Stimmt's für dich?

«Für mich stimmt es so.» – «Es hat für mich nicht mehr gestimmt.» – Das sind Sätze, die wir so oder ähnlich immer wieder hören oder auch selbst im Mund führen. Sie können ein Ausdruck dafür sein, dass jemand seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zum höchsten Massstab erklärt. Ein solcher Mensch macht seinen «Bauch» zum Gott (vgl. Phil 3,19). Aber die Aussage «es stimmt für mich» muss nicht von vornherein so oberflächlich und selbstbezogen gemeint sein. Sie kann auch das echte Bemühen zeigen, inneres Empfinden und Ausdruck, eigene Bedürfnisse und Möglichkeiten zu einem stimmigen Ganzen zu gestalten. Wo das nicht möglich ist, «stimmt» es eben nicht mehr. So gesehen ist es dringend angezeigt, auch auf den eigenen «Bauch» zu hören, das heisst: die eigenen Bedürfnisse und Gefühle ernst zu nehmen, denn an der menschlichen Natur vorbei gibt es keine Stimmigkeit. Dazu gehören die Bedürfnisse ebenso wie die Stärken und Grenzen und die Prägungen durch die eigene Geschichte. Der Jesuit Josef Maureder spricht in diesem Zusammenhang vom tragenden Klang der persönlichen Natur.1

Wenn Menschen sagen «es stimmt für mich nicht mehr», schwingt meist die Enttäuschung mit, dass eine Sehnsucht nicht erfüllt wurde. In Bezug auf die Stimmigkeit ist es also nicht unwesentlich, dass die eigene Sehnsucht – Maureder nennt es den bewegenden Klang – zu ihrem Recht kommt. Als Christen gehen wir davon aus, dass auch Gott eine Sehnsucht in Bezug auf den Menschen hat. Ein «stimmiges» Leben im christlichen Sinn kann von Gottes Wort für den Menschen, von seinen Verheissungen, nicht absehen. Sie sind das notwendige «Gegenüber», der lockende Klang, der mit den beiden anderen Klängen der persönlichen Natur und der eigenen Sehnsucht zu einem «stimmigen» Dreiklang werden muss. Der Ausspruch «es stimmt für mich» kann aus christlicher Sicht nur dann bestehen bleiben, wenn auch die Wertedimension miteinbezogen ist. Werte haben etwas damit zu tun, was ich soll, wozu ich berufen bin. Diese Berufung kann ich verfehlen, und dann «stimmt» es eben nicht mehr. Ein Schüler zum Beispiel, der regelmässig und ohne gerechten Grund zu spät in die Schule kommt, würde sich lächerlich machen, wenn er sich darauf beriefe, dass es eben so für ihn stimmt. Es ist eine traurige Sache, wenn ein Mensch die ganze Welt gewinnt (wenn es nur für ihn stimmt), dabei aber die Wahrheit seines Lebens verliert.

Auf der anderen Seite wird eine Berufung «stimmig», wo das, was ein Mensch kann (und nicht kann), seine Sehnsucht und der Anspruch Gottes zu einem guten Ganzen zusammenkommen. Das nehmen in der Regel auch andere von aussen war und stellen fest: Da hat einer seine Berufung gefunden und lebt sie fruchtbar.

Stimmige und unstimmige Motivationen

Berufung ist keine fertige Sache. Sie entsteht – zumindest vom Menschen her – im konkreten Gehen, Schritt für Schritt. Was uns dabei antreibt, ist meist ein ganzes Bündel von Motivationen, das ähnlich wie ein Seil aus verschiedenen Fäden besteht. Auf die Frage, warum ich Priester werde (bzw. geworden bin), kann ich auf Werte und Ideale verweisen, die mir wichtig sind und die ich etwa so zusammenfassen kann: Ich möchte den Menschen dienen in der Nachfolge Jesu. Damit ist die Frage nach der Motivation für diesen Weg aber noch nicht erledigt. Denn es spielen auf meinem Berufungsweg sicher auch andere Motivations-«Fäden» eine Rolle, die mehr von meinen Bedürfnissen bestimmt sind. Darunter sind Bedürfnisse, die sich gut integrieren lassen, zum Beispiel das Bedürfnis nach Wissen, Abwechslung, Selbständigkeit oder sozialer Anerkennung. Andere Bedürfnisse sind «sperriger», und ich stehe nicht gerne dazu, dass auch sie eine Rolle spielen: zum Beispiel das Bedürfnis nach Selbstdarstellung, mich «gross» zu machen. Soll eine Berufung Bestand haben und fruchtbar sein, ist es wichtig, alle diese bedürfnisorientierten Motivationen nicht zu verdrängen. Wo ich sie bewusst wahrnehme und auf das Ideal hinordne bzw. ausrichte, wird die Motivation insgesamt stimmiger. Wo hingegen wesentliche Teile einer Person unbewusst mit den angestrebten Idealen im Widerstreit stehen, geht viel Energie verloren.

Zwei Söhne

Von widerstrebenden Motivationen erzählt Jesus auch in einem Gleichnis: «Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr!, ging aber nicht. Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging doch. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?» (Mt 2,28–30).

Wenn in der Bibel von zwei Söhnen die Rede ist, liegt Spannung in der Luft: Von Kain und Abel über Jakob und Esau bis hin zu den beiden Söhnen im Gleichnis des barmherzigen Vaters. Immer repräsentieren die beiden Söhne Grundeinstellungen zum Leben und Handlungsparadigmen, die sich gegenseitig nicht ohne Weiteres vertragen. Im Gleichnis der ungleichen Söhne öffnet sich der ganze Spannungsbogen zwischen proklamierten Werten und konkretem Tun. Der eine Sohn sagt zwar vordergründig Ja zum Willen des Vaters, setzt ihn aber nicht um, während der andere sich zuerst dem Auftrag des Vaters widersetzt, dann aber bereut und ihm doch folgt. Wer von beiden «stimmiger» gehandelt hat, liegt auf der Hand. Und es bleibt bis heute eine Mahnung, dass Jesus das Gleichnis mit Blick auf die religiöse Elite erzählt: Ihr verkündet schöne Ideale, lebt sie aber nicht. «Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr seid wie die Gräber, die aussen weiss gestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung» (Mt 23,37).

Die «Rettung» des zweiten Sohnes ist, dass er bereut und trotzdem geht. Das ist der hoffnungsvolle Weg Gottes: Wer A sagt, muss nicht zwangsläufig B sagen, wenn er erkennt, dass A falsch war. Der Mensch kann etwas bereuen, sich von innen heraus neu ausrichten und wieder auf den Weg machen. Dabei stehen Barmherzigkeit, Umkehr und Nachfolge in einem inneren Zusammenhang, was auch Papst Franziskus immer wieder betont, unter anderem mit Verweis auf seinen Wahlspruch «miserando atque eligendo » – «aus Barmherzigkeit erwählt».

Das Ganze im Fragment

Es ist ein hoher Anspruch, das eigene Leben in den oben beschriebenen Dimensionen zu einem Ganzen zu gestalten. Für mich ist der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer eine eindrückliche Persönlichkeit, die sich dieser Aufgabe mit aller Konsequenz gestellt hat. Er selbst sagt immer wieder, es müsse um den «ganzen Menschen» gehen, um den «anthropos teleios», der «auf ein Ziel hin» ist. Umso mehr schmerzt ihn, dass durch die Zeitumstände sein Leben in vielem so fragmentarisch ist. Im Brief vom 23. Februar 1944 aus dem Tegeler Gefängnis an seinen Freund Eberhard Bethge schreibt er: «Je länger wir aus unserem eigentlichen beruflichen und persönlichen Lebensbereich herausgerissen sind, desto mehr empfinden wir, dass unser Leben – im Unterschied zu dem unserer Eltern – fragmentarischen Charakter hat (…). Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht.» Das Ganze im Fragment. Dann stimmt es.

 

1 Vgl. Josef Maureder: Wir kommen, wohin wir schauen. Berufung leben heute. Innsbruck 2004.

Beat Grögli

Beat Grögli

Der Priester und Psychologe Beat Grögli (Mag. theol. et lic. psych.) ist Dompfarrer in St. Gallen.