Tut dies zu meinem Gedächtnis

Zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi am 26. Mai 2016

Fast jeder weiss, was eine Gedächtnisfeier ist. Man hält sie, um jemanden oder etwas nicht zu vergessen. Das Gelingen der Inszenierung müsste also daran gemessen werden können, was tatsächlich bei den Teilnehmenden in Erinnerung gerufen wird. Fronleichnam dient zum Erinnern an die Vergegenwärtigung des Leibes und Blutes Christi. Was aber ist damit gemeint? Und was droht in Vergessenheit zu geraten?

Dies ist mein Leib

Der zweite Lesungstext (1 Kor 11,23–26) ist ein Fragment, herausgenommen aus einer umfangreichen Kritik des Paulus am gemeinsamen Mahl der Gemeinde von Korinth. Paulus bemängelt das rücksichtslose Essverhalten der Privilegierten (V21f) und ruft den jesuanischen Brotsegen in Erinnerung: "Er sprach den Segen, brach das Brot und sagte: ‹Dies ist mein Leib für Euch1; das tut zur Erinnerung an mich.›"(V24) Seither wurde viel darüber gestritten, wie das "Dies" zu verstehen sei. Was ist dies, das getan werden muss, um des Leibes Christi zu gedenken? Gegenstand des Erinnerns wurde im Lauf der Zeit das Brot und weniger der Segen des Tuns. In zahlreichen Traktaten zur "Wesensverwandlung des Brotes" versuchte die Kirche, ihre eucharistische Praxis gegenüber Kritikern zu verteidigen2. Eine Entwicklung, die uns bis heute in den Kirchen an getrennte Tische verbannt. Die eng geführten Fragen um die Substanz des Brotes lassen sich von den biblischen Texten nicht beantworten. Das griechische Anschlusswort τοῦτό ("das" ist mein Leib) bezieht sich grammatikalisch eben nicht auf "das Brot" (τὸν ἄρτον mask. akk.), sondern auf etwas anderes, das da war, als die Jüngerinnen und Jünger beim letzten Mahl zusammensassen.

So ist mein Leib

Zieht man das vorangestellte und folgende Kapitel des Korintherbriefes (v. a. 10,16–17 und 12,24–27) hinzu, wird deutlich, dass das geteilte Brot und der Segen über den Wein die einzelnen Gemeindemitglieder in den Leib der Gemeinschaft führen (10,16). Daran soll gedacht werden, wann immer das Erinnerungsmahl gemeinsam gegessen wird: wie die solidarische Gemeinschaft um Jesus Gottes Wort in der Welt gelebt hat. "Das tut zur Erinnerung", so immer wieder, dies ist mein Leib. Luise Schottroff übersetzt vielleicht treffender mit: so ist mein Leib3. In diesem gemeinschaftlichen Leib partizipieren alle in gleicher Weise: "Gott hat den Körper zusammengefügt und gab dem niedrig gehaltenen Teil umso grössere Ehre, damit der Körper nicht von einer Grenze durchzogen wird, sondern die Glieder sich gemeinsam umeinander sorgen. Und wenn ein Körperteil leidet, leiden alle anderen mit; wenn ein Körperteil geehrt wird, freuen sich die anderen alle mit. Ihr seid der Leib Christi und – einzeln genommen – Angehörige Christi." (1 Kor 12,24–27)

Der verletzte Leib Christi

Dieser Leib des Messias ist demnach eine soziale, kollektive Grösse. Durch die jeweilige Präsenz der Anwesenden wird Leib Christi real existent und durch ihre Körper lebendig4. Die Mahlgemeinschaft wird nur zum "Leib Christi", wenn sie solidarisch und gemeinsam zusammenfindet. Die Anamnese im Hochgebet "… Schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut, und lass uns eins werden durch den Heiligen Geist", zeigt, dass die Erinnerung an Christi Leib nur gewährleistet wird, wenn alle sich als Teil erfahren können. Wer keine Rücksicht nimmt, zerstört diesen Leib. Das zeigt, wie verletzlich der Leib ist, der immer wieder aus einer Gesellschaft entnommen wird, die so ungleich und ungerecht ist, heute wie damals die Gemeinde in Korinth. Die Inszenierung des Leibes funktioniert nicht, wenn Teilnehmende das Gefühl haben, da vorne wird was gezaubert, an das sie nicht glauben. Und reichlich liturgische Erfahrung ersetzt nicht die gegenseitige Sorge der Menschen füreinander. In ihrem Tun gegen Hunger und Not wird an den Leib Christi erinnert. Denn wird nicht mehr dieses Leibes gedacht, der aus den Körpern der solidarischen Gemeinschaft besteht, bleibt das eucharistische Gedenken eine leere Inszenierung um ein Stück Brot und einen Becher Wein. Dann stellt sich die Frage des Paulus erneut: "Habt ihr denn keine Häuser um zu essen und zu trinken?" (1 Kor 11,22)

 

 

 

1 τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα (vgl. auch Mk 14,22; Mt 26,26 und Lk 22,19: τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου)

2 vgl. Eucharistieverständnis von Berengar von Tour (+1088), Abschnitte zur "Transsubstantiation": 4. Laterankonzil (1215), Konzil von Trient (1563)

3 Bibel in gerechter Sprache; vgl. auch Schottroff: Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, Band 7, Stuttgart 2013, S. 246–253

4 Marlene Crüsemann: Die Gemeinde ist Körper des Messias. Soziale Realität und Selbstbewusstsein bei Paulus und seiner Korinthischen Gemeinde nach Luise Schottroff, in: Bibel und Kirche 3/2015: Der Körper des Messias, S. 142–147

Katja Wissmiller

Katja Wissmiller

Die Theologin, Fotografin und Journalistin Katja Wissmiller ist Mitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich.