«Es wäre eine Bereicherung für alle»

Wer in der Schweiz katholische Theologie studieren möchte, wählt normalerweise zwischen Chur, Freiburg und Luzern. Dass auch die Diözese Lugano eine Theologische Fakultät besitzt, geht oft unter.

René Roux (Jg. 1966) ist seit 2015 Rektor der Theologischen Fakultät Lugano. (Bild: zvg)

 

SKZ: Wie viele Studierende sind zurzeit an der Fakultät Lugano (FTL) eingeschrieben?
René Roux: Wir haben derzeit 316 ordentliche Studierende sowie 124 Hörerinnen und Hörer. Wegen der Corona-Pandemie ist die Zahl der Hörerinnen und Hörer gesunken, normalerweise sind es um die 180.

Aus welchen Ländern kommen die Studierenden?
An der Fakultät sind 35 Nationalitäten vertreten. Die meisten Studierenden kommen aus der Schweiz und aus Italien. Wir haben Studierende aus Nordeuropa und aus osteuropäischen Ländern, aus Lateinamerika – insbesondere aus Brasilien –, aus verschiedenen afrikanischen Ländern und auch einige aus Indien. In diesem Jahr sind auch Studierende aus Taiwan hinzugekommen. Es fehlt nur noch Australien!

Hat die Nähe zu Italien Einfluss auf die Fakultät?
Die historischen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Verbindungen zur nahegelegenen Lombardei sind natürlich sehr stark und prägen die gesamte italienische Schweiz. Das Gebiet der Diözese Lugano war einst Teil der lombardischen Diözesen Como und Mailand. Bis heute feiert ein Drittel der Pfarreien im ambrosianischen Ritus. Zudem haben in den letzten Jahren prominente Persönlichkeiten wie Kardinal Carlo Maria Martini, Erzbischof von Mailand, und Monsignore Luigi Giussani, Gründer der Bewegung «Comunione e Liberazione», das Leben der Kirche auch im Tessin tiefgreifend geprägt. Die FTL kommt um den Vergleich mit den nahegelegenen Theologischen Fakultäten Norditaliens nicht herum, mit denen ein reger Kontakt und Austausch besteht. Lugano bildet zudem aufgrund seiner Lage, seiner Geschichte und seiner Struktur auch ein Bindeglied zwischen der mitteleuropäischen und der mediterranen Welt. Dies zeigt sich auch in der Internationalität des Lehrkörpers und in der «globalen» Perspektive seiner Mission.

Warum hat die FTL so viele Studierende?
Um die Wahrheit zu sagen, kommt uns unsere Fakultät immer noch sehr klein vor.

Hat sich die FTL seit ihrer Gründung verändert?
Seit ihrer Gründung im Jahr 1992 hatte die Fakultät vier Grosskanzler und fünf Rektoren (ich bin der fünfte) und hat gerade das Verfahren für die dritte Akkreditierung begonnen. In diesen Jahren wurden 102 Doktortitel in Theologie verliehen. Die FTL hat ihre Ausbildungsprogramme in den Bereichen Philosophie, Theologie, Kirchenrecht und Religionswissenschaften erheblich erweitert. Zu Beginn hoffte der Gründer Bischof Eugenio Corecco vermutlich, dass die Fakultät eine echte Gemeinschaft von Lehrenden und Studierenden sein würde, die durch das «sentire cum ecclesia» in der Suche nach der Wahrheit vereint ist. Heute jedoch gibt es an der FTL sehr unterschiedliche theologische Positionen: Das erhöht natürlich die internen Spannungen, ermöglicht aber gleichzeitig den Studierenden, die Theologie in ihrer ganzen Bandbreite von Meinungen und Ideologien zu erleben.

Was zeichnet die Fakultät Lugano aus?
Die Internationalität des Lehrkörpers und der Studentenschaft, die Vielfalt und Lebendigkeit der internen theologischen Positionen, die Interdisziplinarität sowie der Reichtum der Bildungsangebote.

Würden Sie mehr Studierende aus der Deutschschweiz begrüssen?
Die Sprachbarriere kann eine Schwierigkeit darstellen, doch die hohe Anzahl deutschsprachiger Professoren in der FTL hilft, diese zu überwinden. Seit ich in Lugano bin, hatten wir immer ein paar Studierende aus der Deutschschweiz, aber ich würde mir wünschen, dass es mehr werden, und sei es nur für ein Freisemester: Es wäre eine Bereicherung für alle.

Interview: Rosmarie Schärer

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