Spirituell leben gestern und heute

Michaela Puzicha

Die Theologische Fakultät der Universität Luzern verleiht am 2. November Sr. Dr. Michaela Puzicha OSB, Leiterin des Instituts für Benediktinische Studien in Varensell/Salzburg, die Würde einer Doktorin der Theologie honoris causa. Im Vorfeld suchte die SKZ mit ihr das Gespräch.

Die Menschen heute sind ausgesprochen mobil und orientieren sich an Zielen ihrer Wahl. So auch in spiritueller Hinsicht, wie sich in zahlreichen religiösen Aufbrüchen zeigt. Wie begegnen Sie in der Tradition des Hl. Benedikt diesem Phänomen?

Michaela Puzicha: Benedikt setzt bei grundsätzlicher Kontinuität auf die Dynamik der Gott- Suche, die Fähigkeit zum existentiellen Prozess und Wahrnehmung sich wandelnder Orts- und Zeitverhältnisse. Benediktinische Gemeinschaften können flexibel mit notwendigen Veränderungen reagieren.

Innerliches Leben bedeutet für Benedikt die Hinwendung zur Wirklichkeit. Damit umschreiben Sie die Zielrichtung spirituellen Lebens an monastischen Orten. Welche Wege stehen Menschen offen, die sich in ihren familialen und beruflichen Lebenswelten davon inspirieren lassen können?

Michaela Puzicha: Wir sind offen für alle, die kommen, und geben Anteil an unserem Leben. Die RB ist alltagstauglich als «Anleitung zu christlichem Leben». In verschiedenen Formen der Orientierung an benediktinischer Spiritualität wird geistliche Beheimatung und Vertiefung erfahren.

Die Benediktus-Regel setzt auf Gemeinschaft wie aber auch auf Freiheit eines jeden in ihr. Ähnlich stehen «Familie» und «persönliche Entfaltung» regelmässig zuoberst auf der Werteskala im europäischen Kontext. Welche Herausforderungen in der täglichen Lebensbewältigung und allgemein in Kirche und Gesellschaft sehen Sie auf uns alle zukommen?

Michaela Puzicha: Zunehmende Individualisierung kann zur Vereinzelung und zum Mangel an Bindung führen. Soziale Verantwortung des Einzelnen in Gesellschaft und Staat ist für eine stabile Demokratie und für eine mündige Kirche notwendig. Die Bildung dieses Bewusstseins hat Priorität.

Im Zusammenleben von Gemeinschaften wie von Familien gehören Auseinandersetzungen und Klärungen, das Aushandeln von Regeln zum Alltag. Können Sie uns aus Ihrer Erfahrung erzählen, worauf es ankommt, wenn Probleme anstehen, in denen Weisung und Gehorsam in fast unlösbare Spannung und Engpässe geraten?

Michaela Puzicha: Entscheidend im Konfliktfall ist das Gespräch, das Benedikt nie vernachlässigt, alle Argumente zulässt und auf Kompromissfähigkeit ohne Dominanz setzt. Auch gehört die Einsicht dazu, in Notsituationen für die Gemeinschaft solidarisch und bereitwillig einzustehen.

Mit Ihrer Dissertation1 haben Sie 1980 ein Grundlagen- und Quellenwerk geschaffen, welches z. Zt. auch das ökumenische Missionsjahrbuch der Schweiz (52/1986) unter dem Titel «Exit – Exil – Asyl: Menschen – Punkt!» inspirierte. Heute gerät angesichts der Migration von Millionen die Aufnahme von Fremden, Witwen und Waisen das christliche Zeugnis in grössere Konflikte – auf der Ebene des Gewissens wie auf der Ebene politischer Umsetzung. Welche (benediktinischen) Inspirationen können das Zusammenleben auf unserer Erde fördern?

Michaela Puzicha: Entscheidend für Benedikt ist die Würde jedes Einzelnen als Gottebenbildlichkeit, unabhängig von Herkunft und Religion. Seine Weisung, sich der Allerärmsten unmittelbar und gastfreundlich anzunehmen, gründet im Evangelium von der Sorge für «die Geringsten».

Gibt es in Ihrer Berufungsgeschichte eine Kernidee, der Sie als Forscherin und Ordensschwester gefolgt sind? Wohin geht nun der Weg?

Michaela Puzicha: Die Ausrichtung an der Bibel und das Leben in meiner Gemeinschaft haben mich geprägt. Meine wissenschaftliche Forschung und Lehre soll auch weiterhin Dienst sein am Verständnis der RB für alle, die ihren geistlichen Weg benediktinisch-spirituell vertiefen wollen.

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Ehrendoktorat der Theologischen Fakultät Luzern

Sr. Dr. Michaela Puzicha OSB, Leiterin des Instituts für Benediktinische Studien, Varensell/Salzburg, spricht zu «Benedikt von Nursia – Vermittler der Grundlagen eines spirituellen Lebens».

Donnerstag, 2. November 2017, 14.15 Uhr Universität Luzern Frohburgstrasse 3, Raum 3.B58

Dr. Puzicha gilt als ausgewiesene Expertin im Bereich der Alten Kirchengeschichte, der Geschichte des Mönchs- und Ordenswesens und insbesondere des spätantiken Ordensgründers Benedikt von Nursia und seiner um das Jahr 540 n. Chr. verfassten Regula Benedicti (RB).


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)