Stilistische Vielfalt der Musik im Gottesdienst (III)

Musiksprachen der Gegenwart sind im zeitgenössischen Gottesdienst präsent. Dabei stilistischer Vielfalt Rechnung tragen, verlangt nach sensibler Wahrnehmung. Diese dokumentierte die Stimme der Vereinigung «Universa Laus» im Gegensatz zur verschärften Diskussion heute.

Aus grenzüberschreitender Zusammenarbeit entstanden ab 1980 die Dokumente von Universa Laus (UL). Sie widerspiegelten den weiten Blick auf das kulturell unterschiedliche Umfeld, zeigten keine resignative Tendenz1 und werteten jede Musikkultur grundsätzlich neu. Kein Musikstil wurde absolut gesetzt und gleichzeitig der «Einpassung» musikalischer Formen und Inhalte das Wort geredet, die der jeweiligen liturgischen Funktion angemessen sind. Um Musik für alle ging es ebenso wie um angemessene Integration von Instrumenten. Zudem wurde sichtbar, dass musikalische Mitwirkung im Gottesdienst ins Gesamt der liturgischen Symbol-Aktivität2 eingebettet sein muss und auf die liturgische Atmosphäre entscheidenden Einfluss hat.

Ausschnitte aus Dokumenten von Universa Laus

Die gottesdienstliche Musik der Christen in den verschiedenen Kulturen beschrieb UL 2 und hob hervor: «Die gottesdienstliche Musik beruht auf Auswahl und Umgestaltung von Musik verschiedener Kulturen. (2.5) Nicht alle Musizierformen in einer bestimmten Kultur sind in gleicher Weise für die Liturgie geeignet oder direkt verwendbar. Solche Einschränkungen betreffen nicht nur ausserreligiöse oder nichtchristliche Musizierformen, sondern ebenso, je nach Zeit und Ort, christliche Sakralmusik vergangener Epochen oder anderer Kulturen. (2.6) Andererseits kann die Liturgie Musizierformen aufgreifen oder erforderlich machen, die in der musikalischen Umwelt unbekannt sind oder vernachlässigt werden. (2.7)»

Die Musik für alle nahm UL 4 in den Blick und erklärte: «Überall dort, wo noch eine traditionelle Musikkultur gepflegt wird, lässt sie sich leicht für allgemein zugängliche wie für anspruchsvollere gottesdienstliche Musizierweisen nützen. Dagegen wird in Mischkulturen und bei kulturellen Gegensätzen heute ein gewisser Pluralismus erforderlich sein, damit nicht einzelne soziale Schichten oder Gruppen zum Nachteil anderer bevorzugt werden. (4.4)»

Musik und Instrumente tragen nach UL 6 wesentliche Aspekte zur Feier bei: «In den meisten Kulturen werden beim solistischen und beim gemeinsamen Singen Instrumente begleitend oder umspielend einbezogen. Sie heben den Rhythmus, die Melodie, den Klang, die Worte hervor; sie tragen zum Zusammenhalt des Ganzen bei und prägen seinen Sinngehalt. (6.3) Zum gemeinsamen Musizieren gehört, dass jeder Ausführende das Tun aller mitträgt, so gut er es vermag. Auch ist es schwer vorstellbar, dass Instrumentalisten nur einen technischen Beitrag zum Gottesdienst leisten, ohne sich in die glaubende und feiernde Gemeinde einzubringen. Ebenso werden Komponisten im allgemeinen den Bedürfnissen der Gemeinden, für die sie schreiben, besser dienen, wenn sie, das Wort hörend und darauf antwortend, an ihren Gottesdiensten teilnehmen; so empfinden sie selbst, wie die Gemeinde ihren Glauben am besten zum Ausdruck bringen könnte. (6.5)»

Nach UL 10 gilt Musik als Kennzeichen des neuen Menschen: «Die Anforderungen an die Musik des christlichen Gottesdienstes ergeben sich aus deren Ziel: den durch den auferstandenen Christus erneuerten Menschen zu bekunden und zu verwirklichen. Ihre Wahrhaftigkeit, ihr Wert, ihre gnadenhafte Wirkung bemessen sich nicht allein nach ihrer Fähigkeit, die tätige Teilnahme zu wecken, auch nicht nach ihrer ästhetisch-kulturellen Bedeutung, dem Alter ihres kirchlichen Gebrauchs oder ihrer Volkstümlichkeit, sondern danach, ob sie den Gläubigen ermöglicht, das Kyrie eleison der Unterdrückten zu rufen, das Halleluja der Erlösten zu singen, das Maranatha der Gläubigen in der Hoffnung auf das kommende Reich wachzuhalten. (10.1) Alle vom Menschen geschaffene Musik kann dem christlichen Gottesdienst dienen, sofern der Mensch sich durch sie nicht abkapselt und keine Selbstdarstellung betreibt, sondern für die Verheissung des Evangeliums geöffnet wird. (10.2) Manche Kulturen haben seit Jahrhunderten in unzähligen Formen das «neue Lied» zu singen begonnen, von dem die Psalmen und die Offenbarung des Johannes sprechen. Andere Völker und Kontinente sind gerufen, auch ihre Kunst in den Dienst dieses Lobpreises zu stellen. Aber viele Stimmen fehlen bisher im Chor der 144 000 Erwählten, denn noch immer gibt es Menschen, die keine Stimme für den Gesang des neuen Liedes haben: nicht nur dort, wo das Evangelium noch nicht verkündet worden ist, sondern auch dort, wo es noch nicht den ganzen Menschen und seine Kultur durchdrungen hat, und dort, wo es, seit langer Zeit eingewurzelt, eine sich gänzlich wandelnde Welt von Neuem inspirieren muss, damit der allumfassende Lobgesang anbreche, die universa laus. (10.3)»

Im Kontrast zur Stil-Uniformität

Die Vereinigung Universa-Laus markierte kulturelle Offenheit im Kontrast zur Stil-Uniformität europäischer Prägung. Als sie das erste Dokument erarbeitete, öffnete sich der Blick in der Weltkirche vermehrt auf andere Kulturen. So galt 1979 das Thema der 3. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates in Puebla mit Rückbezug auf Paul VI. und sein apostolisches Schreiben über die «Evangelisierung der Welt von heute» der Realität, in welcher die Armen Lateinamerikas stehen. Die Bischöfe verdeutlichten die kulturelle und religiöse Situation, in welcher die weniger Begüterten dieser Erde leben. Man sah die Armen nicht bloss als «Adressaten der Evangelisierung». Mit ihrem eigenen «evangelisatorischen Potential» seien sie aufgerufen, «auch von ihrer Armut zu geben». Sie begannen «konkrete Gesichter zu bekommen». Die Rede war von «Indios, Afroamerikanern (…), ‹in denen das Leidensantlitz Christi› erkannt werden kann».3 Ihre Rhythmen und Ausdrucksweisen musikalischer Volkskultur wurden zur Bereicherung wachsender Begegnung zwischen Nord und Süd. Ähnliches liesse sich von der Begegnung mit Afrika und Asien sagen. Dies nicht zuletzt aufgrund der letzten Liturgiereform, wo generell der einheimischen Kulturwelt im gottesdienstlichen Geschehen mehr Platz eingeräumt wurde. Die vielfältige Ausgestaltung der Tonsprachen, der Stile und Stimmen zeigte das Potenzial, um aus der «europäischen Gefangenschaft der Kirchenmusik» zu führen.4

Anspruchsvolle Aufgabe für alle Beteiligten

Die Erweiterung der Musikstile in Gottesdiensten bleibt anspruchsvoll. Kommt dazu, dass liturgische Fragen mit Anfragen an Formen des Glaubens verknüpft sind, der individuell und kollektiv verstärkt von Suchbewegungen geprägt ist.5 Stilistische Vielfalt im musikalischen Ausdruck wird in dieser Situation der Rolle der Musik als Sprache für «das Unsagbare», der Rolle der Stille ebenso Aufmerksamkeit schenken, wie der provozierend-erschütternden Dimension von Gottes «fremdem» Wort. Weil dieses in vorab befreiender Art wirkt, wird der Musik ein prophetischer Charakter eingeschrieben sein. Sie braucht die Konkurrenz zu Werken nicht zu scheuen, die sich – wenn auch auf agnostischem Hintergrund – der Inhalte und Formen christlicher Überlieferungen bedienen.6 So gesehen ist die erhöhte Vielfalt von Musikstilen im Dienst der Verkündigung und Seelsorge im Rahmen der Grosskirchen verstärkt zu kultivieren, ebenso mehr Spielraum für die Entfaltung des kleineren Formates. Die Improvisationspraxis mit Instrumenten wie Panflöte, Okarina, afrikanischem Xylofon oder indonesischem Daumenklavier hat mich zur Überzeugung gebracht, dass zumindest für Feiern in kleineren Gruppen ohne Orgelmusik und liturgischem Chor- und Sprechgesang Alternativen bestehen. Zudem erweitert sich durch die Improvisation die Klangwelt im Kirchenraum und Menschen aus verschiedensten Musikmilieus erfahren neue Zugänge zur Botschaft. Dies zeigt sich bei konkretem Anlass: Der frühe Kindstod führt einen nahen Verwandten der tief trauernden Familie zum Seelsorger. Er werde gerne sein Saxofon für eine Solo-Improvisation zur Trauerfeier bringen. Oder ein Musiker afrikanischer Herkunft hat seine Instrumente mit dabei, wie am Sonntag der Weltmission die Ortsgemeinde den Solidaritäts-Tag feiert. Ein anderes Mal erweist ein Jazz-Ensemble seinem ehemaligen Mitglied die letzte Ehre. Regelmässig zeigt sich, wie die Erweiterung gängiger Musikstile im gottesdienstlichen Mitwirken angemessene Alternativen ermöglicht.

Musikgeschichtliche Veränderungen

Im Umgang mit Popmusik, Jazz, Neuer Musik im Gottesdienst zeigt sich, ob die Ausrichtung der Botschaft in die Jetzt-Zeit und den vom sozialen Wandel geprägten Menschen, ihren unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften möglich wird. Praktikable Wege dorthin werden realisiert und diskutiert. Sei es Lied oder Song, die Vielfalt an Stilen will stets danach befragt sein, was im Gottesdienst wirklich funktioniert. Dass dabei alte Modelle des Einklangs von «Text und Musik» neuen ästhetischen Kriterien weichen müssen, wird mehr als deutlich. Es sind musikgeschichtliche Veränderungen, die das Singen und Musizieren im Gottesdienst der westeuropäischen Kirchen grundlegend beeinflussen.7 Auf globaler Ebene zeigte eine offizielle Hymne als meditatives Lied zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit mit ihrem Refrain «Misericordes sicut Pater», angelehnt an Psalm 136, wie der musikalische Ausdruck einer Grosskirche variantenreich geworden ist. Martin Hobi sah in der Hymne keine Konkurrenz zur gewachsenen musikalischen Vielfalt in den Ortskirchen. Sie sei für das Heilige Jahr eine angemessene Wahl, sehr traditionell katholisch, was auch bedeute, dass, wer diese Hymne höre, merkt: «Aha, das ist Musik der Kirche.» «Damit wird auch ein Zeichen zur Musikwahl in der Kirche heute gesetzt, wo ja stilistisch fast alles möglich ist.»8

 

1 Vgl. Die Musik in den christlichen Liturgien, Universa-Laus-Dokument 1980 (Revidierter Text 2006). UL umschrieb im «Dokument II: Die Musik in christlichen Liturgien» eingehend das Hören, Singen und Feiern. Zur Geschichte der «Universa Laus» vgl. Enrico Morresi: Die Anfänge von «Universa Laus», in: Heiliger Dienst 70 (2016) 273–286. Vgl. auch Rudolf Pacik: Aktive Teilnahme. Schlüsselbegriff der erneuerten Liturgie, In: Martin Hobi (Hg.): Im Klangraum der Kirche, Aspekte – Positionen – Positionierungen in Kirchenmusik und Liturgie, Zürich, 2007, 27–52. Anm. 74, 85 verweisen auf die akzentuierte Aufnahme des UL-Dokumentes in Frankreich und Italien.

2 Dazu die Studie von C. G. Kok: Liturgie tussen wal en schip. Het officieel-kerkelijk liturgisch veranderingsproces na Vatikanum II gezien vanuit de liturgie als sakramentele symbool-aktiviteit van de plaatselijke gelofsgemeenschap, Amsterdam 1980. Deutsche Übersetzung längerer Passagen in meiner Arbeit: Aktive Teilnahme. Kriterium gottesdienstlichen Handelns und Feierns, Frankfurt u. a. 1985, Teil I 363–382; hinsichtlich des «symbolischen Handelns» ebd. 479–520.

3 Vgl. Giancarlo Collet: Welcher Kurs soll eingeschlagen werden? Eintrag vom 30. 7. 2015 auf https://www.kath.ch/blogsd/welcher-kurs-soll-eingeschlagen-werden/.

4 Vgl. Martin Heider: Von der europäischen Gefangenschaft der Kirchenmusik, in: Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur Kirchenmusik, hrsg. v. Winfried Bönig u. a. Mainz 2007, 544–556.

5 Entschiedenheit im Glauben geht einher mit mündigem Gewissen und Gottglaube mit Suchbewegungen. Vgl. Eva- Maria Faber: Gott ist wie ein Trost, so wie ein Kissen, auf dem du schlafen kannst, in: SKZ 183 (2015) 191–199.

6 Andreas Marti: Wie klingt reformiert? Zürich 2014 zeigt, wie Hörereignisse Räume überbrücken. Vgl. Susanne Kübler in TA 4. Dezember 2015 mit Einordung der «Glagolitischen Messe» von Leos Janacek durch John Eliot Gardiner, Zitat: «Diese Messe braucht keinen liturgischen Rahmen. Sie riecht kein bisschen nach Kirche».

8 Martin Hobi: «Wenn sich Kirche trifft, dann tönt es heute so», Interview M. Spilker https://www.kath.ch/newsd/wenn-sich-kirche-trifft-dann-toent-es-heute-so/.


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)