Tanzend in den Tod – und ins Leben

Der Mensch setzt sich nicht gern mit seinem Tod auseinander, obwohl er unausweichlich ist. Die Totentanzdarstellungen* waren deshalb ein wichtiges «Memento mori».

Detail aus dem Basler Totentanz: der Tod und der König. (Historisches Museum Basel)

 

Geistesgeschichtlicher Hintergrund des Totentanzes ist eine volkstümliche Vorstellung, nach der die Toten um Mitternacht aus ihren Gräbern kommen und auf Friedhöfen, in Kirchen oder an Kreuzwegen Tänze aufführen, wobei sie als gefährliche Wiedergänger danach trachten, Lebende in diesen Todesreigen hineinzuziehen. Das Wiedergängertum der Toten und ihr groteskes Tanzen deutete man oft als Strafe für unbussfertige oder mit schweren Sünden beladene Verstorbene. Prediger nutzten das Motiv gern zur auf- rüttelnden Busspredigt.

Auseinandersetzung mit dem Tod

Als ein Vorläufer des Totentanzes gilt die im Frankreich des 13. Jahrhunderts beheimatete Gattung des «Vadomori»-Gedichts, in dem Angehörige verschiedener Stände, die zum Sterben gerufen werden, ihr Schicksal beklagen: Vado mori – Ich gehe zum Sterben.

Eine weitere Wurzel des Totentanzes ist die oft bildlich dargestellte Legende von den drei Lebenden und den drei Toten, die seit dem 12. Jahrhundert fassbar und seit dem 14. Jahrhundert auch im deutschen Sprachraum belegt ist. Kurz gefasst besagt sie, dass drei junge Männer zur Jagd ausreiten und im Wald drei Toten begegnen, die sie an die Vergänglichkeit erinnern. Kern der Erzählung ist der Spruch: «Was wir waren, seid ihr; was wir sind, werdet ihr sein», der seinerseits wiederum viel älter ist und wohl aus dem Orient stammt. Von dieser Legende ging vermutlich auch die Anregung aus, im Totentanz die Toten bzw. den Tod selber sprechen zu lassen.

Nach Hellmut Rosenfeld1 ist die Komposition des Totentanzes in den Pestjahren 1348/49–1351 in Mainfranken, wohl im Dominikanerkloster Würzburg (D) entstanden. Als Erstfassung wird ein im Holzschnitt gedruckter Bilderbogen mit lateinischen Texten vermutet, der den Seelsorgern und Busspredigern an die Hand gegeben wurde. Um 1360 wurden die Texte ins Deutsche übersetzt und der Monolog der Todgeweihten zum Dialog zwischen Tod und Standesperson erweitert.

Monumentale Darstellungen des Totentanzes setzen im 15. Jahrhundert ein, das zugleich auch das grosse Jahrhundert dieser Kunstgattung ist. Den wohl frühesten Totentanz (1425 erwähnt) besassen die Friedhofsarkaden des Minoritenklosters Aux Saints-Innocents in Paris (1529 zerstört; weitgehend erhalten in einer Holzschnittausgabe von Guy Marchant, 1486). Zerstört ist auch der Totentanz von 1436 im Kloster Sainte-Chapelle zu Dijon. Erhalten hat sich dagegen ein Totentanz von 1440 in Notre-Dame in Kermaria (Bretagne) und ein Totentanz in La Chaise-Dieu (Auvergne) von 1460. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien die wichtigsten Totentanz-Darstellungen genannt:

 

  • Basel (Grossbasel), Dominikanerkirche, Friedhofsmauer, um 1440 (1805 abgebrochen; erhalten in Radierungen und Aquarellzeichnungen; einige Fragmente im Historischen Museum);
  • Basel (Kleinbasel), Dominikanerinnenkloster Klingental, Friedhofsmauer, um 1440 (1860 abgebrochen; erhalten in Aquarellkopien);
  • Ulm (D), Kloster Wengen, Kreuzgang, Mitte 15. Jahrhundert (1944 zugrunde gegangen);
  • Lübeck (D), Marienkirche, 1463 (1942 zugrunde gegangen; erhalten in Fotografien und Nachzeichnungen); mittelalterliche Replik in: Tallinn (EST), Nikolaikirche, Antoniuskapelle, um 1500 (etwa 1/3 erhalten);
  • Berlin, Marienkirche, Turmhalle, 1484 (1860 wiederentdeckt);
  • Hrastovlje (SLO), Wehrkirche, 1490;
  • Metnitz (A), Karner, um 1500 (Original jetzt im neu geschaffenen Totentanzmuseum);
  • Wismar (D), Marienkirche, um 1500 (kaum noch erkennbare Fragmente erhalten);
  • Bern, Dominikanerkirche, Friedhofsmauer, 1516–1520 (1660 zerstört; in farbigen Nachzeichnungen erhalten einschliesslich der zugehörigen Texte).

Der Berner Totentanz markiert den Übergang von den klassischen Totentänzen zu den sogenannten Todesbildern, welche den Reigen oder die Tanzreihe in eine Abfolge von Einzelszenen («Bilder des Sterbens») zerlegen. Sie stehen nicht mehr unter dem Aspekt der Busspredigt und nur noch bedingt unter demjenigen des Memento mori. Einen künstlerischen Höhepunkt bilden die 1522–1526 entstandenen Todesbilder Hans Holbeins, an welche die 1543 geschaffenen Todesbilder im Bischöflichen Schloss in Chur anknüpfen. Die Herauslösung aus dem Kontext des Totentanzes wird an Hans Baldung Griens Bild «Der Tod und das Mädchen» (1517) deutlich, das ganz isoliert für sich steht.

Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden noch eine Reihe von Totentänzen, die in der Regel dem Konzept der Todesbilder folgen. Mit der Aufklärung setzte die Säkularisierung des Totentanzes bzw. der Todesbilder ein, die zur Lösung vom religiösen Bezug und vom Memento mori sowie zu neuen, anders gearteten Konzepten führte.

Im 20. Jahrhundert gab es dann zaghafte Versuche, den Totentanz wieder in der kirchlichen Kunst und im sakralen Raum zu beheimaten.

Versteckte Sozialkritik

Was beabsichtigen die Totentanzdarstellungen und welche gesellschaftlichen Funktionen kamen ihnen zu?

  1. Die (spätmittelalterlichen) Totentänze sind in erster Linie ein monumentales Memento mori. Sie stellen die Universalität des Todes plastisch vor Augen. Wie zahlreiche mittelalterliche Frömmigkeitsbücher (etwa die Artes moriendi) fordern sie die Christen auf, an die Endlichkeit des Lebens zu denken und für das Sterben vorbereitet zu sein. Verbunden war das Memento mori stets mit dem Ruf nach Umkehr und Busse. Dass dies so zu verstehen ist, belegt das Bild des Predigers in den Totentänzen.
  2. Die Anbringung der Totentänze an Friedhofsmauern, Beinhäusern, in Turmhallen und Kirchen, vor allem also an jenen Orten, an denen der Volksglaube die mitternächtlichen Tänze der sogenannten Wiedergänger lokalisierte, dürfte darauf hinweisen, dass diese Darstellungen auch apotropäischen (d. h. übelabwehrenden) Charakter hatten, also mittels Bildmagie die schädlichen Kräfte der Wiedergänger sowie das Unheil der todbringenden Pestepidemie bannen sollten.
  3. Der Totentanz transportiert auf eindrückliche Weise die Botschaft, dass im Tod alle Menschen gleich sind. Die einfachen Leute konnten in der von starken sozialen Unterschieden geprägten spätmittelalterlichen Gesellschaft darin einen gewissen Trost und vielleicht auch eine geheime Genugtuung finden, wenn sie daran erinnert wurden, dass den Reichen und den Mächtigen im Tod all ihr Reichtum und ihre Macht nichts halfen, und dass diese am Ende viel mehr zurücklassen mussten als sie (sc. die einfachen Leute). In dieser Sicht sorgte der Tod als der grosse Gleichmacher für eine Einebnung aller sozialen und Standesunterschiede. Dies kommt in den Begleitversen zu den Bildern klar zum Ausdruck.
  4. Der Totentanz entwickelte sich auch zu einem Medium sozialer Kritik. Die Maler, die bisweilen zugleich auch Verfasser der zugehörigen Verse waren, hielten den Höhergestellten, Reichen und Mächtigen den Spiegel ihrer Fehler und Versäumnisse vor. Sozialgeschichtlich sind deshalb die Begleitverse von grosser Bedeutung. Besonders scharf ist die Kritik an Klerus und Mönchen, während die weltlichen Stände insgesamt etwas besser wegkommen.

Der Tod hat in den Totentänzen allerdings nicht das letzte Wort. Die Tanzenden bewegen sich meist auf das Bildnis des gekreuzigten Jesus Christus zu, der durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod gerade besiegt hat. Die Texte zum Totentanz lenken in der Regel am Schluss den Blick auf die Auferstehung, das Jüngste Gericht und das ewige Leben. Die Holzschnittausgabe des Pariser Totentanzes von Guy Marchant schliesst mit der seltsamen in ein Franziskanerhabit gekleideten Gestalt des Doktor Macabré, zu dessen Füssen der tote «König Tod» liegt. Das ist eine bildliche Umsetzung von 1 Kor 15,26, wonach als letzter Feind der Tod vernichtet wird. Der Tod holt zwar alle Menschen, aber er hat nicht das letzte Wort.

Michael Durst

 

1 Vgl. Rosenfeld, Hellmut, Der mittelalterliche Totentanz. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, AKuG Beiheft 3, Köln/Wien 31974.

* Totentanz im engeren Sinn ist die bildliche Darstellung von mit Toten- oder Todesgestalten (Personifikationen des Todes) gepaarten Ständepersonen in Reigen- oder Tanzhaltung, wobei oft eine oder mehrere Totengestalten musizieren. Monumentale Totentänze waren meist an Friedhofs- und Klostermauern wie auch in Beinhäusern und Kirchen angebracht. Oft waren die Darstellungen durch Verse begleitet. Die ältesten Totentänze zeigen soeben Verstorbene aller Stände, die mit halbverwesten Totengestalten zum Reigentanz gezwungen sind. Später wurde es üblich, die von jeweils einer Toten- bzw. Todesgestalt begleiteten Standespersonen in hierarchischer Folge nach Art einer Prozession aufzureihen, die sich auf einen Kruzifixus zubewegte. Meist gibt es auch ein Bild der Stammeltern Adam und Eva, das auf den Sündenfall als Ursache des Todes weist, und eines Predigers auf einer Kanzel, der an die Allgegenwart des Todes erinnert und zur Umkehr ruft.


Michael Durst

Prof. Michael Durst (Jg. 1953) studierte Theologie und Philosophie in Bonn (D). Er ist seit 1995 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte und Patristik/Patrologie an der Theologischen Hochschule Chur.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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