Tatort Erwachsenenbildung

Mit Programmformaten zu adressatengerechtem Bildungsangebot

Je besser eine Veranstaltung auf die Teilnehmenden ausgerichtet ist, umso mehr spricht sie an und deckt deren Bedürfnisse ab. Durch speziell auf bestimmte Adressatengruppen ausgerichtete Programmformate gelingt es, diese gezielt anzusprechen und Kontinuität in die Angebote der kirchlichen Erwachsenenbildung zu bringen.

«Es kommt ja doch keiner!»

«Grosse Vorbereitungen für nichts! Viele leere Plätze, kein Interesse!», so lauten die Kommentare enttäuschter kirchlicher Mitarbeitenden. «Es gibt zu viele andere Anbieter, wir sind zu klein!», erklären andere ihr fehlendes Angebot in der Erwachsenenbildung. Viele Pfarreien verzichten auf ein eigenes Erwachsenenbildungsprogramm, da sie mit einem Misserfolg rechnen oder ihre bisherigen Bemühungen auf kein Interesse gestossen sind.

Da hilft Partizipation. «Erwachsenenbildung kann erfolgreich werden, wenn sie die Zielgruppe Erwachsene in ihrer Eigenheit und Unterschiedlichkeit ernst nimmt, als Teilnehmer einbezieht und mit ihnen einen offenen und dialogischen Lernprozess gestaltet. »1 Die Zielgruppen ernst nehmen, ja sie in die Planung einer Bildungsveranstaltung mit einzubeziehen ist eine anspruchsvolle Arbeit, für die in vielen Pfarreien die Ressourcen fehlen. Eine kirchliche Erwachsenenbildung, die Angebote aus der pfarreilichen Innensicht kreiert, kann nur teilweise erfolgreich sein, da die Aussensicht vieler Adressaten fehlt. Oft sind Ausschreibungen für Anlässe sehr offen formuliert, und weil alle eingeladen sind, fühlt sich niemand angesprochen. Bereits die Werbung zeigt auf, dass die Anbieter die Bedürfnisse, den Lebensalltag und die Erfahrungen der Teilnehmenden kaum analysieren und in der Vorbereitung berücksichtigen. Die Bedürfnisse und somit auch die Ansprüche an die kirchliche Erwachsenenbildung sind sehr verschieden und werden weitgehend durch die unterschiedliche Nähe und Distanz zur Kirche mitbestimmt. Institutionelle, die in der Kirche sozialisiert sind und sich mit der Institution identifizieren, erwarten anderes als Distanzierte, welche von einem bestimmten Angebot der Pfarrei als Kunden von der Kirche profitieren möchten.

Da hilft nur Partizipation. Bevor überhaupt Erwachsenenbildung angeboten wird, muss eruiert werden, welche Bedürfnisse in welchen möglichen Adressatengruppen vorhanden sind. Kirchliche Mitarbeitende, die für den Bereich Erwachsenenbildung verantwortlich sind, benötigen Beraterinnen und Berater, die in einer Spurgruppe mitdenken, wichtige Themen erspüren, unterschiedliche Bevölkerungsschichten repräsentieren und Multiplikatoren für Werbung und Akzeptanz sein können. Ihr zeitliches Engagement ist auf ein Minimum zu beschränken, denn vier Zusammenkünfte im Jahr reichen. Eine ideale Zusammensetzung einer solchen Spurgruppe fokussiert sich nicht auf reine Anhänger, sondern sucht Beratende aus verschiedenen Altersschichten (25–80 Jahre), in verschiedenen Lebenssituationen (Singles, junge Erwachsene, Eltern, «verlassene» Eltern, Senioren, Alleinerziehende), mit unterschiedlicher Nähe zur Kirche (auch Kirchenferne) und aus verschiedenen sozialen Schichten. Die Lebenswelt der möglichen Teilnehmenden kann so in das Erwachsenenbildungsangebot eingebracht werden.

Zielgruppen definieren und ansprechen

Im Zürcher Dossier «Aufbau der Erwachsenenbildung in der Kirchgemeinde»2 werden die Teilnehmenden in fünf Zielgruppen eingeteilt: Altersgruppen, Schicksalsgruppen, Erfahrungsgruppen, Bildungsgruppen und spirituelle Gruppen. Dies ist eine sinnvolle Einteilung, jedoch sollten Adressatengruppen noch differenzierter berücksichtigt werden. Wie dies maximal umgesetzt wird, können wir von den Medien lernen, die für ihre Produkte ganz gezielt Formate für jeweilige Konsumentengruppen entwickeln. Fernsehserien sind erfolgreich, wenn das Format stimmt.3 Dies erkennt man beispielsweise besonders gut bei der Konzeptionierung der Krimiserie «Tatort». Sie ist so beliebt, weil ihr Format nach den Bedürfnissen der Zuschauerinnen und Zuschauer konstruiert wird. Die einzelnen Ermittlungsteams sind jeweils lokal verankert, es treten eigenwillige Charaktere als Kommissarinnen und Kommissare auf, und aktuelle Themen (z. B. Rassismus, Migration, Kinderhandel, Organhandel) bilden eine Grundlage als Programmformat, auf der sich die Handlung entwickelt.

Programmformate entwickeln

Dieses Erfolgsrezept kann für die Planung und Durchführung von Erwachsenenbildungsangeboten genutzt werden. Ein Programmformat wird bestimmt von der Organisationsstruktur, der Leitidee des Anbieters, der praktisch-methodischen Umsetzung der Leitidee und dem gesellschaftlichen Leistungsprofil.

  • Die Organisationsstruktur ist für alle Veranstaltungen eines Formats gleich. Zum jeweils gleichen Zeitpunkt wird derselbe Lernort ausgewählt. Ob dies pfarreiliche oder allgemeine öffentliche Räumlichkeiten sind, bestimmen der Kursinhalt und der Adressatenkreis.Es ist sinnvoll, wenn eine verantwortliche Person bei allen Anlässen des jeweiligen Formats präsent ist oder eine Veranstaltungsreihe von dieser Person gestaltet und geprägt wird. Dadurch wird im Beziehungsgeschehen eine gewisse Kontinuität erreicht. In einem Format wird mit den jeweils gleichen Partnern eine Zusammenarbeit eingegangen.
  • Die Leitidee (Ausgangslage, Ziele, Inhalte und deren Begründungen) des Anbieters gilt für die ganze Veranstaltungsreihe. Alle Anlässe eines Formats verfolgen gleiche (ähnliche) Ziele und eröffnen neue Teilaspekte eines festgelegten Themenkreises. Eine jeweils gleiche Absicht, z. B. begegnen, austauschen, erleben, sich gemeinsam weiterbilden, gleiche Aufgaben anpacken usw., prägt die soziale Dimension. Veranstaltungen eines Formats sprechen jeweils dieselbe Lebenswelt an und erfüllen die gleiche gesellschaftliche Funktion. Hilfreich ist hier die Sinus-Milieu- Studie,4 welche die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in unserer Gesellschaft beschreibt, um die soziale Zusammensetzung einer Gemeinde zu analysieren.

  • Die praktisch-methodische Umsetzung der Leitidee ist bei allen Veranstaltungen ähnlich. Die Kurssequenzen sind gleich aufgebaut. Die Kursleitenden arbeiten jeweils mit denselben oder ähnlichen Methoden. So wissen die Teilnehmenden, was sie erwartet, und unbeliebten Arbeitsmethoden kann ausgewichen werden. In der Regel gehören gemeinschaftsbildende Elemente zu den Veranstaltungen. In einem Format wird zum Beispiel die eigene Lebensgeschichte betrachtet, die eigenen Erfahrungen werden im Kontext gesellschaftlicher und persönlicher Einflussfaktoren bewusst gemacht und zum Ausdruck gebracht. Oft treten hierbei Bruchstellen in der eigenen Lebensgeschichte in den Vordergrund. Ihre Aufarbeitung kann im besten Fall zu neuen Perspektiven, Handlungsspielräumen und einer neuen Lebensgestaltung führen.

  • Das gesellschaftliche Leistungsprofil eines Formats erbringt eine definierte Leistung für die Gemeinde oder/und für einzelne Mitglieder. Die Teilnehmenden schätzen diese Leistung und damit auch den Anbieter. Die Angebote sind auf gleiche (oder ähnliche) Interessen oder Wertvorstellungen ausgerichtet. Die Teilnehmenden erweitern schrittweise ihre Kompetenzen im entsprechenden Bereich (z. B. Bibelkenntnisse, erzieherisches Handeln, Wissen über Weltreligionen, Alltag und Spiritualität verbinden usw.). Werden Erwachsenenangebote in einem attraktiven Format ausgeschrieben und durchgeführt, steigt die Chance, dass Teilnehmende sich von diesem Format angesprochen fühlen, den Anlass besuchen und nach weiteren ähnlichen Veranstaltungen Ausschau halten. Die Erfahrung zeigt, dass Erwachsene oft eine ganze Reihe des gleichen Formats besuchen. Damit ein Format leicht erkennbar wird, ist es hilfreich, ähnlich lautende Titel oder immer denselben Haupttitel mit wechselnden Untertiteln für die jeweiligen Ausschreibungen zu verwenden. Dadurch wird ein Wiedererkennungseffekt erzielt, der es auch Erwachsenen, welche die Angebote nur vom Hörensagen kennen, ermöglicht, das entsprechende neue Angebot zu finden und einzusteigen.

Beispiele von Veranstaltungstiteln

Mit Kindern die Weltreligionen entdecken, mit Kindern über Gott sprechen, mit Kindern theologisieren, mit Kindern vom Tod sprechen, mit Kindern meditieren, mit Kindern das Kirchenjahr feiern usw. Mit den vier Dimensionen, die ein Format definieren, lassen sich nun differenzierte Formate entwickeln, die auf ganz bestimmte Adressatengruppen, Inhalte, Ziele und Leistungserbringung ausgerichtet sind. Bekannte Formate sind Bibelkurse, Glaubenskurse, Elternkurse usw. Jedoch soll bei ihnen wirklich auf eine sorgfältige Umsetzung des Formats geachtet werden, damit die Adressaten das Format erkennen und auch besuchen.

Tatort Pfarrkirche

Erfolgreich erprobten wir in der Pfarrei Stans ein Programmformat, das sich um die markante Persönlichkeit des Sakristans entwickelte. Lernort wurde dadurch der Arbeitsplatz des Sigristen, die Pfarrkirche. Das Angebot richtete sich an Institutionelle. Als Leitidee verfolgten wir das Ziel, unsere Pfarrei, die Pfarrkirche, die Liturgie und das Kirchenjahr besser kennenzulernen. Methodisch aufbereitet waren die Veranstaltungen mit Besichtigungen, Führungen und einem Blick hinter die Kulissen. Als Leistung wurde bei der Ausschreibung Folgendes versprochen: «Unser Sigrist zeigt Ihnen seinen Arbeitsplatz, berichtet über die anfallenden Arbeiten während eines Kirchenjahres, erzählt Begebenheiten aus dem Alltag, führt Sie in ‹seiner› Kirche an Orte, wo Sie sonst kaum hinkommen, berichtet über Menschen, die er in seinem Arbeitsfeld antrifft.» Die Startveranstaltung «Blick hinter die Kulissen» lockte über 100 Personen an. Weitere Programmpunkte dieses erfolgreichen Formats waren: «Unser Sigrist zeigt den Kirchenschatz» und «offener Kirchturm» und zuletzt «ein Sigrist geht in Pension». Andere Formate verbinden Religion mit Kunst, Historie oder körperlicher Betätigung. Dass sich Sport und Spiritualität verbinden lassen und neue, auch jüngere Teilnehmende ansprechen, zeigen erfolgreiche Experimente mit Bike-Wallfahrten, Schneeschuhwandern, Kanufahren oder Klettern. Die traditionelle Gebetsnacht wird verbunden mit Werken von Malern, Dichtern, Fotografen und Musikern aus der Region, was Kunstinteressierten einen Zugang zur Gebetsnacht eröffnet.

Erfolgsrezept Programmformate

Unsere Erfahrungen zeigen, dass mit dem Konstruieren von Programmformaten, die wesentliche Bereiche unseres Glaubenslebens abdecken und auf ganz bestimmte Adressatengruppen und deren Bedürfnisse ausgerichtet sind, die Pfarrei sich zu einer anerkannten Anbieterin von Anlässen für Erwachsene entwickeln kann. Programmformate helfen mit, dass Inhalte eines Themenkreises (z. B. religiöse Erziehung, Geschichte und Religion, Bibel verstehen, Sport und Besinnung usw.) vertiefter behandelt werden und Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen und Interessen zusammenfinden. Die Veranstaltungen sind gut besucht, da Teilnehmende sich für weitere Angebote eines Formats interessieren und sich durch die Mund-zu-Mund-Werbung neue Teilnehmende einfinden. Am Ende eines Kurses kann bei der Evaluation geklärt werden, ob neue Fragen geweckt wurden und inhaltlich verwandte Themen in einem weiteren Angebot auf Interesse stossen können. Es bilden sich Personengruppen, welche christliche Wertvorstellungen austauschen, sich gegenseitig bestärken und diese in ihrem Alltag auch umzusetzen beginnen. Dies kommt dem Pfarreileben zugute, da Institutionelle wie auch Distanzierte sich auf ihrem Level mit Religion befassen. Die Institutionellen vertiefen ihr Wissen und ihren Glauben, die Distanzierten erkennen ihr neu erwachtes Interesse an religiösen Themen.

1 Matthias Ball (Hrsg.): Werkbuch Erwachsenenkatechese. Katechese im Spannungsfeld zwischen anhänger- und kundenorientierter Verkündigung. München 1999, 28.

2 Matthias Krieg / Brigitte Schäfer (Hrsg.): Aufbau der Erwachsenenbildung in der Kirchgemeinde. Leitfaden. Zürich 2009, 21.

3 Vgl. Ortfried Schäffter: Lernort Gemeinde – ein Format Werte entwickelnder Erwachsenenbildung, in: Annette Mörchen / Markus Tolksdorf (Hrsg.): Lernort Gemeinde. Ein neues Format der Erwachsenenbildung. Bielefeld 2009, 21–38.

4 Vgl. Milieuhandbuch 2005; MDG-Milieuhandbuch 2013. Zu den Sinus-Milieus in der Schweiz: http://www.thchur.ch/ressourcen/download/20070620064546.pdf

Gregor Schwander

Gregor Schwander

Gregor Schwander ist Dozent für Gemeindekatechese und Religionsunterricht am Religionspädagogischen Institut RPI der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.