Religiöse Bildung im digitalen Zeitalter

Die Digitalisierung durchdringt alle unsere Lebensbereiche. Wie können die neuen Medien sinnvoll im Religionsunterricht eingesetzt werden?

«Die digitale Revolution ist keine Frage, die man bejaht oder verneint, sie findet statt. Und sie ist noch wirkmächtiger als die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts – vor allem ist sie sehr viel schneller. Ihre Geschwindigkeit ist atemberaubend», so der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Interview im Nachrichtenmagazin «Focus».1

Am 9. Januar 2007 startete Steve Jobs den Siegeszug der Smartphones mit der Vorstellung des ersten iPhones, das dann Ende Juni in den Verkauf ging. Die Firma Apple veränderte mit diesem neuen Gerät die Welt – ein revolutionäres Produkt. Besonders unter Jugendlichen verbreitete sich das Smartphone mit Riesengeschwindigkeit – es eröffnete neue, unbekannte Welten und Kulturen. Meine ersten Erfahrungen als Religionspädagoge mit der digitalen Welt liegen mehr als zehn Jahre zurück: Zur Einstimmung in die Stunde zeigten mir Schüler der Sekundarstufe im Religionsunterricht (RU) die ersten Clips auf ihren damals neuen Smartphones oder spielten einen Pop-Song online ab. Schon da zeigte sich, dass ohne technisches Zubehör (Beamer, Lautsprecher) diese neue digitale Welt nur begrenzt im Unterricht einsetzbar sein würde.

Aktuelle Schweizer Studien

Die neuste Schweizer Studie zum Thema veröffentlichte die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) 2018, die JAMES-Studie (JAMES = Jugend, Aktivitäten, Medien). Die Daten werden seit 2012 alle zwei Jahre erhoben. Als Zusammenfassung der Resultate ist auf der Website folgendes zu lesen: «Netflix, Spotify & Co. geben bei den Jugendlichen in der Schweiz den Ton an. Dank Flatrate-Streaming hat über die Hälfte beinahe unbegrenzt Zugriff auf Filme, Musik oder Games. Kommuniziert wird vor allem mit dem Handy per Instagram, WhatsApp oder Snapchat. Facebook nutzt nur noch jeder fünfte Jugendliche regelmässig.»2

Die gleiche Hochschule erstellt auch Studien zum Medienverhalten von Familien und Kindern. Die zweite MIKE-Studie von 2017 (MIKE = Medien, Interaktion, Kinder, Eltern) fasst ihre Ergebnisse wie folgt zusammen: «Es zeigt sich, dass Kinder in der Schweiz Smartphones und Tablets zwar rege nutzen, aber viel lieber draussen spielen, Sport machen oder Freunde treffen. Zudem achten Eltern bei der Mediennutzung ihrer Kinder auf die Nutzungsdauer und auf altersgerechte Inhalte.»3

Digitale Kompetenz vermitteln

Beim Blick auf die beiden Studien drängt sich die Frage auf, wie die Schule und damit auch die religiöse Bildung auf diesen digitalen Wandel reagieren soll. Auch wenn in manchen Pfarreien heute der RU ausserhalb der Schule erteilt wird, sind die Kinder vom Lebensraum Schule und von ihren Familien geprägt. Die Frühlingstagung 2019 der Dienststelle Volksschulbildung im Kanton Luzern (DVS) nahm das Thema Digitalisierung auf: «Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter – auf die Pädagogik kommt es an!», so lautete der Titel des Tages für Lehrpersonen. Der Referent der Tagung, Prof. Dr. Frank Thissen (Hochschule der Medien in Stuttgart), meinte in einem Interview: «Der Einsatz nach einem Mehrwert von Medien stellt sich immer nur im Umfeld von konkreten Lernszenarien.»4 Bedeutet diese Aussage für Religionslehrpersonen, dass sie lieber die Hände von digitalen Medien lassen sollen, wenn sie keinen Mehrwert im Einsatz digitaler Medien sehen und lieber haptisch-analog arbeiten?

Die religionspädagogische Fachzeitschrift «rpi- Impulse» gestaltete 2018 eine Ausgabe zum Thema «Digitale Kompetenz vermitteln im Religionsunterricht und der Konfi-Arbeit». Darin ist im Editorial zu lesen: «Wir dürfen die Kinder und Jugendlichen nicht unkritisch der technischen Entwicklung ausgesetzt lassen, die wir selbst geschaffen haben. Die technischen Möglichkeiten der neuen digitalen Welt wollen verstanden, interpretiert, kritisiert und gestaltet werden. Darauf muss sich der Religionsunterricht einstellen.»5 Dies scheint mir eine wichtige Aussage zu sein. Wenn wir als Kirche mit den Menschen leben wollen, so müssen wir auch deren Welt verstehen und begleiten – ohne Anbiederung oder Nachahmung aller Trends. Der Begriff «Medien- ethik» gehört elementar zur religiösen Bildung unserer Zeit. Die Stichworte dazu sind: Umgang mit fremden Daten und Bildern, Selfies und Schönheitsbegriff, Cybermobbing und Gruppendruck, handyfreie Zeit usw.

Wie sind die neuen Medien einzusetzen?

Ilona Nord und Jens Palkowitsch-Kühl heben in ihrem Beitrag in der vorher erwähnten Fachzeitschrift hervor: «Technik an und für sich ist noch kein Gut, dass es zu fördern gälte. Vielmehr ist stets die Frage zu beantworten, mit welcher Intention welche Technik und welche Methode innerhalb eines Lernprozesses eingesetzt werden soll.»6

Nach einem Praxis-Workshop «Digitale Medien im Religionsunterricht» im Rahmen des Bildungsganges für Katecheten im März 2019 erhielt ich nach drei Stunden u. a. folgende Feedbacks von den Teilnehmern:

  • «Muss unbedingt in die Ausbildung integriert werden»;
  • «Das ist die Zukunft! Zu kurz, zu knapp […] leider […] es würde sich lohnen, hier mehr Zeit zu investieren»;
  • «Gute Ideen, Inspirationen für den Religionsunterricht»;
  • «Mut, etwas mehr mit den neuen Medien zu probieren».

Diese wichtigen Aussagen weisen darauf hin, dass sich zuerst die Ausbildenden und Dozierenden der jeweiligen Bildungsgänge für Religionslehrpersonen mit digitalen Medien vertraut machen und kompetent sein müssen. Erst dann ist es möglich, dass sie regelmässig und gezielt z.B. Apps, digitale Spiele oder Onlineauswertungen bei der Ausbildung einsetzen – das war beim Einsatz von Dias oder Hellraumprojektorfolien nicht anders. Leider scheint momentan das Interesse an Weiterbildungen in Medienpädagogik im kirchlichen Bereich eher klein zu sein.

Investitionen in die Infrastruktur

Als Fachverantwortlicher «Kirchliche Medien» beschäftige ich mich intensiv mit Medien für die religiöse Bildungsarbeit. In den letzten Jahren haben sich Onlinezugänge als Ergänzung in Fachzeitschriften und Fachbüchern verbreitet. Neue RU-Lehrpläne werden digital aufgeschaltet und mit Inhalten oder Medien vernetzt (etwa auf www.leruka-luzern.ch oder www.reli.ch). Neu bietet z. B. «Relimedia» Zürich (www.relimedia.ch) neben dem Download von Filmen auch einen Streaming-Dienst direkt ab dem Katalog an. Ob dies allerdings vor Ort möglich ist, hängt von der Infrastruktur in Schulen oder Pfarreien ab.

Für die Zukunft scheint mir eines klar: Wer die digitale Welt in der religiösen Bildung einsetzen und einbeziehen will, muss in diesen Bereich gezielt investieren:

  • WLAN-Installationen, die genug stark für grössere Gruppen sind;
  • Klassensatz an Tablets oder Smartphones, die für den RU einsetzbar sind;
  • Beamer oder mobile Grossbildschirme als Grundeinrichtung in den Räumen;
  • Zubehör für Geräte und Technik (div. Kabel, Verbindungsteile usw.);
  • gezielte Weiterbildungen für kirchliche Mitarbeitende.

In der Digitalisierung steckt Potenzial

In der schon mehrfach zitierten Fachzeitschrift «rpi-Impulse» ist als innovatives Projekt zur digitaler Konfirmandenarbeit folgendes Beispiel zu finden: «Credobound – eine digitale Schnitzeljagd zum Glauben-Bekennen» (ab S. 37). Der «Credobound» (Stationenarbeit) wird mit dem Programm «Actionbound» (https://de.actionbound.com/) erstellt. Diese erfolgreiche Plattform für digitale Schnitzeljagden ist sehr nutzerfreundlich und ohne grosse Vorkenntnisse zu bedienen. Der Stationenlauf wird von Jugendlichen auf dem Smartphone oder Tablet gespielt. Die Spielleitung erhält die Ergebnisse digital und kann sie für die Weiterarbeit oder Vertiefung einsetzen.

Mit diesem Beispiel wird klar, dass die Digitalisierung viel Potenzial gerade im RU-Zyklus 3 bietet, etwa für die Jugendarbeit oder die Firmung 17+. Allerdings braucht es dazu digitale Kompetenz von Religionslehrpersonen und Vorbereitungsteams. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen der Ausbildungsgänge und die Leitenden der Pastoralräume offen für die digitale Entwicklung werden und die nötigen Schritte einleiten. Meine Hoffnung verstärkt dieses Feedback einer angehenden Katechetin nach dem erwähnten digitalen Workshop: «Ich kann mir das Modul ohne diese Inhalte nicht vorstellen – ein notwendiges Thema im Unterricht.»

Urs Stadelmann

 

1 www.bundespraesident.de (Interview: 13. Januar 2018).

2 JAMES-Studie 2018, «Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften», www.zhaw.ch

3 MIKE-Studie 2017, «Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften», www.zhaw.ch

4 «FOKUS», Schulblatt Thurgau 2/April 2018, Interview «Mobiles Lernen in der Schule» mit Frank Thissen, Experte für digital unterstütztes Lernen, 19: https://edudoc.ch

5 Die Ausgabe (3/2018) ist online verfügbar unter: https://material.rpi-virtuell.de

6 Nord, Ilona/Palkowitsch-Kühl, Jens, Nicht die App steht im Mittelpunkt, sondern der Kompetenzerwerb, in: rpi-Impulse 3/2018, 5–9, hier 6.


Urs Stadelmann

Urs Stadelmann (Jg. 1961) ist seit 2012 Fachbereichsleiter der «Kirchlichen Medien» der römisch-katholischen Landes-
kirche des Kantons Luzern und seit 22 Jahren Leiter der kate
chetischen Berufseinführung. Er ist Religionspädagoge KIL (Katechetisches Institut Luzern), Ausbildner mit eidg. Fachausweis und bildete sich 2016/17 in Medienpädagogik an der FHS St. Gallen weiter.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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