Wie gehen wir mit Fremden um?

Kirche in Bewegung – migrantisch. politisch. vielfältig. solidarisch. Dies war der Titel der gemeinsamen Studientagung der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz und der Interdiözesanen Koordination der Seelsorgeräte vom 3./4. November in Zürich. Im Mittelpunkt standen der menschliche Umgang mit Asylsuchenden sowie die Stellung der anderssprachigen Kirchen (früher "Ausländer-Missionen"). Der Austausch der diözesanen und kantonalen Seelsorgeräte zeigte die vielfältigen Aktivitäten dieser Gremien.

Das fulminante Einstiegsreferat hielt Hugo Fasel, Direktor Caritas Schweiz, zum Thema "Flüchtlinge – Fakten und Herausforderungen ". Der Vortrag begann mit einer kleinen Überraschung. Fasel meinte, er wäre froh, wenn wir uns vor allem an eine höchst einfache Zeichnung erinnerten. Diese bestand aus einem Strich, der in der Mitte durch einen Querstrich zweigeteilt war. Der Anfang würde die Situation der Asylsuchenden bei ihrer Flucht bedeuten. Dann sei der weitere Verlauf der Flucht gemeint.

Der Querschnitt symbolisiere die Flüchtlinge an der Schweizer Grenze. Die meisten Schweizer interessierten sich nur dafür, während ihnen die Vorgeschichte dieser Menschen ziemlich egal sei. Das Ausblenden der Fluchtursachen führe dazu, dass bei vielen kaum menschliches Mitgefühl für die Asylsuchenden aufkomme. Diese würden als Bedrohung für unsern Wohlstand wahrgenommen, als "Sozialschmarotzer ". Oder sie gälten als Drogendealer und andere Kriminelle.

Was geschieht in Syrien?

Hugo Fasel fand es darum für äusserst wichtig, an die verdrängten Fluchtursachen zu erinnern, wobei er sich auf das Beispiel Syrien konzentrierte. Dort sei der Alltag von Bombardierungen geprägt. Wie in jedem Krieg komme es zu unvorstellbaren Gräueltaten. Frauen und schon Mädchen werden vergewaltigt, und dauernd werden Menschen entführt. Verletzte werden nicht gepflegt. Ihre Organe werden entnommen und verkauft – ein Milliardengeschäft. Und sogar mit den Toten lässt sich Geld beschaffen, indem ihre Leichname den Angehörigen erst gegen die Bezahlung horrender Summen überlassen wird.

"Wer von uns würde nicht fliehen?"

Der Referent fragte: "Wer von uns würde in einer solchen Situation nicht fliehen?" Und: "Die fliehenden Menschen können nicht aufgehalten werden: weder durch Zäune noch durch Mauern; auch nicht durch das Meer, erst recht nicht durch asylpolitische Gesetzesverschärfungen. Diese Menschen kämpfen ums pure Überleben. Flucht ist für sie der einzige Ausweg." Der Caritasdirektor sieht für die Schweiz nur die Alternative "Abwehr oder Aufnahmen". Abwehr bedeutete in letzter Konsequenz den Einsatz von Gewalt, auch von militärischer. Wer hingegen für die Aufnahme von Asylsuchenden plädiere, setze sich dafür ein, dass das Recht auf Asyl respektiert werde und die Ankommenden "menschenwürdig versorgt und betreut werden". Es sei klar, welche Praxis dem Evangelium entspreche mit der Verheissung Jesu: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Kommt her. Euch gehört das Reich Gottes."

"Essen Sie schon Kebab?"

Die zweite Thematik des Studientages, die Beziehungen zwischen den Pfarreien und den Gemeinschaften der Migranten, wurde eingeleitet durch Arnd Büker. Der Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts/SPI machte den Vorschlag eines Konzepts für die "Migrationspastoral als Entwicklungsperspektive für die kommenden 10 bis 15 Jahre". Dabei sprach er von der "postmigrantischen Gesellschaft". Dieser Begriff halte fest, "dass sich unsere Gesellschaft und unsere Kirche längst durch Migration verändert haben". In seiner Power- Point-Präsentation zeigte Büker zwei Bilder der "neuen Schweiz", zuerst die Fotos von Mitgliedern unserer Fussball-Nationalmannschaft mit ausländischen Namen und verschiedenfarbigen Gesichtern, dann die scherzhafte Frage: "Essen Sie schon Kebab? Oder immer noch Spaghetti?"

Keine "Noch-Pastoral"

Mit Blick auf die früher "fremdsprachige Missionen" genannten Migrationskirchen erinnerte der Soziologe daran, dass diese Glaubensgemeinschaften früher im Zusammenhang von vorübergehender "Noch- Pastoral" betrachtet wurden. Sobald ihre Mitglieder sich an die Schweizer Gewohnheiten angepasst hätten, würden sie sich in die "normalen" Pfarreien integrieren, so die Erwartung. Der Paradigmenwechsel zur "postmigrantischen Kirche" aber anerkenne, dass die Veränderungen durch die Migration dauerhaft als Teil der Kirchenwirklichkeit und Kirchenidentität zu begreifen seien. Diese sei gekennzeichnet durch "mehr Vielfalt von Sprachen und Kulturen, Hybriditäten und Vermischungen, mehr Unterschieden und Spannungen, mehr Buntheit, mehr Überschaubarkeit, mehr Überraschungen ". Dies alles gehöre heute und morgen zur kirchlichen Identität und verlange inhaltliche, organisatorische sowie strukturelle Anpassungen. In dieser Sicht sind Migrationsgemeinschaften und Pfarreien gleich "normal". Und: Migrationsgemeinschaften sind Teil der Schweizer Kirche und nicht bloss ihre Gäste.

Das Schweigen der Kirche

Die Zürcher Synodalrätin Franziska Driessen-Reding, Ressortverantwortliche für Migrantenseelsorge, bedauerte in einem "Halb-Podium", dass die oberste Kirchenleitung in der Schweiz in letzter Zeit mit Stellungnahmen zum Asylbereich "sehr zurückhaltend " war, obwohl die Kirche die Aufgabe habe, sich für die Schwachen einzusetzen. Seit 1996, als Justitia et Pax sich deutlich zur Problematik geäussert habe, hätte es in unserem Land keine deutlichen kirchlichen Positionierungen von katholischer Seite gegeben.

Anders der Vatikan, der sich öfter klar äussert. Franziska Driessen-Reding zitierte als Beispiel aus einer Instruktion des päpstlichen Rates für Migranten und Menschen unterwegs aus dem Jahre 2004: "Die prekäre Situation so vieler Fremder, die die Solidarität aller hervorrufen müsste, weckt stattdessen bei vielen Angst und Furcht; sie halten die Immigranten für eine Last, betrachten sie mit Argwohn und sehen in ihnen geradezu eine Gefahr und Bedrohung. Dies provoziert oft Äusserungen der Intoleranz, der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus. " Weiter bedauerte die Zürcher Synodalrätin, dass vorläufig Aufgenommene nicht die Möglichkeit haben, berufliche und private Perspektiven zu entwickeln.

Überholte "Mühlordnung"

Tobias Kessler, deutscher Scalabriniani-Missionar, betonte in einem weiteren "Halb-Podium", in Kirche und Gesellschaft sei die Integration der Fremden der hauptsächlichste Aspekt der Migration. In seinen philosophisch-theologischen Überlegungen befasste er sich ausführlich mit der biblischen Erzählung des Turmbaus von Babel. Diese sei eine Kritik der Ideologie der Einheit. Er gab zu bedenken, dass Einheit und Vielfalt zwei gleichberechtigte Aspekte der Gemeinschaft (communio) seien. Kessler erwähnte die traditionelle "Mühlordnung ": Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. In einer globalen mobilen Welt dürfe diese nicht angewandt werden. Sonst würden die Migranten immer zu kurz kommen.

Kochen und Essen

Anschliessend diskutierten die Teilnehmenden der Tagung in deutschen und französischen Ateliers über das Thema "Katholische Kirche im Wandel. Zukunft in Vielfalt." Auch hier wurde die Wichtigkeit der Integration betont. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass die Zugezogenen bereits viele Veränderungen auf sich nehmen mussten, bis sie bei uns ankamen. Weiter wurde postuliert, dass die Vielfalt wahrzunehmen und zu fördern sei, um Assimilation zu vermeiden. Als konkrete Massnahmen wurde zum Beispiel gemeinsames Kochen und Essen vorgeschlagen. Denn: "Selbst Migrantinnen, die weder lesen noch schreiben können, sind meistens hervorragende Köchinnen." Und: Auch hier gehe Liebe durch den Magen.

Weiter wurden gemeinsame mehrsprachige Gottesdienste vorgeschlagen. Zumindest sollten Anderssprachige in ihrer Muttersprache gegrüsst werden. Oft vermittelten ihnen schon wenige Worte in ihrer Sprache das Gefühl, dass sie akzeptiert sind. Ein Priester erzählte: "Ich habe mal nur drei Worte in einer bestimmten Sprache gesprochen und ein Paar aus diesem Sprachraum hat mir überschwänglich gedankt …"

Was tun die Seelsorgeräte?

Der Tagung voraus ging die 33. "Interdiözesane Koordination IKO" der diözesanen und kantonalen Seelsorgeräte. Am Nachmittag des 3. Novembers blickten 13 Delegierte dieser Räte auf ein vielfältiges Tätigkeitsjahr zurück. Eva Baumann-Neuhaus vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut fasste auf souveräne Art die vorliegenden Jahresberichte zusammen.

Manche Räte engagierten sich für Flüchtlinge und Migranten. Sie waren überzeugt: "Mobilität, Wandel, Suche, Lernen und Transformation sind in einer mobilen Gesellschaft mit mobilen Individuen ein Dauerprozess."

Ebenso war die Erneuerung und Verlebendigung der Kirche vielen Räten ein zentrales Anliegen. So fragte der kantonale Seelsorgerat Zürich unter dem Motto "Kirche auf die Füsse stellen": "Wie können Menschen begeistert, gefördert, ermutigt und ermächtigt werden, Kirche vor Ort selbst zu gestalten?" Eine ökumenische Tagung mit dem Netzwerk "Fresh expressions" widmete sich dieser Frage. "Vision Kirche Oberwallis 2022" nennt sich ein Projekt des deutschsprachigen Rates des Wallis. Möglichst weite Kreise sollen dabei einbezogen werden, um "mit Mut und Weitblick" die Zukunft der Kirche zu gestalten.

"Dank-Kultur"

Allen Räten ist eine gute Kommunikation ein Anliegen: mit der kirchlichen Basis, den Kirchenleitungen und – via Medien – mit einer breiten Öffentlichkeit. Grossen Stellenwert hat ebenso die Förderung des Engagements möglichst vieler Laien. Im Rahmen einer "Dank-Kultur" würdigen einige Räte die Laienmitarbeit durch Preise oder Veranstaltungen. Dazu gehören auch Angebote der Weiterbildung.

 

Walter Ludin

Walter Ludin

Br. Walter Ludin ist Kapuziner und schreibt als Journalist BR für verschiedene Medien. Er lebt im Kloster Wesemlin in Luzern.