Transformation ist gefragt

Gehört die Transformation zur Essenz der christlichen Botschaft oder ist sie ihr ein Fremdwort? Der dringend notwendige Wandel will Antwort sein auf die drängenden globalen Herausforderungen.

Grafisches Modell des Wandels nach SMART CSOs (Bild: Fastenopfer)

Transformation ist heute in aller Munde. Darunter wird allerdings recht Unterschiedliches verstanden: Präsident Macron spricht von der Transformation der französischen Wirtschaft durch Liberalisierung des Arbeitsrechts; Rakesh Mohan beschreibt in seinem Buch «India transformed» den Segen von 25 Jahren neoliberaler Wirtschaft. Und was meinen denn Fastenopfer, Brot für alle und Partner sein, wenn sie vom grossen Wandel reden? Ist der Begriff überhaupt anschlussfähig an die christliche Botschaft?

Wir stecken in einer systemischen Krise

«Wir haben viele Siege errungen, aber wir sind dabei, den Planeten zu verlieren.» So beurteilt Gus Speth, amerikanischer Anwalt für Umweltfragen, die letzten Jahrzehnte, in denen Krankheiten erfolgreich bekämpft, die absolute Armut verkleinert und auch die Bildungsquote weltweit verbessert worden sind. Daneben aber befinden wir uns in einer multiplen systemischen Krise.

Die ökologische Krise äussert sich im Klimawandel, in Überflutungen und Dürren sowie in der Abnahme der Biodiversität. Die soziale und wirtschaftliche Krise hat die Zunahme von Ungleichheit zur Folge, denn gemäss der Armutsstudie von Oxfam besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung heute mehr als die restlichen 99 Prozent. Eine «spiritual crisis» zeigt sich in Burnouts, Stress und «too much work». Wir tun uns im Deutschen vermutlich etwas schwer, diese Phänomene – wie im angelsächsischen Raum üblich – als «spiritual crisis» zu bezeichnen, obwohl uns die psychologischen Zeitkrankheiten ja durchaus bekannt sind. Strassenproteste, tiefe Wahlbeteiligungen und Nationalismus können als Ausdrucksformen einer demokratischen Krise gedeutet werden.

Das ist nun natürlich eine äusserst knappe Zeitdiagnose, aber all diese krisenhaften Erscheinungen sind für Fastenopfer und seine Partner Ausdruck einer systemischen Krise. Um ein einzelnes Problem zu lösen, lohnt es sich, die zugrunde liegenden Ursachen zu erforschen, damit mit der Lösung eines Teilproblems nicht neue Probleme zutage treten. Der grosse Wandel will Antwort auf die genannten globalen Herausforderungen sein.

Viele Weckrufe sind bereits erklungen


Der Ausdruck «Great Transformation / grosser Wandel» ist zum ersten Mal durch Karl Polanyi in seinem gleichnamigen Buch 1940 verwendet worden. Damit umschrieb er den Wandel in westlichen Gesellschaften bedingt durch die industrielle Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts – und zwar durchaus ohne die problematischen Aspekte dieses Wandels zu verschweigen. Gut 60 Jahre später wertet die amerikanisch-schwedische Global Scenario Group die «Great Transition» ausschliesslich positiv als Vision für eine friedliche und solidarische Gesellschaft. Ab 2006 macht die Transition-Town-Bewegung von sich reden; ein Verbund von Städten mit dem Anspruch, sich nachhaltig selber zu versorgen. 2011 publizierte der wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesregierung sein Gutachten zu globalen Umweltveränderungen unter dem Titel «Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Grosse Transformation». In den darauf folgenden Jahren suchte die Weltgemeinschaft nach Wegen, die grossen Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Dies fand letztlich Ausdruck in der Agenda 2030, welche die Generalversammlung der UNO am 25. September 2015 unter dem Motto «Transformation unserer Welt» verabschiedete; in deren Zentrum stehen die «sustainable development goals / Ziele nachhaltiger Entwicklung» (kurz SDGs). Mit diesen Schlaglichtern ist die Begriffsgeschichte des grossen Wandels umrissen. Es wird dabei deutlich, dass der Begriff von Polanyi bis zu den SDGs einem Wandel unterworfen gewesen ist, welcher sich bis heute fortsetzt.

Aber die Begriffsgeschichte bliebe unvollständig, wenn sie nicht zumindest durch einen Strang ergänzt würde. Seitens der Kirchen wurden in dieser Zeitspanne wichtige Weckrufe ausgesandt: Namentlich erwähnt seien der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung (1983–1989), das Statement des Ökumenischen Rates der Kirchen zum Klimawandel (Busan 2013) und vor allem die Enzyklika von Papst Franziskus (2015). Noch vor der Proklamation der SDGs durch die UNO machte er in «Laudato si’» deutlich, dass die Themenfelder Armutsbekämpfung und Ökologie gemeinsam anzugehen sind. Allein schon diese Anhaltspunkte machen den Zusammenhang zwischen der christlichen Botschaft und dem grossen Wandel deutlich.

Was muss sich ändern?

Im Grunde geht es beim grossen Wandel um effektivere zivilgesellschaftliche Strategien zur Lösung der globalen Krisen. Es braucht Visionen, die an der Wurzel der Probleme ansetzen und die ein gutes Leben für alle im Blick haben.
SMART CSOs («smart civil society organisations» / kluge zivilgesellschaftliche Organisationen), eine Plattform, zu der auch Fastenopfer gehört, hat ein Modell entwickelt, nach dem sich der Wandel auf drei Ebenen ereignet (siehe Grafik):
a) auf der Ebene der Kultur und der Werte («culture»),
b) der Ebene politischer, wirtschaftlicher und sozialer Institutionen («regimes») und
c) in Nischen («niches»).
Das Modell macht deutlich, dass der Wandel schon im Gang ist. Der Film «Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen» zeigt Dutzende von Initiativen in Richtung von mehr Nachhaltigkeit und Solidarität, die es verdienen, mehr Breitenwirkung zu bekommen. Auch die Wirtschaft bemüht sich auf der Ebene der «regimes», energieärmer und ressourcensparender zu produzieren. Hier muss einfach darauf geachtet werden, dass eine verbesserte Energieeffizienz nicht durch mehr Konsum und Mobilität zunichte gemacht wird. Der grosse Wandel erfordert last, but not least einen Wandel der gängigen Narrative. Während auch in wohlhabenden Ländern häufig noch eine Stärkung von Eigeninteressen, Konsum und Wachstum propagiert wird, bräuchte der grosse Wandel vor allem bei uns einen Wechsel hin zu mehr Genügsamkeit und Solidarität. NGOs und die Kirchen tragen in dem Mass zum Wandel bei, indem sie diese Werte verkörpern und kommunizieren. Papst Franziskus zeigt in dieser Richtung jedenfalls Leadership.

Grosser Wandel in kleinen Schritten

Der grosse Wandel tut in wohlhabenden Ländern, aber auch in wirtschaftlich ärmeren Ländern Not. Von Letzterem möchte ich eine Erfahrung wiedergeben. Vor zwei Monaten hatte ich Gelegenheit, das Landesprogramm Indien kennenzulernen, wo Fastenopfer mit ca. 120 000 Adivasis und Dalits zusammenarbeitet. Ich besuchte Assam im Nordosten Indiens, wo Reis- und Getreidebanken den Adivasis ermöglichen, über das ganze Jahr hindurch genügend Nahrung zu haben. Statt dass die indigene Minderheit in Zeiten schlechter Ernten Geld leihen muss und an Schulden und exorbitanten Zinsen zugrunde geht, unterstützen sich die Mitglieder der Getreide- und Reisbanken gegenseitig durch gemeinsam angelegte Vorräte. Diese Getreide- und Reisbanken sind Nischenunternehmen im Sinne der «Seeds of the new economy».
Advocacy- und Lobbying-Anstrengungen zielen zudem darauf hin, den Adivasis zu ihren Rechten in den geltenden «regimes» zu verhelfen, was bedeutet, sich für ihren Zugang zu Land, sauberem Trinkwasser und Schulbildung einzusetzen. Einige Adivasis wurden in den letzten Jahren sogar Dorfräte, also Mitglieder der lokalen «regimes»; sie entwickelten sich von einer geächteten Minderheit zu Teilhabern souveräner Gewalt. Das ist wahrlich ein grosser Wandel. Die Regierung Indiens verfolgt gleichwohl unverdrossen ein Entwicklungsmodell, welches sich allein an der Erhöhung des BIP orientiert und eine Einheitskultur propagiert, als ob alle Bewohner Hindus wären. Fastenopfer aber unterstützt die Adivasis darin, ihre eigene Kultur zu stärken, ihre animistischen Rituale zu feiern und gar Kulturfestivals zu veranstalten als Ausdruck einer authentischen Adivasi-Stimme. Dadurch wird deutlich, dass auch der grosse Wandel auf viele kleine Schritte angewiesen ist.

Daniel Wiederkehr


 

Weitere Informationen zur Fastenopfer-Kampagne unter: www.sehen-und-handeln.ch

 


Daniel Wiederkehr

Dr. theol. Daniel Wiederkehr (Jg. 1960) ist promovierter Theologe und hat einen Master in christlicher Spiritualität. Bei Fastenopfer ist er für die «Zukunftswerkstatt Wandel» und die «KlimaGespräche» verantwortlich.