Stimmen zur SKZ 06 «Macht in Frage»

Jesu' demonstrative Machtlosigkeit

Ein Haken bei der Machtfrage in der Kirche scheint mir zu sein, dass die biblische Rede von der Vollmacht sich mit der menschlichen Denkweise bezüglich der Macht verquickt hat. Ablesbar ist das daran, wie etwa der Bischof von Rom, der Stellvertreter Christi, mehr und mehr Insignien, Titel und Zeremonien vom römischen Kaiser und seinem Hof übernommen hat. Das macht offenbar, wie er sich in seinem Amtsverständnis vom Amts- und damit vom Machtverständnis des römischen Herrschers inspirieren liess. Unter der Hand wurde da die jesuanische Vollmacht in menschliche Macht transformiert. Es war aber sicher kein Zufall, dass Jesus seine Botschaft als mittelloser Wanderprediger gerade ohne Machtstellung und ohne Machtmittel verkündete. Die geradezu demonstrative Machtlosigkeit war genau Teil seiner Botschaft, die sich an den machtorientierten und so erlösungsbedürftigen Menschen richtete. Jesus hat nicht die Macht abgeschafft, weil er dann den Menschen hätte abschaffen müssen. Aber in seiner Haltung war der Machttrieb transformiert und er lädt seine Schülerinnen und Schüler ein, sich auch auf einen Transformationsprozess einzulassen. Letztlich geht es darum, durch Machtverzicht andere zu ermächtigen. Das sollte, so meine ich, auch in den kirchlichen Amtsstrukturen zum Ausdruck kommen.

Wendeln Fleischli,
Pastoralassistent in Altdorf

 

Gestaltend Einfluss nehmen

Noch ist die Zeit nicht gekommen, Bilanz zu ziehen über die Bewältigung der Missbrauchskrise in der Kirche. Die Nummer 06/2020 der SKZ rückt das Thema «Macht in Frage» ins Zentrum. Dabei fällt auf, dass der Umgang mit Macht in der gegenwärtigen Kirche definitiv nach mehr Mitgestaltung durch alle am kirchlichen Geschehen Beteiligten verlangt. Ein «bewusster Umgang mit Macht» sei gefordert, meint Bischof Felix Gmür, und plädiert mit Verweis auf die paulinische Charismenrede (1 Kor 12) für «verantwortungsvolle Mitgestaltung». Da spricht er vielen aus dem Herzen, die der beschämende Missbrauch geistlicher Macht bis in die jüngsten Tage erschreckt – bis in aktuell einschneidende Personalentscheide.

Was tun?
Autorität auszuüben, ist keine einfache Sache und hat Wirkungen – eigentliche Schlagseiten leider nicht ausgenommen. Was tun? Einerseits kann gegenseitige Unterstützung die Aufgabe der Leitung erleichtern, wodurch man die «Amtsgewalt» transparenter gestaltet. Weitere Reflexionen und Massnahmen wären nötig. Ich denke besonders an die kirchenrechtlich aufgrund der Ordination definierte «sacra potestas» (vgl. nebst KKK 1538 auch 875), die nach meinem Dafürhalten einen kräftigen Umbau in Richtung eigentlicher Rollendemut benötigte. Wie soll dies geschehen? Da gilt weiterhin, dass das Weihesakrament explizit Männern allein das Handeln «in der Person Christi des Hauptes» (KKK 1548) möglich macht. Hier nachzufragen ist legitim, nachdem Papst Franziskus mehrfache Kritik am Klerikalismus anmahnte. Gerät nicht in klerikale Selbstüberhöhung, wer sich im Vollzug der Feiern des Glaubens als Christus selbst sieht? Wer sich gar zwischen die direkte Beziehung der einzelnen Gläubigen zu Christus stellt bzw. in diese einmischt?

Taufe legitimiert zu sakramentaler Sendung
Wer sakramental gesandt mit den Menschen den Glauben feiert, bleibt weiterhin wie alle Mitfeiernden auf dem Weg zu Christus und wird nicht gleich zum «Christus».1 Priesterliche Existenz gründet in der Taufe, die sich in jeder sakramentalen Sendung neu entfaltet – was jedoch nicht legitimiert, sich je selbst an die Stelle Jesu Christi zu stellen. Mithin ist seit der Taufe jedes priesterliche Wirken gehalten, im Geiste der Jesusnachfolge auf IHN hinzuweisen und nicht IHN tale quale zu repräsentieren. Jede getaufte Person tritt in Beziehung zum Auferstandenen, verschmilzt aber nicht mit ihm – und nimmt als Glied des Leibes Christi teil am sakramentalen Handeln.

Unterscheiden tut not
Wird dann aber nicht die oben genannte geistig-geistliche Kraft der «sacra potestas» untergraben? Hier müssen wir neu unterscheiden lernen. So vieles an Machtmissbräuchen hat sich auf dem Hintergrund einer Theologie des Amtes ausgebreitet, welche zu wenig den Beziehungen unter Menschen und Gruppen Rechnung trug, geschweige denn diese zur Mitgestaltung eingeladen hätte. Nicht nur die fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche verlangt nach Remedur. Viel liegt m. E. daran, auf ein kirchliches Empowerment zu setzen – auch wenn mir jüngst eine in der Kirche engagierte Person erschrocken über das Wort «Ermächtigung» entgegnete, darauf sei sie allergisch. Warum nicht neu von «Ermächtigung» sprechen, wo es doch nach entsprechender Weiterbildung möglich ist, einer in Religionspädagogik ausgebildeten Person die Leitung der Feier eines Wortgottesdienstes zu übertragen? Können gar weitere Schritte zu einer sakramentalen Sendung von weiteren Getauften und Gefirmten ins Auge gefasst werden? «Bevollmächtigte» sind auf jeder Stufe einer Organisation denkbar. Wer dann jemanden bevollmächtigt, nimmt gestaltend Einfluss auf eine Entwicklung, an der gemeinsam – sei es im dualen System, sei es in allen pastoralen Bereichen – im Geiste der Mitverantwortung aller gearbeitet wird.

Gestaltend Einfluss nehmen
Gestaltende Einflussnahme ist für mich ein offener Begriff für ein Geschehen, das auch spirituell wünschbar ist. Wer mitgestaltet, will auch Mitverantwortung übernehmen – dadurch erhöhen sich Motivation, Schaffensfreude und der Effekt, den Tertullian bei den ersten christlichen Gemeinden feststellte: «Seht, wie sie einander lieben!». Nun ist die Gemeinschaft der Gläubigen gerade nicht immer «ein Herz und eine Seele» (Apg 4,32). Sie kann sich auf Besserung hin einigen und Neues dazu lernen. Ich vermisse darum in der SKZ-Ausgabe 06/2020 Hinweise zur spirituellen Einübung in die weiterhin ambivalente Kunst der Machtausübung.2 Hilfreich wären etwa die Impulse, denen nachzugehen der Jesuit Stefan Kiechle empfohlen und in Leitsätzen formuliert hat: Macht bejahen – Zielen dienen – Kommunikation üben – Untergebene einbinden – Interessen wägen – Beziehungen gestalten – Leiden erdulden – Wirklichkeit anerkennen – Angst beherrschen – Hilfe suchen – Barmherzig sein – Gott die Ehre geben.

Stephan Schmid-Keiser
St. Niklausen LU

 

1 Vgl. Eva-Maria Faber: In persona Christi agere? Die Rolle des Priesters in der Eucharistiefeier, in: Martin Klöckener / Peter Spichtig (Hrsg.): Leib Christi sein – feiern – werden, Freiburg/Schweiz 2006, 137-141.

2 Nachfolgend Zwölf Leitsätze zum Umgang mit Macht, in: Stefan Kiechle: Macht ausüben. Ignatianische Impulse, Würzburg 2005, 75-78.