noch nach, indem er auf die Eingliederung des menschgewordenen Wortes in die Kultur und die Traditionen des jüdischen Volkes hinweist. Auf der ganzen Welt aber seien die Kulturen so zahlreich wie die Regionen – und diese Vielfalt stamme von Gott. Ausdrücklich wendet Grauls den Blick von der eher vertrauten Vielfalt okzidentaler und orientalischer Traditionen auf die den jungen Kirchen aufgegebenen diversen kulturellen Kontexte. Deswegen sei es notwendig, dass die unterschiedlichen Kulturen im Haus Gottes mit Ehrerbietung empfangen und unterstützt werden.20 Kraft der Vielfalt ergeben sich nach Ansicht von Grauls verschiedene religiöse Sitten, liturgische Riten und Frömmigkeitsformen der Kirchen, denen gleichwohl dieselbe Würde und dieselben Rechte zukommen.

Dieser Konzilsrede zusammen mit einigen anderen Impulsen verdanken wir LG 13 mit der Würdigung der Vielfalt der Kirchen und in der Kirche in Korrespondenz zu den Gütern der verschiedenen Kulturen: Die Kirche «fördert und übernimmt (…) Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker, soweit sie gut sind. Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt und hebt es sie aber auch. (…) Diese Eigenschaft der Weltweite, die das Gottesvolk auszeichnet, ist Gabe des Herrn selbst. In ihr strebt die katholische Kirche mit Tatkraft und Stetigkeit danach, die ganze Menschheit mit all ihren Gütern unter dem einen Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes».

Die Kirche ist auf den Nährboden der Kulturen angewiesen. Konsequenz dieser Einsicht ist der Streit für dezentrale Strukturen der Kirche. Dies kündigt sich bereits in der ersten Session z. B. in der Intervention von Bischof Eugène D’Souza an: «Verschieden sind die Völker, verschieden sind ihre Kulturen. Wenn wir diese zur Kirche heranziehen wollen, ist es vor allem notwendig, den Bischöfen der verschiedenen Regionen Vollmacht zuzugestehen.»21 Dieser bemerkenswerte indische Bischof wird – gemeinsam mit anderen Bischöfen – auch während der folgenden Sessionen nicht müde, dasselbe Thema wieder und wieder anzusprechen.

Die konziliare Aufmerksamkeit für die Welt ausserhalb der Kirche setzt also in binnenkirchlichen Strukturfragen an, insofern die Konzilsväter auf die Notwendigkeit der Integration der verschiedenen Kulturen in die Ortskirchen insistieren. Dies gilt für die bereits etablierten Kirchen ebenso wie für die traditionellen missionarischen Kontexte (vgl. AG 9; 11;22 22; GS 58). GS 58 bekennt dabei ausdrücklich, dass die Kirche, wenn sie mit den verschiedenen Kulturformen eine Einheit eingeht, auch selbst bereichert wird. Die Realisierung von Kirche in unterschiedlichen kulturellen Umgebungen berührt die Kirche nicht nur akzidentell, sondern – so Peter Hünermann – entspricht einem «Vermittlungsverhältnis, durch welches das Selbstsein der Kirche sich geschichtlich je anders und neu gewinnt».23

Über diese die Kulturen «einverleibende» Dynamik hinaus findet das Konzil auch abgesehen von binnenkirchlichen Desideraten zu einer neuen Sicht der von der Kirche unterschiedenen und sie doch bereichernden Welt.

2.3.2. Bereicherung durch die Welt

In prägnanter Weise hat Hans-Joachim Sander die Neuorientierung des Konzils im Blick auf die Welt als «Ortswechsel», als «Aufbruch der Kirche an einen neuen Ort ihrer Existenz» beschrieben.24 Mit «Gaudium et spes» verortet sich die Kirche in der Welt von heute und bekundet die Bereitschaft, sich konstruktiv mit Welt und Geschichte auseinanderzusetzen. Dahinter steht zunächst die Einsicht, dass die Sendung der Kirche nicht erfüllt werden kann, wenn sie nicht mit dem Woraufhin dieser Sendung vertraut ist (vgl. AG 11). Dies gilt nicht nur für die missionarische Begegnung mit nichtchristlichen Kulturen, sondern auch für die Verkündigung in den sich wandelnden Kulturen, wie dies GS 44 formuliert.

Die Pastoralkonstitution geht aber über das sendungsorientierte Interesse an den Kulturen hinaus. Der hier entscheidende Punkt ist, in welcher Weise das Konzil zu dem Eingeständnis vorstösst, für das eigene Selbst- und Glaubensverständnis konstitutiv auf den Beitrag der Welt ausserhalb ihrer selbst angewiesen zu sein. Kenntnis der Welt, Einsicht in ihre virulenten Fragen und Anerkenntnis ihrer Werte braucht es nicht nur für die Verkündigung. Das Konzil anerkennt, dass die Kirche den Willen Gottes, den ganzen Gehalt des Glaubens und sich selbst nicht im Vollsinn erkennen und verstehen kann, wenn sie nicht bereit ist, sich offen und lernbereit auf die Welt in ihren unterschiedlichen Facetten einzulassen.

«Gaudium et spes» spricht in diesem Sinne von den Zeichen der Zeit, vom Dialog und anerkennt die Hilfe, die sie von der Welt erfährt. Nur in Aufmerksamkeit für die Zeichen der Zeit kann die Kirche «in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben» (GS 4). Zudem ist das Volk Gottes gehalten, «in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind» (GS 11). Diese «Zeichen der Zeit» oder die «Zeichen der Gegenwart» können nicht von der Kirche bestimmt und festgelegt werden, vielmehr findet sie sie im Aussen ihrer selbst vor. «Die Zeichen der Zeit sind ein Aussen des Glaubens, das zu seinem Innersten führt» (Hans-Joachim Sander ).25 Wohlgemerkt geht es dabei nicht nur um die Fähigkeit, Menschen der heutigen Zeit mit der Botschaft des Evangeliums zu erreichen. Auf dem Spiel steht die Erkenntnis dieser Botschaft selbst.

Bei dem vom Konzil eingeschlagenen Weg des Dialogs lassen sich zwei Richtungen erkennen. «Gaudium et spes» drückt mit dem Stichwort Dialog einerseits die Bereitschaft aus, mit anderen Akteuren zusammen die Probleme der Menschheitsfamilie anzugehen (vgl. GS 3). Andererseits ist die Rede von einem wechselseitigen Dialog (GS 40; 92), der die Kirche selbst bereichert. Dies entspricht Voten von Konzilsvätern, die im Dialog die Werte anerkannt wissen wollen, die nicht das Privileg der Christen sind, sondern sich auch unter Nichtchristen und Atheisten finden und Werk des Heiligen Geistes auf das Reich Gottes hin sind.26 Darum bedingt nach Bischof Gérard Huyghe (Arras) das Hören auf den Heiligen Geist auch, in einem fruchtbaren Dialog auf andere zu hören, «denn in allen Menschen, auch in unwissenden, wirkt der Heilige Geist. Jener Geist ist Lehrer und Inspirator allen Dialoges».27

In GS 40 und 44 schliesslich wird ausdrücklich zur Sprache gebracht, dass die Kirche von der Welt Hilfe erfährt: «Zugleich ist sie der festen Überzeugung, dass sie selbst von der Welt, sei es von einzelnen Menschen, sei es von der menschlichen Gesellschaft, durch deren Möglichkeiten und Bemühungen viele und mannigfache Hilfe zur Wegbereitung für das Evangelium erfahren kann» (GS 40). In GS 44 deklariert das Konzil – allerdings erst, nachdem es in drei Artikeln den eigenen Beitrag zur Welt entfaltet hat –, «wie viel sie [die Kirche] selbst der Geschichte und Entwicklung der Menschheit verdankt. Die Erfahrung der geschichtlichen Vergangenheit, der Fortschritt der Wissenschaften, die Reichtümer, die in den verschiedenen Formen der menschlichen Kultur liegen, durch die die Menschennatur immer klarer zur Erscheinung kommt und neue Wege zur Wahrheit aufgetan werden, gereichen auch der Kirche zum Vorteil». Diese als solche nur sehr kurze Passage hat insofern grosses Gewicht, als von ihr her all das, was in «Gaudium et spes» anerkennend über die positiven Werte der Welt, angefangen von der suchenden Nachdenklichkeit der Menschen (vgl. GS 3) über die Errungenschaften der Wissenschaften (vgl. GS 5; 34), die Werte (vgl. GS 11) bis zu einem neuen Humanismus (vgl. GS 55) gesagt wird, gelesen werden muss. Die Kirche kann all diese Werte nicht nur von ihren eigenen Prinzipien her bejahen, vielmehr wird sie davon auch selbst bereichert.

Austausch zwischen Kirche und Kulturen

In diesem Sinne spricht GS 44 (in einem erst in der letzten Fassung ergänzten Textteil) vom «lebhaften Austausch [wiederum: commercium!] zwischen der Kirche und den verschiedenen nationalen Kulturen». Dazu bedarf die Kirche der Hilfe derer, «die eine wirkliche Kenntnis der verschiedenen Institutionen und Fachgebiete haben und die Mentalität, die in diesen am Werk ist, wirklich verstehen, gleich- gültig, ob es sich um Gläubige oder Ungläubige handelt ». Vor allem aber muss die ganze Kirche die Mentalitäten («Sprachen») der eigenen Zeit kennen, und zwar nicht nur, um den Glauben verkünden, sondern ihn überhaupt erst besser erfassen zu können: «Es ist jedoch Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, vor allem auch der Seelsorger und Theologen, unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die verschiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet werden kann» (GS 44).

Die Anderen und das Andere, hier: die Kulturen, die Gesellschaft, die Wissenschaften, tragen zu Gotteserkenntnis und Glaube bei. Die Kirche erfährt in ihrem ureigenen Bereich Hilfe von der Welt. Wie ungewöhnlich dies manchen Ohren klang, lässt das Veto eines Konzilsvaters zum Entwurf von GS 44 erkennen: «‹Omne bonum ab ecclesia!› Darum müsse der ganze Abschnitt gestrichen werden.»28 Hingegen deutet Joseph Ratzinger den besagten Text gerade gegenläufig programmatisch: «Ratzinger ging damals so weit, den vielleicht umstrittensten Text des Konzils Gaudium et spes in Verbindung mit den Texten über die Religionsfreiheit und den Weltreligionen als ‹eine Revision des Syllabus Pius' IX., als eine Art Gegensyllabus› zu bezeichnen.»29

Am 1. Oktober 1965 verleiht die Konzilsrede von Bischof Paul-Joseph Schmitt der in GS 44 ausgesagten Lernbereitschaft Nachdruck. Die Kirche empfange von der Welt der heutigen Zeit vielfältige positive Gelegenheiten, um ein besseres Bewusstsein ihrer selbst zu erlangen, ihre Botschaft besser auszudrücken und ihre Sendung besser zu erfüllen. Bischof Schmitt gibt konkrete Beispiele mit Hinweis auf die besondere Aufmerksamkeit der zeitgenössischen Welt für die Würde des Menschen, für die soziale Verfasstheit des Menschen, für Gerechtigkeit und Freiheit, für die Absurdität des Krieges usw. All dies habe es der Kirche ermöglicht, in diesen Bereichen selbst ein schärferes Bewusstsein zu entwickeln – und Schmitt weist nicht zuletzt auf die konziliaren Themen der Religionsfreiheit, der Kollegialität und der Weiterentwicklung ihrer traditionellen Lehren über Frieden und Krieg hin.30 Diese Rede wurde im Namen von 70 Konzilsvätern vorgetragen, was der Zeitschrift «Itinéraires» so unglaubhaft schien, dass sie es in Zweifel zog.31

3. Wende zur Lernbereitschaft – und bleibende Selbstgenügsamkeit

Im Jahr 1959 veröffentlichte Yves Congar einen Artikel unter dem Titel «Das Konzil, die Kirche und … ‹die Anderen›». Er hält das Bewusstwerden der Existenz der «Anderen», das Bedürfnis, sich für sie zu interessieren, für ein Kennzeichen seiner Zeit.32 Die französische vorkonziliare Theologie war nicht umsonst (angefochtene) Vorreiterin hinsichtlich der notwendigen Rückkoppelung von Glaube und Theologie an die Welt und die Lebenssituationen der Menschen. Komplementär dazu bereitete die deutschsprachige Theologie eine der grundlegenden Weichenstellungen vor: die Orientierung am universalen Heilswillen Gottes, dessen Wirken sich nicht auf die Grenzen der Kirche und der Getauften beschränken lässt.33

Vor diesem Hintergrund gelang es dem Zweiten Vatikanischen Konzil, eine brüske Selbstgenügsamkeit im Stil der «societas perfecta» und eines triumphalistischen Kirchenbildes zu überwinden. Grundsätzlich ist anerkannt, dass es ausserhalb der Kirche nicht nur Gnade und Heilswege, sondern auch für die Kirche bereichernde Werte und Einsichten gibt. Es werden «die Grundlinien einer eher ‹relationalen Ekklesiologie› entworfen. Demnach existiert die Kirche als Volk Gottes vor allem in und aus den verschiedenen Beziehungen (nach innen und aussen), durch die sie als das soziale Subjekt des Glaubens konstituiert wird» (Medard Kehl).34

Darin gründet nach Ottmar Fuchs die religionsgeschichtliche Bedeutsamkeit des Zweiten Vatikanum, insofern «wohl das erste Mal eine Buchbzw. Offenbarungsreligion die Differenz zwischen innen und aussen nicht als prinzipiellen Gegensatz zwischen wahr und falsch rekonstruiert, sondern zwischen mehr und weniger wahr gradualisiert und sogar so weit geht, die prinzipielle Präsenz Gottes überall zu unterstellen und von anderen Wahrheiten etwas zu erwarten, was die Kirche selbst noch nicht so gesehen hat».35

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, wird die Bereitschaft, von Werten ausserhalb der römisch-katholischen Kirche zu profitieren, am deutlichsten gegenüber «der Geschichte und Entwicklung der Menschheit» (GS 44) zum Ausdruck gebracht. Hinsichtlich anderer Konfessionen und anderer Religionen blieb das Konzil noch stark im Bann der Frage nach den Heilsmöglichkeiten ausserhalb der (römisch-katholischen) Kirche. Wie zaghaft die Anerkenntnis eigener Bereicherung durch andere Konfessionen und Religionen geschieht, ist aus heutiger Sicht auch deswegen unübersehbar, weil die kirchliche Entwicklung sowohl in der Praxis als auch auf lehramtlicher Ebene der Dynamik und dem Geist des Konzils gefolgt ist und – blendet man retardierende Momente einmal aus – beherzt über es hinausgegangen ist. Beherzt genug? Ein grosses «Aber» drängt sich auf.

Welches Gewicht hat der Dialog wirklich?

Die römisch-katholische Kirche ist auf Dialog und Austausch («commercium») mit dem Aussen in Welt, anderen Religionen und anderen Konfessionen angewiesen. Sobald dies wirklich eingestanden wäre, müsste den Dialoginstitutionen, über die die römisch-katholische Kirche verfügt, ein überaus hoher Stellenwert in ihrem Gesamtsystem zukommen. Faktisch indes ist es anders. Weder wird der Päpstliche Rat für die Einheit der Christen immer frühzeitig und hinreichend über Vorgänge und Äusserungen anderer Kongregationen informiert, noch ist er wirklich in der Lage, das, was im Dialog mit anderen Konfessionen gelernt wird, in die Vorgänge im Binnenraum der römisch-katholischen Kirche einzubringen. Analoges gilt für die Institutionen, die für den Dialog mit anderen Religionen (Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog) bzw. mit der zeitgenössischen Kultur (Päpstlicher Rat für Kultur) zuständig sind. Es entsteht der Eindruck, dass die römisch-katholische Kirche in der konkreten Realität doch nicht wirklich von anderen bereichert werden will. Das von Papst Benedikt formulierte Postulat der «Entweltlichung» tönt danach, als solle die Kirche ihren Weg eben doch ausserhalb und ohne die Welt gehen. Die prinzipielle Verwobenheit der Kirche mit «Vorstellungswelt und Sprache der verschiedenen Völker» und der «lebhafte Austausch zwischen der Kirche und den verschiedenen nationalen Kulturen» (GS 44) werden jedenfalls von einem derartigen Postulat zu Unrecht mitbetroffen.

In gleicher Weise vernachlässigt wird bis heute, was bereits die Konzilsväter als dringlich einforderten: eine Stärkung der ortskirchlichen Strukturen und der Mitverantwortung der Ortskirchen in der Leitung der Gesamtkirche, damit in einer Kirche der geeinten Vielfalt die Diversität der Kulturen in das kirchliche Leben Eingang finden kann.

In einer bemerkenswerten Einlassung zu den «Zeichen der Zeit» fragt der damalige Weihbischof Heinrich Tenhumberg von Münster in der Konzilsaula am 26. Oktober 1964, wie es geschehen konnte (und wie künftig vermieden werden könne), dass die Kirche die Zeichen der Zeit oft gar nicht oder allzu spät erkannte, und wie es möglich war, dass Ordensgründer und andere Gläubige, die die Zeichen der Zeit früh erkannt hatten, von der kirchlichen Autorität allzu oft und lange zurückgewiesen, angeklagt, verurteilt wurden.36 Um für die Zukunft vorzubeugen und die Kirche auf ihre Organe für lernbereites Hören auf die Zeichen der Zeit zu verpflichten, postuliert Tenhumberg eine erneuerte Theologie und Autoritätsausübung in der Kirche und insbesondere eine neue Wertschätzung der Charismen und Gaben im Volk Gottes.

Es ist zu hoffen, dass die Mahnung von Papst Franziskus, in der Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzil beherzt weiterzugehen, auch solche Postulate umgreift. «Avanti!»

P.S. Nach Beendigung des Manuskripts erschien das Interview mit Papst Franziskus in den «Stimmen der Zeit». Darin heisst es: «In den ökumenischen Beziehungen ist dies wichtig: das, was der Geist in den anderen gesät hat, nicht nur besser zu kennen, sondern vor allem auch besser anzuerkennen als ein Geschenk auch an uns.»37

 

 

17 Schriftliche Animadversio von Erzbischof Maurice Baudoux (Saint-Boniface/ Kanada): AS 2 /1,619.

18 Erzbischof Antonius Grauls (K[G]itega/Burundi), 4.10.1963: AS 2 /2,69–70.

19 «Diversitate praefulget Ecclesia. Nam debet, secundum incarnationis oeconomiam, assumere in suam praeclaram unitatem et Spiritu Christi imbuere omnes humanos valores cuique culturae proprios»: Erzbischof Antonius Grauls (Kitega/Burundi), 4.10.1963: AS 2 /2,69.

20 Erzbischof Antonius Grauls (Kitega/Burundi), 4.10.1963: AS 2 /2,69.

21 Bischof Eugène D’Souza (Bhopal/Indien), 7.12.1962: AS 1/4,386.

22 «Um dieses Zeugnis Christi mit Frucht geben zu können, müssen sie diesen Menschen in Achtung und Liebe verbunden sein. Sie müssen sich als Glieder der Menschengruppe, in der sie leben, betrachten; durch die verschiedenen Beziehungen und Geschäfte des menschlichen Lebens müssen sie an den kulturellen und sozialen Angelegenheiten teilnehmen. Sie müssen auch mit ihren nationalen und religiösen Traditionen vertraut sein; mit Freude und Ehrfurcht sollen sie die Saatkörner der Worte aufspüren, die in ihnen verborgen sind» (AG 11). Siehe AG 16; 26 zu den Konsequenzen für die theologische Ausbildung.

23 Peter Hünermann: Deutsche Theologie auf dem Zweiten Vatikanum, in: Wilhelm Geerlings / Max Seckler (Hrsg.): Kirche sein. Nachkonziliare Theologie im Dienst der Kirchenreform. Für Hermann Josef Pottmeyer. Freiburg-Basel-Wien 1994, 141–162, hier 153.

24 Hans-Joachim Sander: Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, in: HThK Vat II 4,581– 886, hier 585.590.

25 Hans-Joachim Sander: Die Zeichen der Zeit. Die Entdeckung des Evangeliums in den Konflikten der Gegenwart, in: Gotthard Fuchs / Andreas Lienkamp (Hrsg.): Visionen des Konzils. 30 Jahre Pastoralkonstitution «Die Kirche in der Welt von heute». Münster 1997, 85–102, hier 99.

26 Vgl. Weihbischof Adrien Gand (Lille), 27.10.1964: AS 3/5,570 f.

27 Bischof Gérard Huyghe (Arras), 27.10.1964: AS 3/5,613.

28 Magnus Striet: Joseph Ratzinger / Benedikt X VI. und die Moderne, in: Peter Hünermann (Hrsg.): Exkommunikation oder Kommunikation? Der Weg der Kirche nach dem II. Vatikanum und die Pius-Brüder. Freiburg i.Br 2009, 175–205, hier 178, Anm. 6.

29 Ebd., 182, mit Bezug auf: Joseph Ratzinger: Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie. München 1982, 398.

30 Vgl. Bischof Paul-Joseph Schmitt (Metz), 1.10.1965: AS 4/3,116 f.

31 Vgl. Gilles Routhier: Das begonnene Werk zu Ende führen. Die Mühen der vierten Sitzungsperiode, in: Giuseppe Alberigo (Hrsg.); Günther Wassilowsky (Hrsg. der dt. Ausgabe): Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959–1965). Bd. 5: Ein Konzil des Übergangs. September–Dezember 1965. Mainz-Leuven 2008, 57–213, 191 f., Anm. 463.

32 «Cette prise de conscience de l’existence d’‹Autres›, ce besoin de s’intéresser à c eux, est un des traits les plus caractéristiques de la présente génération chrétienne»: Yves Congar: Le Concile, l’Eglise et … « les Autres», in: Lumière et vie 45 (1959), 69–92, hier 74. Siehe dazu: Mauro Velati: «Die Anderen »: Der Ökumenismus und die Religionen, in: Concilium (D) 41 (2005), 376 –388.

33 Vgl. Peter Hünermann: Deutsche Theologie auf dem Zweiten Vatikanum, in: Geerlings-Seckler, Kirche sein (wie Anm. 23), 141–162.

34 Medard Kehl: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. Würzburg 1992, 94.

35 Ottmar Fuchs: Wer ist drinnen – Wer ist draussen? Aphorismen zu einem alten Thema, in: Hildegund Keul / H ans-Joachim Sander (Hrsg.): Das Volk Gottes. Ein Ort der Befreiung. Würzburg 1998, 95–106, hier 97.

36 Vgl. Weihbischof Heinrich Tenhumberg (Münster), 26.10.1964: AS 3/5,528.

37 Antonio Spadaro: Das Interview mit Papst Franziskus. Herausgegeben von Andreas R. Batlogg. Freiburg-Basel-Wien 2013, 55.

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur