Statistische Trends der Ordensgemeinschaften

Der tiefgreifende Wandlungsprozess der katholischen Kirche in der Schweiz bringt nebst grossen Veränderungen auch viele Herausforderungen mit sich. Die Nachwuchssorgen der katholischen Kirche betreffen nicht nur Priester und Seelsorger, sondern auch die Ordensgemeinschaften. Die Ordensgemeinschaften und Kongregationen der Schweiz haben eine bedeutende Tradition und in vieler Hinsicht auch eine wegweisende Funktion innegehabt. Die Nachwuchssorgen zwingen verschiedene Orden heute, einzelne ihrer Niederlassungen zu schliessen. Das wird dazu führen, dass einige Orden in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten ganz aus der Schweiz verschwinden werden. Davon betroffen sind insbesondere die im 18. und 19. Jahrhundert entstandenen Kongregationen, denen eine Mehrheit aller Ordensmitglieder der Schweiz angehört. Während gut 100 Jahren, zwischen 1850 und 1950, erlebten diese Kongregationen ihre eigentliche Blüte. Gerade für Frauen waren diese Kongregationen attraktiv, da ihnen damals kaum andere Möglichkeiten zur beruflichen Entfaltung offenstanden.

Auf verschiedene Weise prägten gerade die Frauenkongregationen die Gesellschaft in der Schweiz mit. Das Aufkommen und Erstarken vieler dieser Kongregationen war einerseits an gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden und eröffnete ihnen andererseits vielfältige soziale Aufgaben im seelsorgerischen, erzieherischen und karitativen Bereich. Viele dieser Aufgaben wurden Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts vom Staat übernommen wie beispielsweise die Schulbildung, der Bereich der Pflege oder die Betreuung von Waisenkindern. Infolge der veränderten gesellschaftlichen Umstände ist es deshalb nicht erstaunlich, dass heute einige dieser Kongregationen wieder verschwinden. Auch hat sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft seither grundlegend verändert.

Die Zahl der Ordensmitglieder geht beständig zurück, und nur noch wenige Menschen treten heute einem Orden bei. In den folgenden Ausführungen werden Veränderungen über die Mitgliederbestände, über die aktuellen Mitgliederzahlen der Frauen- und Männerorden der Schweiz, sowie über die in neuerer Zeit entstandenen Säkularinstitute dargelegt, welche das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut in St. Gallen (SPI) in seiner aktuellen Kirchenstatistik1 veröffentlicht hat.

Orden und Säkularinstitute in der Schweiz

Die Frauen- und Männerorden der Schweiz sind in Ordensvereinigungen zusammengeschlossen, die sich zur Konferenz der Vereinigungen der Orden und Säkularinstitute der Schweiz (KOVOSS) verbunden haben. Neben den traditionellen Orden (oder «alten» Orden) sind im 20. Jahrhundert bis in die heutige Zeit hinein zahlreiche neue Gemeinschaften entstanden. Diese zeichnen sich durch eine grosse Vielfalt von Gemeinschafts- und Bildungsformen aus und gehören der Arbeitsgemeinschaft der Säkularinstitute der Schweiz (AGSI) an. Zu ihnen zählen aktuell zwölf Gemeinschaften wie beispielsweise das Katharina-Werk oder die Schönstatt-Patres. Den Säkularinstituten, die sich in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, gehören insgesamt 250 Mitglieder an, und sie weisen viele Ähnlichkeiten zu den Ordensgemeinschaften aus. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied zu den Ordensgemeinschaften darin, dass die Mitglieder von Säkularinstituten «mitten in der Welt» leben wollen und häufig auch einem weltlichen Beruf nachgehen. Eine weitere Gruppe bilden die «Neueren geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen», zu denen beispielsweise die Schönstatt-Bewegung, die Charismatische Erneuerung oder die Fokolarbewegung gehören.

Männerorden

[bild48977w270l]Nachdem die Mitgliederzahlen der Männerorden bis Mitte des 20. Jahrhunderts stiegen und in den 1960er-Jahren ihren Höhepunkt erreichten, ist nun seit längerem ein starker Rückgang zu beobachten. Die Mitgliederzahl der Männerorden macht heute nur noch etwa einen Drittel des Höchststandes der 1960er-Jahre aus, und die Männerorden weisen Ende des Jahres 2012 noch 974 Mitglieder aus. Dazu kommen noch 93 Ordensleute einer anderen Jurisdiktion. Die Ordensbrüder sind vom Rückgang etwas mehr betroffen als die Ordenspriester. Am meisten Mitglieder weisen die Kongregationen und Gesellschaften des apostolischen Lebens auf. Ihr Anteil liegt bei 36 Prozent. Diese Kongregationen und Gesellschaften des apostolischen Lebens sind ab dem Ende des 16. Jahrhunderts entstanden, zu ihnen gehören beispielsweise die Barmherzigen Brüder. Die meisten Mitglieder dieser Gruppe verzeichnet die Missionsgesellschaft Immensee, die Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde. Die Mitglieder der Bettelorden sowie die Mitglieder eines monastischen Klosters machen je etwa einen Viertel aller Ordensmitglieder der Schweiz aus. Kleinere Ordensgemeinschaften bilden die Regularkanoniker, zu denen beispielsweise die Augustiner Chorherren und die Regularkleriker wie etwa die Jesuiten gehören. Ihr Anteil liegt unter 10 Prozent. Seit den 1980er-Jahren haben v. a. die Kongregationen und Gesellschaften des apostolischen Lebens sowie die Bettelorden auffallend viele Ordensmitglieder verloren. Die Kapuziner, die den Bettelorden angehören, sind besonders stark vom Rückgang betroffen. Sie weisen heute zwar «noch» 168 Mitglieder auf und sind nach den Benediktinern die zweitstärkste Ordensgemeinschaft in der Schweiz, allerdings gab es vor 30 Jahren noch mehr als 500 Kapuziner. Vom Rückgang sind nicht alle Männerorden gleich stark betroffen. Während die Kapuziner beständig Mitglieder verlieren, ist die Zahl der Mitglieder der Jesuiten wieder leicht am Wachsen. Das Durchschnittsalter der Ordensmitglieder aller Männerorden der Schweiz liegt bei 70 Jahren. Das hohe Alter der Ordensmänner spiegelt die Nachwuchssorgen der Ordensgemeinschaften wider. Ende 2012 befanden sich nur acht Personen im Noviziat.

Frauenorden

In der Schweiz gibt es über dreimal mehr Ordensfrauen als Ordensmänner. Die Frauenorden der Schweiz wiesen Ende 2012 3364 Mitglieder auf. Frauenorden und Frauenkongregationen der Schweiz weisen, auch im Vergleich mit den Nachbarländern, eine grosse und mitgliederstarke Tradition auf, die sich zwischen 1850 und 1950 durch viele Neugründungen von Ordensgemeinschaften gut in der Gesellschaft etablieren konnte.

Fast zwei Drittel aller Ordensfrauen in der Schweiz gehören einer Ordensgemeinschaft in der Deutschschweiz an. Knapp ein Viertel aller Ordensfrauen stammt aus der Romandie, und gut 12 Prozent kommen aus dem Tessin. Mit 80 Prozent gehört die Mehrheit aller Ordensfrauen einer Gesellschaft des apostolischen Lebens oder einer Kongregation, wie beispielsweise den Ingenbohler oder Menzinger Schwestern, an. Den kontemplativen Gemeinschaften, wie beispielsweise den Benediktinerinnen oder Dominikanerinnen, gehören etwa 20 Prozent der Ordensfrauen an.

[bild48978w250l]Wie bei den Männerorden zeigt auch die Entwicklung der Mitglieder der Frauenorden in den letzten 15 bis 20 Jahren einen starken Rückgang auf. Allerdings fiel der Rückgang in den Männerorden in der gleichen Zeitspanne etwas milder aus. Vom Rückgang besonders betroffen sind v. a. die Gesellschaften des apostolischen Lebens und die Kongregationen. Die grössten Frauenorden der Schweiz bildeten im Jahr 2012 die Ingenbohler Schwestern mit gut 600 Mitgliedern, gefolgt von den Menzinger Schwestern mit 344 Mitgliedern und den Baldegger Schwestern mit 285 Mitgliedern. Diese drei Kongregationen machen zusammen mehr als einen Drittel aller Ordensfrauen der Schweiz aus. Seit 1995 hat sich ihre Mitgliederzahl mehr als halbiert. Die Grafik zeigt die Entwicklung der Ingenbohler Schwestern zwischen 1995 und 2012 auf.

Ende 2012 befanden sich insgesamt nur vier Personen im Noviziat, und 19 Schwestern befanden sich in der zeitlichen Profess. Diese kleine Zahl widerspiegelt auch bei den Frauenorden die grossen Nachwuchssorgen, mit denen die Ordensgemeinschaften und Kongregationen seit längerem zu kämpfen haben.

Prognose

Die Entwicklung der letzten Jahrzente zeigt, dass die Nachwuchssorgen in den Ordensgemeinschaften weiter zunehmen werden. Diesen Trend verdeutlichen die kleine Anzahl an Novizen und Novizinnen sowie das hohe Durchschnittsalter von Ordensmännern und Ordensfrauen. Das aufkommen von Säkularinstituten sowie das Entstehen neuer Gemeinschaften im 20. Jahrhundert bis in die heutige Zeit zeigen auf, dass das Ordensleben als solches auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil des kirchlichen Lebens der römisch-katholischen Kirche bleiben könnte, wenn es gelingt, die Potenziale verbindlicher christlicher Lebensgemeinschaften für unsere Gegenwart neu zu entdecken. Allem Anschein nach wird das traditionelle Ordensleben zunehmend in den Hintergrund rücken, aber gegebenenfalls in veränderter Form weiterbestehen. Die Klöster und geistlichen Lebensgemeinschaften könnten sich zu eher offenen als geschlossenen Institutionen entwickeln. Wie vor rund 150 Jahren die Frauenkongregationen in der Zeit der Industrialisierung, des sozialen Wandels sowie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung und der damit einhergehenden «sozialen Frage» auf die sozialen Bedürfnisse der Zeit reagiert und sich für die notleidende Bevölkerung und die fehlenden Berufs- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen engagiert haben, können auch die heutigen Gemeinschaften oder Orden auf die aktuellen Bedürfnisse der Gesellschaft reagieren oder Anstösse zu Neugründungen geben.

Aktuell antworten etliche Klostergemeinschaften auf ein typisches Bedürfnis unserer späten Moderne: Die Schnelllebigkeit, Stress und Druck am Arbeitsplatz, sowie eine andauernde Informationsüberflutung führen bei vielen Menschen zum Wunsch, zur «Welt draussen» Abstand zu nehmen und Ruhe oder zu sich selbst zu finden. Die klösterliche Gastfreundschaft für diese Menschen und die Möglichkeit zu kürzeren oder längeren Aufenthalten im sogenannten «Kloster auf Zeit» sind vielleicht schon erste Neuinterpretationen des Ordenslebens.

 

 

1 Schweizerisches Pastoralsoziologisches Institut, SPI (Hrsg.): Katholische Kirche in der Schweiz. Kirchenstatistik 2013. Zahlen, Fakten, Entwicklungen. (Edition SPI) St. Gallen 2013.

Judith Albisser (Bild: spi-stgallen.ch)

Judith Albisser

Judith Albisser ist wissenschaftliche Assistentin am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut in St. Gallen