Jugendliche und Erwachsene kreieren kurze Bibel-Spielfilme

Ein Jugendlicher rennt mit einem dicken Sack aus einer Bankfiliale, ein anderer springt herbei und versucht ihn zu stoppen - fast möchte man die Polizei rufen, wären da nicht ein kameramann und zwei Mädchen, die sich ums Licht kümmern, damit die Szene gut in den kasten kommt. Die Jugendlichen nehmen an einem zweitägigen Bibel-Spielfilm-Projekt (BSP) teil. Die Geschichte mit dem Banküberfall haben sie sich am ersten Tag ausgedacht, nun sind sie an der Umsetzung. Zwar kommen Banküberfälle nicht sehr häufig in der Bibel vor, doch eine 1:1-Umsetzung eines biblischen Textes wäre den Jugendlichen zu langweilig - sie brauchen die Herausforderung, ihre eigenen Gedanken- und Lebenswelt mit den Texten authentisch in Dialog zu bringen. Der Anspruch des BSP besteht darin, dass die Teilnehmer ähnliche Erfahrungen machen wie die Menschen in der Bibel: Erfahrungen etwa von Befreiung, Heilung, Würdigung, Berufung.

Glaubensweitergabe und Kreativität finden zusammen

Das Projekt entwickelte ich aufgrund meiner Erfahrungen in Religionsunterricht und Jugendarbeit und als Erwachsenenbildner einerseits und mit dem Medium Film andererseits. Im BSP lernen die Teilnehmer einerseits Bibeltexte und Wesentliches der christlichen Botschaft kennen, andererseits werden sie höchst kreativ tätig - zwei Pole, die ich in der klassischen Katechese oft als schwierigen Spagat erlebt habe. Ein BSP ist mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen möglich; fruchtbar sind auch altersgemischte Gruppen. Wenn eine Kindergruppe etwa am ersten Tag des BSP auf die Idee kommt, Altersheimbewohner einzubinden, wird dies organisiert und später filmisch umgesetzt. Die Zeitdauer des BSP geht von zweimal drei Stunden bis zu drei vollen Tagen, die optimalerweise nicht zusammenhängen. Finanziert wird es in der Regel von Kirchgemeinden und Landeskirchen; ein Fonds, der Lücken schliessen kann, wird derzeit aufgebaut. Das eingangs beschriebene BSP war ein Angebot reformierter Kirchgemeinden im Rahmen eines Projekt- Religionsunterrichts, bei dem die Schüler zwischen verschiedenen Angeboten wählen konnten. Mit der Einladung verpflichteten sich die Teilnehmer, als Vorbereitung eine gekürzte Version der Josefsgeschichte Gen 37; 39,1–46,7 aufmerksam zu lesen, was problemlos klappte.

Im Dialog mit der Bibel

Mittels verschiedener religionspädagogischer Methoden, bei denen auch das Element Bewegung nicht zu kurz kommen durfte, half ich den Jugendlichen dabei, von der blossen Kenntnis der Geschichte tiefer in sie einzusteigen und sie auch zu erspüren. Dabei zeigte sich z. B. überraschend, dass acht der 13 Jugendlichen sich besonders für die Erfahrungswelt der Zisterne (vgl. Gen 37,24) einerseits und des ägyptischen Gefängnisses andererseits (vgl. Gen 39,20) interessierten. Ohne die anderen fünf zu übergehen, versuchte ich herauszufinden, warum die Gruppe hier zahlenmässig einen Schwerpunkt gebildet hatte. Die Jugendlichen erzählten etwa von Trauer und Tod. So entstand allmählich ein Handlungsfaden um einen Jugendlichen herum, der unschuldig im Jugendgefängnis sitzt, weil er verwechselt wurde. Wichtig war es den Teilnehmern, immer wieder Anspielungen auf die Josefsgeschichte einzustreuen, so etwa die Träume von den Getreidegarben (Gen 37,7) und von den Brotkörben (Gen 40,16–19) in humorvoller Variation. Diesen roten Faden verarbeiteten sie anschliessend zu einem Drehbuch. Und während die Ersten schon vor der Kamera standen, kümmerten sich andere noch um Requisiten und Tricks.

Spiritueller Meilenstein

Die Grundidee des BSP besteht darin, dass jeder und jede für sich mit der Mitarbeit am BSP eine Art spirituellen Meilenstein setzt, indem er oder sie die eigenen Themen in den Haupt- oder in die Nebenhandlungsfäden einbringt. Da jedoch die ganze Gruppe etwas Gemeinsames schafft, ergibt sich hier eine Spannung. Und diese wird fruchtbar: So etwa kann es passieren, dass jemand, der sich aufgrund eigener Erfahrungen wünscht, dass das Thema Mobbing in den Josef-Film einfliesst, plötzlich jemanden spielt, der mobbt. Der Perspektivwechsel kann neue Sichtweisen ermöglichen – und natürlich der Umstand, dass das Gespielte im Kontext einer heilenden und befreienden Botschaft steht. Um den spirituellen Meilenstein aber nicht dem Zufall zu überlassen, wird bei jedem BSP ein einfacher, nicht für die Öffentlichkeit gedachter Zweitfilm produziert, in dem jeder und jede kurz sagt, was ihn oder sie bewegt, beeindruckt, berührt hat. Auf die persönliche DVD, die man auch noch nach Jahrzehnten anschauen kann, werden beide Filme gebrannt.

Verkündigung

Doch der eigentliche Spielfilm – bei einem zweitägigen Projekt wird er zwischen 10 und 25 Minuten lang – richtet sich an die Öffentlichkeit: an Mitfeiernde eines Gottesdienstes auf dem Weg zur Firmung 17+; an Besucher eines Filmabends der Pfarrei. An Kinder und Jugendliche im Religionsunterricht, in dem BSP-Filme als «hausgemachtes» Lehrmittel eingesetzt werden; und an Freunde und Facebook-Freunde der Mitwirkenden ausserhalb des gewohnten kirchlichen Rahmens, die sich den Film auf dem Handy anschauen, ihn kommentieren, weitermailen. Die Freude des Evangeliums, an die Papst Franziskus in erfrischenden Worten erinnert – hier wird sie greifbar. Hier gibt es keine Kluft mehr zwischen den biblischen Texten einerseits und der Alltagswirklichkeit von Jugendlichen, Erwachsenen oder Kindern andererseits.

Das BSP kann auch ein guter Zugangsweg zu biblischen Wundergeschichten sein und die Teilnehmer zu einem neuen Verständnis führen. Denn wenn sie einen Film produzieren wollen, «stolpern» sie ganz automatisch über die Frage, ob es so etwas wie zum Beispiel das Pfingsterlebnis von Jerusalem heute noch gibt, und falls ja, wie es dann wohl aussieht. «Beim Filmen gibt es keine Ausrede, um eine Bibelstelle unauthentisch zu interpretieren», bringt etwa Dr. Daniel Schmid-Holz, Beauftragter für Erwachsenenbildung der Evangelisch-reformierten Landeskirche St. Gallen, seine Erfahrung mit dem BSP auf den Punkt. Sein Theologiekurs hatte sich filmisch an Röm 7,14–25 herangewagt – und dabei gezeigt, dass das BSP ein Weg sein kann, sich auch sehr komplizierten Texten zu stellen. Die Teilnehmer sind geradezu gezwungen, existenziell damit zu ringen. Oft machen sie dabei die Erfahrung, dass gerade die Auseinandersetzung mit dem Schwierigen am meisten Früchte trägt.

Zurück zu den Jugendlichen: Nach dem Banküberfall noch eine Szene in einer Bar – die zufällig anwesenden Gäste werden daheim etwas zu erzählen haben – und für die 13 Jugendlichen geht ein aufregender Tag zu Ende. Ausnahmslos alle sind sie begeistert – und organisieren spontan ein Nachtreffen, zu dem sie Geschwister, Familienangehörige und Freunde mitbringen und an dem parallel zum viertelstündigen Spielfilm noch ein guter Josef- Trickfilm gezeigt wird. Es ist nicht nur das Medium Film, das die Menschen anspricht, sondern auch die immer wieder aufleuchtende Frage, wie Gott wirken kann.

Den Josef-Spielfilm samt Making-of sowie Informationen zum Projekt findet man unter www.KleinFilm.jimdo.com

Christoph Klein

Christoph Klein

Christoph Klein (1974-2022) studierte in München, Jerusalem und Luzern katholische Theologie und war durch seine kleine Filmfirma kleinfilm bekannt. Er war auch Autor der Ausstellung über Christenverfolgung des Hilfswerks Kirche in Not (ACN).