So vielfältig wie das Grün des Ozeans

Der Inselstaat Vanuatu liegt y-förmig nordöstlich von Australien. Wer kannte dieses Land, bevor es als diesjähriges Weltgebetstagsland in den weltweiten Fokus gerückt ist?

Rahima U. Heuberger (3. v. r.) ist Pfarrerin in Wollerau SZ und Mitglied des Schweizer Komitees des Weltgebetstages. Sie bereiste 2020 Vanuatu. (Bild: zvg)

 

Das Meer, die Vulkane, die Palmen und die Naturgewalten prägen dieses Land, das aus 83 Inseln besteht, auf denen 150 lokale Dialekte gesprochen werden, die untereinander so verschieden sind wie die einzelnen Landessprachen in Europa. Der grosse Seefahrer James Cook nannte die Inselgruppe einst die Neuen Hebriden, da ihn die Hügelzüge an seine britische Heimat erinnerten. England teilte sich später mit Frankreich die Kolonialmacht auf den Inseln, bis Vanuatu vor 40 Jahren, am 30. Juli 1980, seine Unabhängigkeit erklärte.

Keine Verständigungsschwierigkeiten

Die Menschen auf Vanuatu sind sehr entspannt und fröhlich. «I stret nomo!» grüssen sie sich. Das heisst so viel wie «Alles okay bei dir?», gefolgt von einem breiten Lächeln. Da die Ni-Vanuatu, wie sich die Menschen auf Vanuatu nennen, in jedem Stamm eine andere Sprache sprechen, unterhalten sie sich miteinander in Bislama, einer Kunstsprache aus Englisch, Französisch und den lokalen Dialekten. Doch noch heute werden Kinder in englische oder französische Schulen geschickt. In den französisch geprägten Gebieten gilt Rechtsverkehr, in den englisch geprägten Linksverkehr, was zur Folge hat, dass die meisten Autos mehr oder weniger in der Mitte fahren. Kreuzen sie sich, gestikulieren und hupen die Insassen wild, um sich zu einigen, wer auf welche Seite ausweicht. Doch da das Lebenstempo viel gemächlicher als bei uns verläuft, stellt dies kein Problem dar.

Traditionelles Leben

Die Hauptstadt Port Vila ist von der Lebendigkeit her vergleichbar mit einem Badeort am Mittelmeer. Auf vielen Inseln leben die Menschen immer noch sehr traditionell: ohne Elektrizität, medizinische Versorgung oder Autos. Doch die Natur und ihre Traditionen lehren diese Menschen zu überleben. Besucht man als Aussenstehende diese Inseln, so müssen jegliche Ansprüche an die europäische Lebensart zurückgestellt werden.
Das Stämmesystem ist der Grundpfeiler der Ni-Vanuatu. Den Stämmen gehört das Land, nicht der Regierung. Das Land ernährt seine Bewohner und sie tragen ihm Sorge. Das Land ist heilig. Das bedeutet, dass man um Erlaubnis fragen muss, bevor man das Land eines anderen Stammes betritt. Steht man dann unter dem Schutz eines Stammes, wird man sehr herzlich willkommen geheissen.

Das Nationaltier auf Vanuatu ist das Schwein. Je mehr Schweine jemand hat, umso angesehener ist er. Gerade bei traditionellen Stämmen leben die Menschen häufig mit ihren Tieren zusammen und bereiten heilende Tränke aus der Natur zu. Von Hand Feuer zu machen, ohne technische Unterstützung, ist eine Kunst, die innerhalb der Familien weitergegeben wird.

Die Ahnen werden nach wie vor kultisch verehrt. Für die Menschen auf Vanuatu ist dies kein Widerspruch zum christlichen Glauben. Traditionelle Rituale werden neben Gottesdiensten gefeiert, beides hat den gleichen Stellenwert im Alltag der Ni-Vanuatu. Wie überall im pazifischen Raum sind auch auf Vanuatu Freikirchen besonders aktiv. Es gibt aber auch vereinzelt katholische, reformierte und anglikanische Kirchen. Auf der Insel Tanna, ganz im Süden des Landes, gibt es auch noch das Phänomen der John-Frum-Bewegung, eines Cargo-Kultes1.

Oft bebt die Erde und jedes Jahr ziehen auch Zyklone durch den Inselstaat. Doch die Menschen auf Vanuatu lassen sich niemals unterkriegen. Das unerschütterliche Vertrauen der Menschen auf Gott und seine Kraft in der Natur hat mich bei meinem Besuch auf Vanuatu sehr beeindruckt. Gerade in Europa dürften wir sicher etwas von diesem Vertrauen, der Gelassenheit und der Fröhlichkeit der Menschen auf Vanuatu mitnehmen. «I stret nomo!»

Rahima U. Heuberger

 

1 Beim Cargo-Kult vertrauen die Gläubigen darauf, materiell beschenkt zu werden (Cargo-Kult = Güter-Kult). Durch das Abwerfen von Materialien im Weltkrieg sahen die Anhänger von John Frum seine Prophezeiung als erfüllt an. Der diesjährige Weltgebetstag wird am 5. März gefeiert. Die Liturgie wurde von Frauen aus Vanuatu zum Thema «Auf festen Grund bauen» in Anlehnung an Mt 7,24–27 vorbereitet. Weitere Information: www.wgt.ch