Taufe des Herrn

Mt 3,13–17

Die Taufe des Johannes ist ein zutiefst jüdisches Ritual (SKZ 47 / 2016). Johannes steht – wie viele jüdische Propheten im 1. Jh. n. Chr., von denen uns das Neue Testament (Apg 5,36f) und auch Flavius Josephus berichten – für das Hören auf das Wort JHWHs, für eine Erneuerung des Judentums seiner Zeit, für eine überzeugende Halacha, eine Lebenspraxis im Sinne der Tora.

Die Frage, warum Jesus die Taufe des Johannes für sich gesucht hat, führt deshalb mitten hinein in die Identität Jesu – und dies im doppelten Sinne: einerseits in seine Identität als «normaler» Jude seiner Zeit, zugleich aber auch in seine von uns Christinnen und Christen geglaubte Identität als Messias, Christus, Herr und damit in die Christologie. In den Erzählungen von der Taufe Jesu lässt sich so deutlich wie an wenigen anderen Texten des Neuen Testaments die Komplementarität zwischen «Christologie von unten» und «Christologie von oben» entdecken. Das ist auch für heutige Predigt und Pastoral von grosser Bedeutung. Gerade suchende Menschen finden über eine «Christologie von unten» oft einen leichteren Zugang nicht nur zur historischen Person, sondern auch zur christologischen Identität Jesu von Nazareth.

Wie hat Jesus glauben gelernt?

Aus historischer Perspektive dürfen wir davon ausgehen, dass Jesus von Nazareth die Taufe durch Johannes – vorsichtig formuliert – aus «persönlichen Gründen» gesucht hat. Zur Vertiefung seines Glaubens und seiner Beziehung zu JHWH, auf der Suche nach Orientierung für seinen eigenen, höchst persönlichen weiteren Weg. Spekulative Fragen führen hier nicht weiter, helfen aber trotzdem dabei, gewissermassen den «christologischen Horizont» abzustecken, in dem sich diese Entscheidung Jesu bewegt haben könnte: Hat Jesus beispielsweise zu diesem Zeitpunkt JHWH schon in so innig-vertrauter Weise mit «Abba» angesprochen, wie er es später, bei seinem eigenen öffentlichen Wirken, getan hat? Hat Jesus auf dem Weg zur Taufe durch Johannes für sich selbst bereits die herausragende Rolle im endzeitlichen Geschehen JHWHs gesehen, die aus seinen späteren Worten spricht? (Z. B.: «Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen», Lk 11,20; oder: «Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen», Mt 10,32). Anders gefragt: Wann, wie, durch welche Erfahrungen, Begegnungen, in welchen einzelnen Schritten hat Jesus zu seiner unverwechselbaren Identität gefunden? Wie hat Jesus glauben gelernt? Historische Gewissheit wird in diesen Fragen nie zu gewinnen sein. Es spricht aber einiges dafür, dass die mystisch-offenbarende Erfahrung, die Jesus nach dem Zeugnis aller Evangelien bei seiner Taufe gemacht hat, eine herausragende Etappe auf diesem Weg war.

Vielstimmiger Glaube

Die Evangelien spiegeln das in je unterschiedlicher Weise. Zugleich spiegeln sie – ebenfalls je unterschiedlich – ein partielles «Wachstum» des historischen Taufgeschehens im Licht späterer christologischer Bekenntnisse.

Markus erzählt – wie häufig – am nüchternsten: Johannes verkündet zwar einen «Stärkeren», der nach ihm kommt (Mk 1,7f), doch bezeichnet der Täufer im Markusevangelium Jesus nicht explizit als den, den er (Johannes) gemeint hat. Diese Identifizierung wird auf der redaktionellen Ebene der Gesamterzählung, d. h. von Markus selbst, aber nicht vom Täufer hergestellt (1,2f). Die Taufe Jesu stellt sich Markus offenbar so vor, dass nur Jesus selbst sieht und hört, was hier Besonderes geschieht. Die Himmelsstimme redet Jesus dazu passend in der 2. Person an («Du bist mein geliebter Sohn …», Mk 1,11). Die Botschaft gilt ganz und gar Jesus. Man könnte die Szene deshalb auch als Berufungserzählung interpretieren.

Lukas, dem die Erzählung des Markus bekanntlich vorlag, schreibt diese Linie fort. Auch der lk Johannes identifiziert Jesus nicht explizit als den «Stärkeren» (Lk 3,16f). Lukas legt jedoch Wert darauf, dass Jesus «zusammen mit dem ganzen Volk» getauft wird – ein Jude unter Jüdinnen und Juden. Damit ist möglicherweise die Vorstellung verbunden, dass auch das Volk sieht, wie der Heilige Geist «in leiblicher Gestalt wie eine Taube auf ihn herabstieg» (so wörtlich; EÜ: «sichtbar in Gestalt einer Taube»).

Matthäus führt in diese Szene ein ganz neues Thema ein und geht damit wesentlich weiter als Markus und Lukas. Er erzählt als einziger von einem Gespräch zwischen Jesus und Johannes, in dem die fundamentale Höherstellung Jesu gegenüber Johannes zum Ausdruck kommt – und Jesus Johannes bittet, dass dieser, entgegen tieferer Einsicht, mitwirkt, um «jede Gerechtigkeit zu erfüllen» (Mt 3,14f). Hier wird – anders als bei Mk und Lk – postuliert, dass Jesus und Johannes gleichermassen um die Identität und Bedeutung Jesu wissen. Dazu passt, dass die Himmelsstimme Jesus im Matthäusevangelium nicht persönlich anredet, sondern über ihn spricht, also die dabeistehenden Menschen im Blick hat («Dieser ist mein geliebter Sohn …», Mt 3,17).

Johannes schliesslich bettet die Taufe Jesu in eine ausführliche Erzählung von Fragen und Antworten, Suchen und Finden ein (Joh 1,19–51). Die Taufe selber gerät demgegenüber in den Hintergrund. Stattdessen erkennt und bekennt Johannes Jesus von allem Anfang an als «Lamm Gottes»: Er ist der, auf den der Geist herabgekommen und geblieben ist, deshalb ist er der Sohn Gottes (Joh 1,32–34). Bei genauer Lektüre erzählt das Johannesevangelium jedoch nicht explizit, dass Johannes Jesus tatsächlich getauft hat. Die ganze Erzählung legt das zwar nahe, doch bleibt hier eine vom Evangelisten vermutlich bewusst gesetzte «Leerstelle» im Text, die wir Lesenden meist produktiv mit unserer Erinnerung an die Schilderungen der anderen Evangelien füllen, die aber im Johannesevangelium selbst mehr offenlässt als sie enthüllt. Das gehört zu den joh Eigenheiten und dieser Theologie – ähnlich wie der kurze Satz «Es fand ein Mahl statt» in Joh 13,2 an das letzte Abendmahl denken lässt, obwohl Johannes selber «nur» von der Fusswaschung erzählt.

Bei den Erzählungen von der Taufe Jesu bildet das Johannesevangelium damit den (vorläufigen) Endpunkt einer christologischen Entwicklung, die von einer «Christologie von unten» Schritt für Schritt zu einer «Christologie von oben» tendiert. Für Predigt und Pastoral heute ist es ein Glücksfall, dass wir in den biblischen Grund-Urkunden unseres Glaubens eine Vielfalt an Zugängen entdecken können, die den Glauben an Jesus, den Christus, auch heute in Vielstimmigkeit und Freiheit ermöglicht.

 


Detlef Hecking

Lic. theol. Detlef Hecking (Jg. 1967) ist Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich. Seit 2021 ergänzt er mit seiner bibelpastoralen Kompetenz das Team in der Abteilung Pastoral des Bistums Basel.