Stark in Beziehungen

Risikofreudig und stahlhart – diese Eigenschaften prägen noch immer Mannsbilder in der Öffentlichkeit. Die Kirche arbeitet mit an neuen Bildern.

Im Wochenendmagazin einer deutschen Tageszeitung war jüngst ein langes Dossier über die aktualisierte Abwandlung der alten psychoanalytischen These vom «abwesenden Vater» zu lesen. Diese Form von Abwesenheit entstünde, so die Aussage dort, durch die vielen Scheidungen und Trennungen, bei denen Väter ihre Kinder und Ehepartner verliessen und somit eine innere Leerstelle für die Kinder hinterlassen und diese selbst dann im späteren Leben bindungsunfähiger würden. Auch wenn dies nur eine Facette der Problematik bei Trennungen beschreibt, sind es tatsächlich oft die Väter, die weniger Sorgearbeit für ihre Kinder übernehmen (dürfen).

In einem anderen Magazin kam ein zutiefst gekränkter Vater zu Wort, dem man, wie er berichtet, die Kinder vorenthalte und der keine Chance habe, seine Kinder zu erziehen. Er hat nun begonnen, auf juristischem Weg die Beziehung zu seinem Kind zu erstreiten, unterstützt durch einen Verein, der sich für Väter-Rechte bei Trennung und Scheidung einsetzt. Gespickt waren seine Äusserungen mit frauenfeindlichen Mutmassungen, die befremdlich wirkten.

Auf dem legendären Parteitag der deutschen Partei «Alternative für Deutschland (AfD)» raunte der thüringische Landesvorsitzende und dem rechten Rand der Partei zugerechnete Björn Höcke 2015, «der Mann» müsse endlich seine Männlichkeit wiederentdecken, denn nur so würde «er» wieder wehrhaft. Wehrhaft wofür oder wogegen? Vielleicht gegen die Demokratie? Wie damals, als eine kleine, von allen belächelte Splitterpartei, die sich NSDAP nannte, die junge Weimarer Demokratie stückweise diskreditierte und letztendlich, als das eigentlich Unsagbare immer hoffähiger wurde, wirklich zu Fall brachte?

Drei Beispiele von Männlichkeiten in der Öffentlichkeit, die kein positives Männerbild transportieren. Allen gemeinsam ist, dass sie Problemfelder beschreiben, die eine dezidierte Männerarbeit notwendig macht, die kritisch mit den eigenen Männlichkeitsbildern umgeht und dem Positives entgegenstellt.

Mitarbeit an der Männeremanzipation

Hellsichtige Seelsorger und Kriegsveteranen haben nach dem zweiten Weltkrieg die katholische Männerarbeit massgeblich mitentwickelt. Nach der katastrophalen Zurichtung der Männer für eine militaristische Politik, die mindestens mit dem preussischen Expansionsstreben mit dem deutsch-französischen Krieg 1870–1871 begann und mit der Katastrophe nach dem Nationalsozialismus 1945 endete, wollten diese Wegbereiter die an Körper und Seele versehrten Männer zu einer neuen, ihrer eigentlichen Männlichkeit führen, deren Neudefinition freilich bis heute nicht vollendet ist. Immerhin wurden mehrere Generationen von Männern missbräuchlich geprägt: Harte Männer, die nicht weinen, keine Schwächen zeigen und stets bereit sind für ein Risiko, sind nach wie vor beliebt.

Die angebliche Unverletzlichkeit von Männern bleibt indes weiterhin ein Mythos. Männer nehmen sich weit häufiger als Frauen das Leben. Sie gehen weit weniger zum Arzt, wenn der Körper oder die Seele schmerzt. Sie treiben weniger Sport, essen dafür mehr Fleisch, als ihnen guttut. Nicht zuletzt ist ihre Lebenszeit auch deshalb kürzer, weil sie oftmals die ungesünderen Berufe ergreifen, die «auf die Knochen gehen». Dies sind grösstenteils Folgen der Genese gefühlstötender Erziehung des letzten und vorletzten Jahrhunderts, die in heutigen Männern immer noch und in den Bildern von ihnen, die sich nicht selten Mütter und andere Frauen von ihnen machen, wirksam sind.

Erst richtig seit den späten achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begann die Saat der Väter der katholischen Männerarbeit aufzugehen. Die psychologische Bindungsforschung wandte sich, zögerlich erst, aber dann doch konsequent, den Vätern zu. Sie fand heraus, dass Väter nicht weniger wichtig sind für das heranwachsende Kind und dass sie genauso wie Mütter liebevolle, Geborgenheit schenkende «Bindungspersonen» sein können. Dabei wurde ein neues Bild über «gute Väterlichkeit» etabliert: Väter seien diejenigen, die die Rolle des Herausforderers für die Kinder ausfüllten, insbesondere den Jungen aus der symbiotischen Bindung zur Mutter heraus in die Weite der Welt holten. Das war ein wichtiger Schritt zur Entdeckung der Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung. Allerdings müssen heute, aufgrund moderner Geschlechterforschung, Fragezeichen hinter diese Zuschreibungen gesetzt werden. Sie hat solche von Stereotypen geprägten Deutungen weitgehend überwunden. «Einfach Vater» zu sein, mit all denjenigen Qualitäten, die den Charakter des Menschen, der Mann und Vater ist, wird heute als massgeblich angesehen. Der zweite wichtige Bindungsmensch zu sein, der für sein Kind fühlbar und ansprechbar ist, das macht moderne, gute Väterlichkeit aus.

Katholische Männer- und Väterarbeit fühlt sich dieser Richtung der Männerforschung verbunden. Sie trägt mit ihrer Arbeit zur Emanzipation der Männer bei. Sie befreit sie im besten jesuanischen Sinne vom Toxischen überbrachter Männlichkeiten. Suggestionen, Zuschreibungen und Festlegungen jeglicher Art können überwunden werden durch eine grundlegend an der Menschenfreundlichkeit Jesu ausgerichteten Männlichkeit. So können sie sich selbst entdecken, sich selbst spüren und das Beste von dem leben, was ihnen möglich ist. Der schmächtige Computerfreak kann genauso ein «echter» Mann sein wie der muskelgestählte Naturbursche. Er braucht «nur» auf die Spur zu kommen, sich selbst zu reflektieren und seine Fähigkeiten zu entdecken. Das ist das «Kerngeschäft» der Arbeit katholischer Männerseelsorger, Kursbegleiter und Männerberater. Die geschlechtshomogene Gruppe, in der sie sich mit Männern treffen, ist nicht Selbstzweck und muss nicht argwöhnisch beäugt werden, wenn sie sich diesen emanzipatorischen Idealen verschreibt. All diese Bemühungen haben nicht zum Ziel, aus den Männern Egoisten zu machen. Sie wollen auch keine Hypochonder aus ihnen machen, die ständig «für sich selbst sorgen» müssen. Ganz im Gegenteil. Gute christliche Männerarbeit will dazu beitragen, dass Männer und Väter empathischer, liebevoller und in diesem Sinne stärker werden: Stärker für gute Beziehungen zu ihren Partnerinnen (oder Partnern), ihren Kindern, Kolleginnen und Kollegen sowie zu ihren Mitarbeitenden. Sie sollen aus ihrer tiefsten Kraft heraus zum Wohl einer menschlicheren Gesellschaft und somit am Reich Gottes mitwirken.

Andreas Heek


Andreas Heek

Dr. Andreas Heek (Jg. 1967) ist katholischer Theologe und Leiter der Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen e. V. in Düsseldorf.

 

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