Ist es nicht selbstverständlich, dass bei einer Segensfeier Menschen einander gegenüber treten, die in Vertrauen zueinander stehen? Üblicherweise – und davon gehen sowohl das Schreiben aus Rom wie auch die meisten Kommentare aus – geht die Bitte um Segen an eine ordinierte oder nichtordinierte Person. Deren Segensgeste wird von einem Gebet begleitet sein, welches den Segen Gottes in indikativer Form den um Segen Bittenden zugesprochen bzw. auf sie herabgerufen wird. Der Vorgang hat hinsichtlich der gegenseitigen Beziehungen, die rituell ins Spiel kommen, eine kaum diskutierte Schlagseite. Augenscheinlich wird der Vorgang asymmetrisch vollzogen.
Wenn vor diesem Hintergrund etwa Norbert Lüdecke mit seiner radikalen Kritik an Inhalt und Vorgehen von «Fiducia supplicans» von einer «Pastoral der Demütigung»1 sprach, ist ihm zuzustimmen. Gleichzeitig müsste nach konstruktiven Lösungen weitergesucht werden. Als Knacknuss erweist sich nämlich in der Praxis die fehlende Anerkennung der grundlegenden Würde aller Personen im Sozialkörper der Kirche. Geraten damit die Interaktionen bei den Feiern des Glaubens nicht in ein ungleiches Verhältnis?
«Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger» (Karl Rahner)
Man schreibt das Jahr 1936, als Karl Rahner über die «Weihe des Laien zur Seelsorge» seinen wegweisenden Satz formuliert: «Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger.»2 Allein diese Aussage hätte es auch im Kontext von Segnungen verdient, die Theologie der Ämter anders zu konstruieren – nicht zuletzt als Motivation zu achtsamem Leitungsverhalten gegenüber allen Menschen, die durch ihr Mitfeiern der Sakramente, eingeschlossen deren rituellen Vollzügen in ihrer Taufwürde geachtet sein wollen. Den Satz allein auf das so genannte Taufpriestertum zu reduzieren, kann jedoch nicht das Ziel sein. Vielmehr rückte Rahner die Taufwürde ins Zentrum, die Ausgangs- und Begründungspunkt aller Glieder im Leib Christi, aber auch aller Dienste im Volk Gottes ist: «Die Taufe ist die grundlegende Weihe zu jeder Seelsorge. Sie ist die Ausgiessung der Liebe zu Gott und darum Weihe, Vermögen und Sendung zur Seelsorge. Und jede sakramentale Gnadenmehrung in Busse und Eucharistie ist erneute Sendung, hinzugehen und des Bruders innerstes Sein heimzuholen zu Gott. Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger.»3 Hier anzusetzen, wäre zudem auch in Zeiten erschütternder Nachrichten über zurückliegende und aktuelle Missbräuche in der Kirche hilfreich.
Nehme ich deshalb die Tatsache ernst, dass ich mit der Taufe bereits zu einer seelsorgerischen Weihehandlung befähigt wurde, kann ich nicht ausschliessen, dass sich zwei Getaufte gegenseitig Segensworte zusprechen können. Denn solche Segensworte ermöglichen mehr Augenhöhe und ein Abrücken von asymmetrischer Beziehung zwischen so genannten Spenderinnen und Spendern eines Segens und um Segen Bittende, die schlicht und einfach als Menschen mit ihrem je unterschiedlichen Empfinden anerkannt sein wollen.
Um die Beziehung zum Göttlichen geht es
In Folge der Erklärung «Fiducia supplicans» wird mehr als deutlich, dass die römisch-katholische Kirche keinen Spielraum sieht für ein Segensritual, das gleichgeschlechtlich Liebende anerkennt. Warum nicht einen alternativen Weg wählen, bei welchem gleichgeschlechtlich liebende Getaufte in aller Freiheit und ohne Bevormundung einander gegenseitig den Segen aus der Kraft Gottes zusprechen? Sie könnten es tun ohne asymmetrische Beziehung von Seelsorgenden zu ihnen als den um Segen Bittenden. Es wäre dies ein betont gemeinschaftliches Ritual. Denn ausgehend von dem ihnen unauslöschlich mitgegebenen Charakter der Taufgnade ist es den Betroffenen selbst möglich, um die göttlich-segnende Kraft zu bitten.
Denn um die Beziehung zum Göttlichen geht es, wie seit dem Morgengrauen am Jabbok, wo Jakob als einer der Väter Israels zurückblieb und mit einem Mann kämpfte. Da sah dieser, «dass er ihn nicht überwinden konnte, und berührte sein Hüftgelenk, sodass das Hüftgelenk Jakobs verrenkt wurde, als er mit ihm rang. Da sagte er: ‚Lass mich los, denn die Morgenröte kommt auf.‘ Und der sagte: ‚Ich lass dich nicht los, nur wenn du mich segnest.‘ Er sagte zu ihm: ‚Wie ist dein Name?‘ Und der: ‚Jakob‘. Da sagte er: ‚Jakob soll dein Name nicht mehr sein, sondern Israel, Gottesstreiter, denn gekämpft hast du mit Gott und mit Menschen und hast es gekonnt.‘» (1 Mose 32, 26-29 Bibel in gerechter Sprache).
Es scheint, dass der Refrain «Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!» noch nicht an die Ohren jener gedrungen ist, die dem Kampf um Menschenwürde in der Kirche wenig zugetan sind. Wenn die um Segen Bittenden in ihrer Segensfeier von weiteren Mitfeiernden durch Mitbeten der Segensworte unterstützt würden, entwickelte sich ein ritueller Vorgang, der alle Anwesenden mitbeteiligt. Die Segensworte selbst wären in deprekativer Form gehalten – nicht indikativ wie in der bisher einzig anerkannten Form kirchlicher Eheschliessung. Die Zusage von Gottes Treue würde dadurch nicht davon abhängig gemacht, dass sich eine Amtsperson für eine Segnung dazwischen stellen muss.
Auch mit Treueversprechen verknüpfbar
Wenn zudem im hier vorgeschlagenen Ritual nach der gegenseitig vollzogenen Segnung eine Person (ob ordiniert oder nicht) den beiden Menschen assistierend ein ebenfalls gegenseitig ausgesprochenes Treueversprechen abnimmt, täte sie dies im Sinne eines spezifischen Tür-Hüte-Dienstes – der sich aus Jo 10, 2-4, 7 u. 9 ableiten lässt. Dadurch betont wäre ein weiterer alternativer Weg, der im Kontrast stünde zur Hirtenrolle, die als Seelsorgeideal nicht mehr vermittelbar ist. Auf diesem Weg würde die Beziehung unter den Beteiligten, die sich von ihrer Taufgnade getragen dem göttlichen Geheimnis gegenüber öffnen und einander den Segen zusprechen, zum zentralen Ausgangspunkt einer kirchlichen Feier. Sie könnte sich auf ortskirchlicher Ebene zu einem anerkannten Ritual entfalten – und warum nicht mit bischöflichem Segen anerkannt werden.
Offen bleibt, ob es dann auch möglich wird, eine weitere Hürde zu nehmen – und der rituelle Vollzug sich mit dem gegenseitigen Eheversprechen beim kirchlichen Eheschluss vergleichen liesse, nachdem eben dieser Vorgang unter den Beteiligten – bisher Frau und Mann – mitentscheidend das Sakrament begründet. Der auf weltkirchlicher Ebene stiefmütterlich behandelten Situation zahlreicher gleichgeschlechtlich Liebender ist menschlich zu begegnen und schlicht deren Beziehung und Bereitschaft zum Zusammenleben auf Dauer anzuerkennen. Ein gegenseitiges Segnen und einander die Treue versprechen markierte dieses Geschehen ebenfalls als sakramentale Handlung. Es wäre einer der alles entscheidenden Tür-Hüte-Dienste einer Kirche, die heute wie nie zuvor in der Geschichte um neue Glaubwürdigkeit ringt.
Aktuelle Eheschliessungsrituale gehen neue Wege
Dies alles vorzuschlagen, nähme ernst, dass Eheschliessungsrituale für Männer und Frauen unterdessen eine sinnstiftende Identitätspraxis darstellen, welcher kirchliche Regelungen durch den hier angesprochenen spezifischen Tür-Hüte-Dienst entgegenkommen müssten. Man lese dazu den Beitrag von Andreas Heeck «Gegen Männerklischees».4 Nicht zuletzt erachte ich vor dem gesamten Hintergrund die diametral dagegenhaltende Stimme von Gerhard Ludwig Kardinal Müller als mehr als bedenklich.5 Zeigt sich eine gewichtige Stimme der Kirche einzig auf die sexuelle Dimension von Menschen fixiert und beschämt mit lebensfremdem Ausschluss aller anderen Faktoren gesamtmenschlicher Beziehungen wie gegenseitiges Vertrauen, Ausrichtung der Beziehung auf eine gemeinsame Zukunft, Fruchtbarkeit für die Gesellschaft, eingeschlossen Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, ist es um ein evangeliumsgemässes Menschen- und Kirchenbild, um das viele ringen, nicht gut bestellt.
Stephan Schmid-Keiser