Auf der Suche nach dem katholischen Mann

Nicht erst heute fehlen der Kirche die Männer. Bernhard Schneider zeichnet die Entwicklungen des Männerbildes und der Männerpastoral in der Kirche im 19. und 20. Jahrhundert nach.

Die Kirche habe ein Männerproblem, meinte Sophia Fritz kürzlich in «Christ & Welt», ihr fehlten nämlich die Vorbilder für junge Männer.1 Und das ausgerechnet im «ältesten Männerverein der Welt» (Caroline Kebekus).2 Auf den ersten Blick ist die Rede von einem Männerproblem angesichts der zunehmenden Debatte um die Frauen in der Kirche irritierend.

Geringe kirchliche Bindung

In der jüngeren Kirchengeschichte aber galten die Männer tatsächlich als Problemfall.3 1845 fragte der bekannte Wiener Theologe und Domprediger Johann Emmanuel Veith: «Woran liegt es, dass bei Frauen mehr wahre Frömmigkeit sich findet, als bei Männern?» Ein halbes Jahrhundert später hiess es im Kölner Pastoralblatt: «Woher kommt es, dass die Frauen meist religiöser sind als die Männer?» Und Adolph Kolping meinte 1851 nur lapidar: «Denn die Männer muss man erst haben; die Weiber laufen hintendrein.» Was Sorgen bereitete, war die geringer ausgeprägte kirchliche Bindung der Männer und ihr als schwach oder zumindest gefährdet angesehener Glaube. Manche Beobachter erklärten das ausgehend von der unterschiedlichen «Natur» der Geschlechter. So galt vielfach die «Natur» der Frau als empfänglicher für Frömmigkeit, seien Frauen doch empfindsamer und geneigter zu Liebe und Dankbarkeit. Wieder andere brachten die grössere Nähe der Frauen zu leidhaften Erfahrungen (Geburt, Tod) in Anschlag. Manche Erklärer machten die geringere Bildung von Mädchen und Frauen für den stärkeren Glauben verantwortlich, weil sie die höhere Bildung an Gymnasien und Universitäten in Verdacht hatten, die jungen Männer irreligiös werden zu lassen. Hinzu kam der Militärdienst fern der Familie und katholischen Heimat als weitere Gefahrenquelle. In all diesen Einrichtungen begegne einem jungen Mann die Überzeugung, Religion sei Frauensache. Tatsächlich gab es im gesellschaftlich hegemonialen Diskurs des 19. Jahrhunderts eine verbreitete Tendenz zu dieser Deutung.

Im Bemühen, solchen Etikettierungen zu entgegnen und katholischen Männern eine Brücke zu einer praktizierten Kirchlichkeit zu bauen, entwickelte man auf katholischer Seite in Männerbüchern und -predigten das Ideal des wahren katholischen Manns der Tat. Man teilte die gesellschaftlich vorherrschende Vorstellung von einer grundlegenden «natürlichen» Differenz von starken Männern (Eiche) und anlehnungsbedürftigen Frauen (Efeu). Am Mann fanden Frau und Kinder Halt und ihren treusorgenden Ernährer. Er war das Haupt der Familie, dem die übrige Hausgemeinschaft zu gehorchen hatte, allerdings nicht als Tyrann, sondern als führungsstarke, tatkräftige Person, die mit Stärke und Strenge auch Liebe, Häuslichkeit und Interesse an Frau und Kindern zu vereinen wusste. Seiner Familie stand er nicht zuletzt als «Hauspriester» vor, vertrat er doch Gottes Stelle, und focht in der Gesellschaft mutig für die katholische Sache. Als sexuelles Wesen trat er nicht weiter in Erscheinung. Mit Männervereinigungen, Männerexerzitien und -wallfahrten entstand ein spezifisches pastorales Angebot, das Teil einer Strategie zur (Re-)Maskulinisierung von Frömmigkeit und Glaube war.

Der Mann als Laienapostel

Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und angesichts der prekären gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse entwickelte sich das vorherrschende Männerbild im deutschen Katholizismus punktuell weiter. Der Mann wurde nun gezielt auch als «Laienapostel» adressiert und sollte im Kontext der päpstlich propagierten Katholischen Aktion an der Rechristianisierung der Gesellschaft mitwirken. Substanzieller fielen die Änderungen bei der nachwachsenden Generation der «Jungmänner» aus. Gaben sich die einen als Teil der Jugendbewegung betont asketisch und athletisch und werteten körperliche Ertüchtigung, Sport und Naturerfahrung auf, so repräsentierte für die katholische Arbeiterjugend der «stahlharte» Arbeitsheld das Ideal, der seinen Glauben auch angesichts der Anfechtungen durch Sozialismus und Kommunismus in der Fabrik tapfer vertrat. Ein betont kämpferisches Männerbild teilten beide – repräsentiert in der Figur des Erzengels Michael –, während der bis dato propagierte sanfte, keusche Jüngling – repräsentiert im hl. Aloysius Gonzaga – als nicht mehr zeitgemäss und unmännlich galt. Weist die kämpferische Virilität (der Mann als Kämpfer, als Ritter, als Held) Gemeinsamkeiten auch mit Idealen auf, die von den Nationalsozialisten vertreten wurden, so gab es doch auch Differenzen, denn selbstredend musste der katholische Mann seine Kampfkraft, seine Treue und Festigkeit gerade im Kampf gegen die Feinde der Kirche bewähren. Unterschiede zum auf Härte und kriegerischen Kampf getrimmten NS-Männerideal ergaben sich auch dadurch, dass es im katholischen Männerbild weiterhin Platz für Sanftmut und Demut, für stille Innerlichkeit und mystische Gottesbegegnung gab. Die NS-Propaganda selbst beschwor wieder den Vorwurf vom verweichlicht-verweiblichten Katholizismus herauf. Auch um deren Wirkung entgegenzuwirken, gaben die deutschen Bischöfe 1936 erstmals Richtlinien für die Männerpastoral heraus, die zum Startschuss für eine institutionelle bischöfliche Männerarbeit wurden. Männlichkeit verstanden sie entsprechend der gängigen Geschlechterdichotomie, hoben aber die Familie als Seelsorgeraum der Männer hervor und gaben den Männern einen aktiv apostolischen Auftrag im Pfarrleben.

Die Männer, die dann den Horror von Krieg und Gefangenschaft überlebten, kamen häufig völlig ernüchtert und verstört zurück. Ihnen fehlte gerade auch die religiöse Sprachfähigkeit, um das Erlebte im Zwiegespräch mit Gott artikulieren und verarbeiten zu können. Sie bildeten nach Ansicht kirchlicher Akteure das «Königsproblem der Seelsorge». Männerbücher suchten diese Sprachfähigkeit herzustellen. Parallel blühte die institutionalisierte Männerpastoral für ein gutes Jahrzehnt auf. Das Männerbild verlor nach dem im Vernichtungskrieg missbrauchten soldatischen Heldentum diese Dimension. Die Familie und die Rolle als Mann und Vater gewann noch mehr an Gewicht und in den diözesanen «Männerwerken» lebte der Gedanke des Laienapostolats wieder auf. Die Männerseelsorge blieb aber schwierig und die Männerwerke wie auch Männervereine verloren schnell an Bedeutung.

Eine männeroffene Kirche

Mit den gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er- und 1970er-Jahre geriet auch im katholischen Bereich das alte Geschlechtermodell in eine Krise, selbst wenn es offiziell in Richtlinien der deutschen Bischöfe mit leichten Anpassungen noch 1982 weitertradiert wurde. Die Suche nach dem neuen Mann (Roman Bleistein) erfasste auch den Katholizismus. Dieser neue Mann nimmt androgyne Züge an, entdeckt die Grenzen der Selbstdefinition durch Karriere und Beruf, gewinnt einen neuen Platz in der Familie und gibt seine patriarchale Position zugunsten einer neuen Partnerschaft von Mann und Frau auf. In der Realität pluralisierte sich Männlichkeit zu verschieden gelebten Entwürfen vom traditionalen bis zum modernen Mann, was Verunsicherung und Gegenbewegungen hervorbrachte.

In der Lebenswelt der allermeisten Männer aber spielten nach pastoralsoziologischen Untersuchungen der 1990er- und 2000er-Jahre Religion und Kirche nur eine nachrangige Rolle. Die Männer waren lange vor den Frauen aus den Kirchen verschwunden, die Beobachtern als «Männerkirche ohne normale Männer» oder «Frauenladen mit männlicher Leitung» erschien. Deshalb gaben die deutschen Bischöfe und ihre Arbeitsstelle nach der Jahrtausendwende die Parole aus, die Kirche zu einer «männeroffenen Kirche» zu entwickeln. Es gelang ihnen dabei – im Unterschied zum jüngsten Dokument der römischen Bildungskongregation (2019) –, die fragwürdige Rede vom unterschiedlichen Wesen von Mann und Frau aufzugeben. Die Abkehr vom katholischen Mann und einer spezifischen Männlichkeit ist hier vollzogen. Sie kann Raum schaffen für eine offene und geschlechtersensible diakonische Pastoral (Andreas Ruffing). Vielleicht findet der «zarte Kerl» als aktuell popularisiertes Männlichkeitsideal4 so den Weg in die Kirche.

Bernhard Schneider

 

1 Vgl. Fritz, Sophia, Mann, oh Mann! Christ & Welt Nr. 37, 3.9.2020, 5.

2 Frauen in der Kirche. Die Carolin Kebekus Show vom 10.7.2020. Abrufbar unter www.youtube.com/watch?v=0kXfc2uI6aI (zuletzt eingesehen am 16.9.2020).

3 Zum ganzen Thema siehe: Schneider, Bernhard, Gesucht: Der katholische Mann. Die katholische Kirche in Deutschland und die Männerwelt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Trierer Theologische Zeitschrift 123 (2014), 85–109.

4 Vgl. Beermann, Claire, Zarter Kerl, in: Zeit Magazin Nr. 38 (10.9.2020), 16–27.


Bernhard Schneider

Prof. Dr. Bernhard Schneider (Jg. 1959) studierte katholische Theologie und Geschichte in Trier. Er habilitierte für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit in Freiburg i. Br. Seit 2000 ist er Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät Trier.