Pfingsten

Rosenkranzaltar Friesach

Pfingsten. Geburtstag der Kirche. Mit Brausen, heftigem Sturm, mit Zungen wie von Feuer hat alles begonnen. Alle sind mit Heiligem Geist erfüllt. Begeisterung bricht aus. Die Glaubenden beginnen in fremden Sprachen zu reden. Und heute? Ist das nicht weit weg von unserer heutigen kirchlichen Realität? Wir feiern Pfingsten, weil der 50. Tag nach Ostern ist. So sieht es die Ordnung der Kirche vor. Weil Hochfest ist, bieten wir auf, was aufzubieten ist. Aber Begeisterung? Tatsächlich beten wir seit jeher: "Sende aus deinen Geist, und alles wird neu geschaffen, und du wirst das Antlitz der Erde erneuern!" Und doch nehmen viele Menschen – innerhalb und ausserhalb – die Kirche so wahr, dass alles beim Alten bleibt. Wir kennen die Situation der Kirche heute. Ernüchternd. Wir wagen kaum neue Schritte. Wir haben uns an die Kirche und an unser Glaubensleben gewöhnt. Es läuft einfach wie gehabt. Das ist gefährlich, sogar lebensgefährlich.

Gottes Geist über uns?

Aber möchten wir wirklich, dass heute Pfingsten ist? Möchten wir, dass passiert, was wir feiern? Dass Gottes Geist über uns kommt? So wie damals – und immer wieder im Lauf der Kirchengeschichte? Ja, werden wir vielleicht antworten und dabei an die vielen Verkrustungen denken, unter denen wir leiden. Und an den Mangel an Begeisterung in unseren Pfarreien und Gemeinschaften. Manchmal ist es tatsächlich himmeltraurig. Viele verabschieden sich deswegen enttäuscht von der Kirche. Je mehr wir unsere Träume und Idealvorstellungen von Kirche mit der Realität konfrontieren, umso deprimierter werden wir. Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus?

Der Traum vom Aufbruch

Auch ich träume oft von einer begeisterten Kirche, von einer Klostergemeinschaft, die aufbricht und Zeugnis ablegt vom Geist Gottes, der alles neu macht. Und dabei rege ich mich auf über alles Verknorzte und Erstarrte, über alles oberflächliche und so offensichtlich geistleere Getue. In solchen Situationen fällt mir oft eine Erfahrung ein, die ein Sänger niedergeschrieben hat: "Wozu dieses straffe Staccato?" fragte ich gereizt Theodor zur Linken. "Wie kann man ein derart sentimentales Adagio spielen?" kritisierte ich Elisabeth zur Rechten. "Ist das Crescendo wohl am Platz, das Alexei sich anmasst?" "Oh, dieses weltliche Palaleika – ach, jenes Geigentremolo. Und erst Alexandra, könnte sie ihren Sopran nicht in straffere Zügel nehmen?" So nörgelten meine Gedanken. Da spürte ich auf einmal die Augen des Dirigenten ernst auf mich gerichtet. "He, du singst ja falsch!", rief er mir zu. Und dann, auf mein erstauntes Gesicht hin: "Ja, dich meine ich. Merkst du denn nicht, wie du die anderen Musiker störst?" Nein, wahrhaftig, ich hatte es nicht gemerkt. Viel zu sehr war ich mit den Fehlern der andern beschäftigt.

Die Angst vor Neuem

Wir selbst, die ganze Kirche, die ganze Welt dürsten und schreien geradezu nach dem Geist Gottes, der alles neu macht. Wie könnte man diesen Schrei in unserer Zeit überhören!?! "Sende aus deinen Geist", und dabei stehen wir ihm so oft selber im Weg. Bei uns persönlich und in unseren Vorstellungen, die wir von der Zukunft haben, wollen wir alles beim Alten belassen. Wir sind nicht bereit, unsere eigenen Verkrustungen von Gottes Geist aufbrechen zu lassen. Nicht etwa, weil es uns darin gefällt – dann würden wir nicht so viel murren –, aber weil wir Angst haben vor dem Neuen, vor dem überraschend Neuen, das Gottes Geist uns schenken will. Diese Angst kann uns blockieren, ob wir nun eher konservativ oder eher progressiv sind. Und das ist nach Albert Einstein etwas vom Schlimmsten: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert."

Gottes Geist schenkt Leben

So wie die Jünger damals sind auch wir in unseren eigenen vier Wänden gefangen, in unserem eigenen engen Horizont. Aber das ist kein Grund zur Resignation. Die Betrachtung unserer persönlichen Situation und auch der Situation der Kirche müsste uns eigentlich zuversichtlich stimmen. Wir haben die besten Voraussetzungen, heute wirklich Pfingsten zu erleben. Gerade dort, wo vieles verhärtet ist, kann Gottes Geist Leben schenken. Wie die Jünger, so sind auch wir immer wieder versucht, uns abzukapseln, uns nur mehr mit Gleichgesinnten auszutauschen, keinen inneren Weg mehr zurückzulegen, zu klagen und zu murren, die Türen zu verschliessen – aus Angst, weil wir verletzt wurden. Das ist alles verständlich und nachvollziehbar. Wir könnten auch sagen: Das ist menschlich. Aber Gott hat Grösseres mit uns vor. Gott will uns aus der Enge in die Weite führen. Von der Angst zur Freude der Liebe – oder, wie das in lateinischer Sprache heisst: amoris laetitia. Von dieser Freude der Liebe schreibt Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben. Er tut es auf eine Weise, die nicht dreinschlägt, sondern sachte Türen öffnet, Wege weist, zum Vertrauen ermutigt. In den vergangenen Jahren hat der Papst immer wieder versucht, unsere Herzen für diesen Heiligen Geist zu öffnen. Dazu hat er auch die Ängste angesprochen, die sich mehr um die verschlossenen Türen kümmern als um die Kraft Gottes, die alle Grenzen sprengt. "Um es klar zu sagen: Der Heilige Geist ist für uns eine Belästigung. Er bewegt uns, er lässt uns unterwegs sein, er drängt die Kirche, weiterzugehen. … Wir wollen, dass der Heilige Geist sich beruhigt, wir wollen ihn zähmen. Aber das geht nicht. Denn er ist Gott und ist wie der Wind, der weht, wo er will. Er ist die Kraft Gottes, der uns Trost gibt und auch die Kraft, vorwärtszugehen. Es ist dieses Vorwärtsgehen, das für uns so anstrengend ist. Die Bequemlichkeit gefällt uns viel besser." "Heute können wir den Heiligen Geist darum bitten, dass er uns diesen Drang schenken möge; dass er uns die Gnade schenken möge, an den Dingen zu rütteln, die in der Kirche zu ruhig sind, und die Gnade, auf die Peripherien der Existenz zuzugehen."

Fügsamkeit dem Geist gegenüber

Gott will uns diesen Neuanfang immer wieder schenken. Wir dürfen uns vom Geist Gottes bewegen lassen: neu beginnen; wieder aufeinander zugehen; nicht in sündigen Verhaltensweisen bleiben, sondern den Weg der Heiligkeit wagen; nicht immer in den gleichen Mustern verharren, sondern bisher unbekannte Sprachen zu sprechen wagen; geistgewirktes Verhalten nicht zuerst von anderen erwarten und verlangen, sondern selbst offen sein dafür. Und wenn wir erfahren, dass Gottes Geist es schafft, uns zu bewegen, dann werden wir ihm auch zutrauen, dass er andere bewegen kann. Dann stehen wir nicht mehr frustriert links oder rechts in der Kirche, sondern wir gehen mit Freude voran. So kann auch heute Pfingsten sein – in unserem persönlichen Leben, in unseren Familien, Gemeinschaften und Pfarreien, in unserer Kirche. Papst Franziskus mutet uns viel zu, wenn er uns alle auf einen gemeinsamen Weg als Getaufte schickt: "Wenn uns der Heilige Geist mit etwas, das neu scheint oder noch nie so gemacht wurde, überrascht, dann denkt an das Zweite Vatikanische Konzil – an den Widerstand, auf den das Konzil gestossen ist ... So viel Widerstand: Aber nein ...! Auch heute noch: Widerstände, die in der einen oder anderen Form auftreten. Und der Geist geht voran. Das ist der Weg der Kirche: die sogenannte Synodalität, in der sich die Gemeinschaft der Kirche ausdrückt. Und wer wirkt die Gemeinschaft? Der Geist ... Und worum bittet uns der Herr? Um Fügsamkeit dem Geist gegenüber. Und darum, keine Angst zu haben, wenn wir sehen: Es ist der Geist, der uns ruft." Das muss nicht nur in Rom geschehen, sondern auch in den Diözesen, in den Pfarreien, in den Gemeinschaften, in den Familien.

Herr, erneuere deine Kirche – und fange bei mir an!

Martin Werlen

Martin Werlen

P. Martin Werlen OSB ist nach seinem Rücktritt als 58. Abt des Klosters Einsiedeln als Novizenmeister tätig.