Ein Weg aus der Sackgasse?

Der weltweit ressourcenintensive Lebensstil führt zu drastischen Umweltzerstörungen und -verschmutzungen. Die Kreislaufwirtschaft ist ein alternatives, zukunftsfähiges und für Unternehmen gewinnbringendes Modell.

Mit einem weltweit für Aufsehen sorgenden Aufruf zu mehr Umwelt- und Klimaschutz richtete sich Papst Franziskus 2015 im Vorfeld der Pariser UN-Klimakonferenz an «die gesamte Menschheitsfamilie». Dazu veröffentlichte er seine umfassende Umwelt-Enzyklika «Laudato si’». Er lädt darin die Gemeinschaft «dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten» (LS 14). Papst Franziskus betont dabei die Wichtigkeit des Gesprächs, da die momentane Umweltsituation drohe, die Erde «immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln» (LS 21). Die Umwelt-Enzyklika ist in ihrem Appell eindeutig und unterstreicht den seit Jahren in der Nachhaltigkeitsforschung geforderten Schritt nach vorne. Die Relevanz der globalen Umweltprobleme ist hoch und der Handlungsbedarf akut – weltweit sowie in der Schweiz.
Jeden Tag werfen Herr und Frau Schweizer mehrere Kilogramm Ressourcen in den Müll – genau genommen sind es 729 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Diese Siedlungsabfälle werden im Schnitt zur Hälfte recycelt und zur Hälfte Kehrichtverbrennungsanlagen zugeführt.1 Mit dieser Menge Abfall pro Person fährt die Schweiz den Weltmeistertitel ein – eine unrühmliche Medaille und die dunkle Kehrseite des hiesigen Wohlstandes. Zwar stieg die Recyclingquote in der Schweiz seit 1970 um den Faktor 12 an, doch das Abfallaufkommen ist über die Jahre wegen der wachsenden Konsumgesellschaft nicht zurückgegangen, im Gegenteil.2 Weltweit zeichnet sich mit der Produktion von 3,5 Millionen Tonnen Abfall pro Tag ein ähnlich erschreckendes Bild.3 Prognosen gehen davon aus, dass sich die globale Ressourcennachfrage bis ins Jahr 2050 im Vergleich zum Jahr 2000 verdreifachen wird und damit auch die Menge an Abfall.4 In Anbetracht dessen stellt sich heute dringender denn je die Frage, wie wir uns ökonomisch nachhaltig und sozial verträglich aus dieser Abfallsackgasse manövrieren können.

Das Grundproblem

Seit der Industrialisierung blieb ein Charakteristikum der Industriewirtschaft stets inhärent: Der lineare Zusammenhang von Produktion und Konsum, der in seinen Grundzügen nach dem Muster «take – make – dispose» funktioniert. Unternehmen gewinnen Rohstoffe, die sie unter Verwendung von Energie zu Produkten fertigen, die sie den Endverbrauchern verkaufen, welche diese nach deren Zweckerfüllung wegwerfen und damit der Volkswirtschaft als Ressource entziehen. Die im 20. Jahrhundert vorherrschenden tiefen Ressourcenpreise in Relation zu den Lohnkosten und der daraus resultierende exzessive Rohstoffabbau hatten in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zwar ein bemerkenswertes Wirtschaftswachstum zur Folge, führten aber zu spürbaren Knappheitsproblemen, einem erschreckenden Anstieg der Preisschwankungen und diversen Umweltproblemen.5 So erstaunt es wenig, dass sich die Forschung und immer mehr auch Unternehmen für alternative Ansätze ökonomischen Handelns interessieren. Genau hier setzt die Kreislaufwirtschaft (KW) an.

Die Natur als Vorbild der Ökonomie

Die KW (engl. Circular Economy) präsentiert ein altes Konzept im neuen Gewand. Die Idee: Eine (Um-)Gestaltung des Wirtschaftssystems analog des natürlichen Ökosystems unter Berücksichtigung effizienter Nutzung von Ressourcenkreisläufen. Diese für die KW unabdingbare Parallele zur Funktionsweise des natürlichen Ökosystems wird auch von Papst Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika im Zuge seiner Kritik an der «Wegwerfkultur» (LS 22) gezogen.
Die Förderung und Forderung von Kreislaufsystemen wäre ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen. Die Implikationen für die Gesellschaft sind tiefgreifend, da die Art und Weise, wie wir Dinge tun, nicht nur determiniert, wie wir arbeiten, sondern auch, was wir kaufen, wie wir denken und wie wir leben.6 Wie gelangen aber solche nachhaltigen, geschlossenen Kreisläufe ins Herzen der industriellen Organisation und welchen Einfluss haben dabei Geschäftsmodelle?

Die Instrumente der Kreislaufwirtschaft

Die KW beabsichtigt eine regenerative Industriewirtschaft mit dem Ziel, Ressourcen-Loops zu kreieren, damit das enorme Volumen endlicher Ressourcen eingefangen und wiederverwendet werden kann. Dabei stehen ein systemischer Ansatz und ein sorgfältiges Management der Ressourcenflüsse im Zentrum. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Ressourcen charakterisieren: biologische Nährstoffe, die so konzipiert sind, dass sie problemlos wieder in die Biosphäre eintreten und zu Naturkapital verkommen können (analog zur Kompostierung) sowie technische Nährstoffe, die dank ihrem Design auf qualitativ hohem Niveau im Wirtschaftskreislauf zirkulieren können, ohne in die Biosphäre zu gelangen.7 Es offenbart sich die Relevanz, bereits bei der Produktentwicklung anzusetzen, um die Wiederverwertung gleich per Produktdesign sicherzustellen und zukünftige Qualitätseinbussen sowie möglichen Abfall zu verhindern. Die bekanntesten Instrumente hin zu einer KW sind:

a) ein reduzierter und optimierter Materialeinsatz (z. B. mittels abfalllosen Designs),
b) Reparaturen und Wiederverwendung zur Ausdehnung der Produktlebensdauer (z. B. Secondhand),
c) die Wiederaufarbeitung bestehender Produkte oder Produktkomponenten hin zu neuwertiger Qualität (z. B. Restaurierung)
    sowie
d) das klassische Recycling, bei welchem Produkte in ihre Einzelteile zerlegt und die daraus gewonnenen Ressourcen als Ausgangsmaterialien für neue Produkte verwendet werden.

Dazu bedarf es einer intensivierten Sensibilisierung der Konsumenten sowie der Schaffung des Bewusstseins für den Nutzen von Kreisläufen und die Folgen von Konsum und Abfall.8

Schlüssel zum Kreislauf

Die Krux liegt auf der Unternehmensebene, da Geschäftsmodelle gefunden werden müssen, die die Schliessung der Ressourcenflüsse zu Kreisläufen für Unternehmen – alleine oder im Verbund mit anderen Unternehmen – lukrativ machen. So kann heute davon ausgegangen werden, dass es für funktionstüchtige Kreislauf-Geschäftsmodelle einer Evolution des Verständnisses von Nutzung (Konsumation) und Eigentum bedarf. Das bedeutet: Unternehmen übernehmen verstärkt die Funktion der dauerhaften Produkteigentümer, welche dem Konsumenten «nur» die vorübergehende Produktnutzung und nicht mehr die herkömmliche Einwegnutzung verkaufen und so das Eigentumsrecht an den Produkten beibehalten, darüber hinaus jedoch als Serviceanbieter agieren. Diese Entkoppelung von Produkt-Nutzung und Produkt-Eigentum hätte eine folgenreiche Neujustierung der unternehmerischen Anreize zur Folge, welche die Entwicklung effizienter Rücknahmesysteme und die Bemühungen zur erleichterten Sanierung sowie Demontage von Produkten stimulieren würde. Die damit einhergehende Verlängerung der Wertschöpfungskette kann zu Mehrertrag führen und bindet Kunden intensiver an die Unternehmen. Auch die Ausdehnung der Produkthaltbarkeit liegt so stärker im Interesse der Unternehmen. Die daraus resultierenden Konsequenzen auf die momentan ressourcenintensiven Verbrauchsmuster und Lebensstile der Kunden wären enorm. Mittels solcher Impulse ist es gut denkbar, dass sich langfristig Verhaltensweisen der Genügsamkeit in der Mitte der Gesellschaft etablieren.

Diverse Grosskonzerne versuchen bereits heute vom Kreislaufpotenzial zu profitieren. Zu den prominentesten Beispielen zählt der niederländische Konzern Philips, der für Grosskunden Beleuchtung als Dienstleistung verkauft. Dabei stellt er Leuchten, deren Wartung sowie Entsorgung bereit und betätigt sich so entlang der maximal möglichen Länge der Wertschöpfungskette.
Die Unternehmen werden die treibende Kraft hinter der Kreislaufwirtschaft sein – doch ganz ohne Politik in der Rolle des Katalysators geht es nicht: So benötigt es zwingend die Schaffung kreislauffördernder Rahmenbedingungen in Form finanzieller Anreize zur unternehmens- übergreifenden Kooperation und zur Einführung umweltbewusster Rücknahmesysteme. Die Ellen MacArthur Foundation ermittelt für die Volkswirtschaften Europas einen durch die KW angeregten Netto-Wirtschaftsnutzen von jährlich 1,8 Billionen Euro bis im Jahr 2030.9 Ob dieses Wachstumspotenzial die Schweizer Unternehmen animieren kann, gemeinsam mit den Konsumenten aus den altbekannten Produktions- und Konsummustern auszubrechen, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Bereits heute steht jedoch fest, dass der Weg aus der Abfallsackgasse mit jedem Kilogramm Müll beschwerlicher wird.


Karolin Frankenberger
Fabian Takacs

1 Siehe BFS (2017) zu «Umweltindikator – Siedlungsabfälle».
2 Eine Erklärung dafür liefert der Rebound-Effekt, vgl. dazu SATW (2014), «Kreislaufwirtschaft».
3 Stand 2010, siehe Hoornweg, D. u. a., Environment. Waste production must peak this century, 2013: www.nature.com/news.
4 Vgl. Erhebungen des UNEP von Fischer-Kowalski, M. u. a., Decoupling Natural Resource Use and Environmental Impacts from Economic Growth
  (Report), 2011.
5 Details zum «take – make – dispose»-Muster finden sich bei Ellen MacArthur Fondation, 2013.
6 Vgl. Womack, J. u. a., The Machine That Changed the World, Sydney 1990.
7 Umfassende Darstellung der KW im Report der Ellen MacArthur Foundation, 2013.
8 Vgl. Übersicht möglicher Instrumente bei Evans, J.L. u. a., A tool for manufacturers to find opportunity in the
  circular economy, 2014: www.circulareconomytoolkit.org.
9 Vgl. Übersicht der Ellen MacArthur Foundation, 2015.


Fabian Takacs

Fabian Takacs (Jg. 1991), MA, promoviert seit 2017 an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät bei Ass.-Prof. Karolin Frankenberger am Lehrstuhl für Strategisches Management an der Universität Luzern Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 73 – «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ» – untersucht er das Konzept der Kreislaufwirtschaft mit betriebswirtschaftlichem Fokus auf Geschäftsmodell-Innovationen.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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