Studierende in Theologie erfahren Taizé

Was waren die ersten Eindrücke von Taizé? Esther R. Suter führte Interviews mit sieben Theologiestudierenden, die in Taizé an einer speziellen Kompaktwoche teilnahmen.1

Wer bereits den Ort Taizé kannte, war Markus L. Er nahm 2015 am ersten theologischen Symposium teil, anlässlich des 100. Geburtstags von Roger Schutz, und war sehr angetan. Barbara S. besuchte Taizé als Sechzehnjährige zusammen mit Konfirmanden und ihrem Vater als Gemeindepfarrer. Für sie hat sich neu bestätigt: Taizé ist der friedlichste Ort auf der Welt. Das Zusammenleben funktioniert, alle sind glücklich und freundlich.

Ihre erste Erfahrung beschreibt Lilian G. als intensiv und herausfordernd, sowohl physisch als auch psychisch und mental. Die Gottesdienste mit den repetitiven Gesängen, der schlichten Bibellesung und das gemeinsame Stillsitzen, als Geschehen, das "einen hineinzieht, man kann sich dem kaum entziehen ". Lisa de A. fühlte sich zuerst überfordert und beengt: morgens die Bibelkurse und nachmittags die Vorlesungen, zu viele Eindrücke auf einmal, die sie nicht gleich einordnen konnte.

Studierende aus unterschiedlichen Milieus

Alle Studierenden sind kirchlich engagiert: Markus L. wuchs in der Landeskirche auf, wechselte dann zu einer Freikirche, um sich wieder der Landeskirche zuzuwenden. Er hat ausserdem Kontakte zu Kommunitäten. Lisa de A. ist auf dem Papier katholisch. Für sie ist neu die Mitwirkung im Zentrum für Kirchenentwicklung (ZKE) zentral mit der Frage, wie es mit der Kirche weitergehen soll. Sie schreibt ihre Bachelorarbeit zu "Zukunft der Kirche – Kirche der Zukunft" und meint: "Mein Herz brennt dafür, dass Kirche besser kommuniziert wird, die ganze Tradition hat einen weisen Kern. Doch die Kommunikation funktioniert nicht mehr richtig nach aussen, obwohl das Bedürfnis da wäre in der Gesellschaft. Das ZKE hat die Problematik erkannt und arbeitet daran."

Permanent(e)s

Auch Barbara P. kennt die Landeskirche wie auch die freie evangelische Gemeinde. Sie trug Verantwortung in Jugendarbeit und Konfirmandenunterricht. Sie sah es als Chance, nach Taizé zu gehen. Die Seelsorge, wie sie in Taizé ausgeübt und gelebt wird, zeigte ihr nochmals neue Aspekte auf. Die "permanents", die freiwillig eine Zeit lang in Taizé leben und arbeiten, führen wöchentlich ein Gespräch mit einem Bruder bzw. einer der St.-André- Schwestern. Diese Seelsorge unterscheidet sich vom Clinical Pastoral Training. Jugendliche können sich auch nach dem Abendgebet an einen Bruder oder eine Schwester wenden, die in der Kirche bereit stehen fürs Gespräch. Sie war erstaunt, wie Jugendliche an einem fremden Ort Seelsorge aufsuchen und vielleicht eine Meinung hören von einer Person ausserhalb des eigenen Umfelds. Bereichernd waren die Erklärungen von Fr. Richard zur Seelsorge in der Gemeinschaft: Ältere begleiten einen jüngeren Bruder während der ersten Jahre. So erbrachte das Thema Seelsorge ganz neue Aspekte durch das Erleben am Ort selbst.

Barbara S. hatte eh vor, einen Monat in Taizé zu sein. Sie kam drei Wochen vorher und übernahm wöchentlich wechselnde Aufgaben, die ihr mit den "permanents" zusammen viel Spass bereiteten. Zum Beispiel erklärte sie den "day visitors" Taizé, Leuten, die vorbeischauten, meist ohne viel Ahnung, was Taizé sei. Sie blieben meist zu Gebetszeiten. Seelsorge ist für Barbara S. eines der interessantesten Gebiete für das Pfarramt: "sich um die Seele der Menschen zu kümmern, ist schön, menschlich und sozial; zuzuhören, ein paar Fragen stellen und so zu helfen". In der Gemeinde sei Seelsorge meist ein Einzelgespräch. Ein anderer Aspekt sei nun, Seelsorge gegenseitig in Gruppen zu üben. Wichtig war für sie, dass sie verschiedene Seiten von sich kennen lernte: auf Leute zugehen, offen sein können und fröhlich. In den vier Wochen in Taizé konnte sie durchgehend lachen. Einfach fröhlich sein zu können, tue gut. Sie bemerkte viele junge Menschen, die am Glauben interessiert sind. Es sei dort leichter, tiefergehende Gespräche zu führen über ihr Innenleben und so schnell in ein Seelsorge-Gespräch zu kommen. Seelsorge passiert einfach. Mit andern zusammen zu sein, tut der Seele gut.

Seelsorge in Gemeinschaft

Nicole B. bezeichnete es als wichtigste Erfahrung, mehr über Seelsorge in Gemeinschaft zu lernen. Sie zitiert den Zisterzienser Bernard von Clairvaux (11. Jhd.): Ich kann weitergeben, was von mir überfliesst. Sich füllen lassen, was überfliesst, kann weitergegeben werden, das ist genug. "Das habe ich begriffen. Was ich erlebt habe hier, die Tagzeitengebete, die vielen Gespräche, sie füllen meine Schale; meine Batterien werden aufgeladen, meine Seele wird gebadet. Das öffnet meinen Seelsorge-Begriff."

Lisa holt aus: "Wir müssen ein Modul in Praktischer Theologie besuchen, für mich war es aber freiwillig. Bruderschaften und ihr Lebensstil haben mich immer schon begeistert, und ich fand das Angebot im universitären Rahmen cool. Früher war ich mal Ministrantin." Bei ihr zu Hause wurde nicht über christliche Werte gesprochen. Nach Schulabschluss, im Zwischenjahr, wollte sie nach Norwegen gehen und fand im Internet ein Angebot für Freiwilligendienst in einem Frauenkloster. Sie schrieb und konnte gehen. Diese intensive Zeit benötigte eine lange Aufarbeitung. Als erst Achtzehnjährige erlebte sie viel Zeit der Stille und um selber zu denken, das war schwierig und gleichzeitig etwas vom Schönsten. Es sei nötig, zuerst sich selbst kennen und aushalten zu können, um offen zu sein für andere, für Gemeinschaft. Damals hatte sie noch nicht vor, Theologie zu studieren.

Das Seminarangebot in Taizé erlebte sie als eine Art Lebensschule. Es hat ihr viel gebracht, nicht viel zu denken, sondern "in die Natur des Seins hinein zu fallen". Als Natur pur bezeichnet sie es, ohne es in theologische Begriffe zu fassen; die Liebe Gottes wird einfach ohne Worte gelebt, zusammen mit Menschen anderer Nationen und Religionen. "Es ist gelebte Akzeptanz, Toleranz, Liebe; das hat mich fast übermannt, so sehr hat es mich berührt." Durch das Studium sind bei ihr Glaubensfragen aufgebrochen. Mit Gottesbegriffen bekam sie ihre Mühe, auch mit "Jesus" und wer er war. "In Taizé habe ich nicht gross religiös reflektiert, sondern etwas gespürt, das mir Kraft gab, neu darüber nachzudenken. Auch theoretisches Nachdenken braucht es."

Lilian G. interessierte zunächst die Spiritualität von Taizé. Sie hat ihre Bachelorarbeit zum Thema Mystik und Gebet geschrieben. Dabei ging sie den Fragen nach: Was ist die Funktion des Gebets in der Mystik? Gibt es eine mystische Dimension des Gebets? Ausgehend von Teresa von Avilas Mystik zeigte sie auf, dass in der Spiritualität die Erfahrungsebene wichtig ist. So beschrieb Teresa das Gebet als inneres Gebet, als Gespräch mit einem Freund. Mystische Erfahrung ist ein Geschehen, das über den Verstand hinausgeht.

Markus L. hat vom Seminar sehr profitiert. Für ihn bedeutet Seelsorge die Zukunft, auch in Bezug zu gemeinschaftlichem Leben, zu dem er eine Affinität hat durch Verbindungen zu Kommunitäten. In Taizé konnte er als normaler Teilnehmer das gemeinschaftliche Leben neben der Vorlesung teilen. Das Zusammen-Gehen von Gemeinschaft und Seelsorge wurde theoretisch aufgearbeitet. Durch die Begleitung von Fr. Richard, die Anwesenheit von St.-André-Schwestern und Sr. Pierrette von Grandchamp wie auch der Permanent(e)s.

Unter der Leitung von Konrad Meier gestaltete sich ein Nachmittag im Gespräch über das Mitwirken der Schwestern in Taizé. Studierende stellten fest, dass die katholischen St.-André-Schwestern eine andere Art von Spiritualität leben und Seelsorge ausüben, die ignatianisch geprägt ist: Seelsorge als Form geistlicher Begleitung. Die weiblichen Permanentes haben diesen Unterschied angemerkt. Die Brüder von Taizé, erklärt Markus, richten sich nach dem Rat ihres Gründers, zuzuhören (écouter), wie in seinen Tagebüchern beschrieben. Frère Roger hat auch von Dietrich Bonhoeffers "Gemeinsames Leben" einige Anregungen für die Gestaltung des Lebens in Gemeinschaft aufgenommen. Fr. Richard betonte, das gute Potenzial im Menschen zu sehen und nicht die Sündhaftigkeit, was die Texte von Frère Roger ebenfalls spiegeln. Damit wird der befreiende Aspekt betont und nicht das Verurteilen: Annehmen und Lieben ist über alles zu stellen. Benjamin Manig stellte seine Bachelorarbeit "Seelsorge als Ausdruck des allgemeinen Priestertums in der Communio Sanctorum" mit der Umfrage in der Gemeinde Illnau-Effretikon vor, verifiziert an den zwei Theoriekonzepten von Gemeindeseelsorge als Priestertum aller Gläubigen und als Communio Sanctorum. Im ganzen Zusammenhang des Seminarthemas kommt diesen Konzepten hohe Brisanz und Relevanz zu.

Kritisches zum Verhältnis Frau und Mann

Einige kritischen Überlegungen kamen auf. "Wieso werden die (weiblichen) Permanentes nicht eingeladen zum Essen mit Brüdern?" Oder die Haltung des Dienens fiel bei den St.-André-Schwestern auf. Sie wurden nicht als profiliert erlebt, und die Stellung der Frau war für sie kein Thema. Anderseits wurde das Problem mit einer "patriarchalen" Theologie erwähnt und das Bedürfnis nach mehr feministischund befreiungstheologischen Themen an der Fakultät geäussert. Gleichzeitig fiel einigen auf, dass in Taizé viele egalitäre Elemente vorhanden sind und wenig Form vorgegeben wird. Niemand stand den Gebetszeiten als Liturg vor. So werden die Gäste motiviert, sich selbst einzufinden, es wird ihnen zugetraut, dass sie selber Gott suchen.

Ein Eindruck festigte sich, dass die Suche nach Versöhnung praktisch gelebt wird, auch als Anliegen unter Christen und Anstoss zur Ökumene. Zudem kamen existentielle Fragen auf wie: Wie habe ich es echt mit der Vergebung? Auch wenn der Konflikt ausgehandelt ist, was ist Versöhnung und wie geschieht sie?

Vorlesung in Taizé

Zum ersten Mal bot eine theologische Fakultät eine "Vorlesung in Taizé" an. Ralph Kunz, Ordinarius für Praktische Theologie in Zürich und Co-Leiter am Zentrum für Kirchenentwicklung (ZKE), Konrad Meyer (Diakoniestelle Reformierte Kirche Basel-Stadt) und Frère Richard erarbeiteten zusammen das Angebot "Seelsorge in der Gemeinschaft – Gemeinschaft in der Seelsorge" als eine Kompaktwoche in Taizé, kombiniert mit den Angeboten der Communauté und der Lebensweise in Taizé. Sechzehn Studierende zwischen 19 und 55 schrieben sich ein, zehn Frauen und sechs Männer. Im Anschluss an diese Seminarwoche waren sieben Teilnehmende zum Gespräch bereit.

 

 

1 GesprächspartnerInnen waren: Lisa de Andrade (21), studiert in Zürich. Nicole Bruderer (43), Rorschach, studiert in Zürich, arbeitet Teilzeit als Religionslehrerin an der Volksschule. Markus Landolt (36), Basel, studiert berufsbegleitend. Benjamin Manig (23), studiert in Zürich, stellte seine Bachelor-Arbeit vor zu "Seelsorge als Ausdruck des allgemeinen Priestertums in der Communio Sanctorum". Barbara Pfister (40), Bubikon; studiert in Fribourg; Berufserfahrung als Kindergärtnerin, arbeitet Teilzeit als Hortleiterin. Lilian Gächter (55), Oberrieden, Familienfrau, eh. Kindergärtnerin, studiert in Zürich. Barbara Steiner (19), Winterthur, studiert in Zürich.