Selig- und Heiligsprechungen

Zur Heiligsprechung der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. am Barmherzigkeitssonntag (27. April 2014).

Die Stichwörter «Heilige» und «Selige» sowie «Heilig- und Seligsprechungen» tauchen in den letzten Jahren in der SKZ relativ häufig auf. Das Thema wird angesichts der bevorstehenden Heiligsprechung von zwei Päpsten über den binnenkirchlichen Raum hinaus auf grosse Resonanz stossen, so dass es sich lohnt, grundsätzlich zu fragen, was eine Selig- oder Heiligsprechung ist, welche Prozeduren damit verbunden sind, aber auch, welche Fragen sich dabei stellen.

Heilige im kirchenamtlichen Sinne

Alle durch die Taufe in die Kirche Aufgenommenen sind damit schon geheiligt, wie der neutestamentliche Befund zeigt. Im kirchenamtlichen Sinne sind diejenigen Persönlichkeiten Heilige, die aufgrund einer unfehlbaren lehramtlichen Entscheidung des Papstes im Buch der Heiligen («Martyrologium Romanum ») registriert sind, womit festgestellt wird, dass diese verstorbenen Katholikinnen und Katholiken das Heil bereits erlangt haben, in voller Gemeinschaft mit Gott sind und für die noch auf Erden pilgernden Gläubigen bei Gott Fürsprache einlegen können.1 Als nicht unfehlbare Entscheidungen gelten Seligsprechungen, während die Gläubigen verpflichtet sind, Heilige als solche anzuerkennen und zu verehren.

Heiligkeitsanforderungen

Wichtigste Voraussetzung für den Beginn eines entsprechenden Prozesses ist der Tod des Märtyrers oder Bekenners. Das Martyrium war in den ersten Jahrhunderten das einzige kirchliche Heiligkeitsideal, d. h. die Inkaufnahme des physischen Todes frei und bewusst, wenigstens auch wegen des beharrlichen Glaubenszeugnisses. Dies wurde im zweiten Jahrtausend erweitert auf das Martyrium wegen des Einsatzes für die Rechte und die Unabhängigkeit der Kirche, was im 20. Jahrhundert für Heilige, die wegen des Glaubenshasses den Tod erlitten, noch mehr ausgeweitet wurde (z. B. bei Titus Brandsma oder Edith Stein). Maximilian Kolbe schliesslich wurde als Märtyrer der Liebe anerkannt, obwohl die stellvertretende Lebenshingabe den klassischen Martyriumsbegriff nicht erfüllt.

Der Selig- oder Heiligsprechungsprozess

Ein Prozess gliedert sich in drei Teile: In einer ersten Phase lassen die Bischöfe bzw. entsprechende Fachleute innerhalb ihres Bistums Nachforschungen über das Leben, die heroische Übung der Tugenden und über ein eventuelles Martyrium und den Ruf der Heiligkeit eines «Dieners oder einer Dienerin Gottes» durchführen. Danach ist es Aufgabe der Vatikanischen Kongregation für Heiligsprechungsverfahren, das vorgelegte Material zu sichten und zu überprüfen. Diese Kongregation legt in einem dritten Schritt dem Papst einen Urteilsvorschlag über die Eignung hinsichtlich des Kandidaten oder der Kandidatin vor, dessen oder deren Heilig- oder Seligsprechung angestrebt wird. Auf der Ebene des Bistums erfolgten die Untersuchungen bisher in dreifacher Weise: Im Schriftprozess wird untersucht, ob die von der zu untersuchenden Person verfassten Schriften nichts enthalten, das gegen Glaube und Sitte verstösst. Im darauf folgenden Informativprozess wird festgestellt, ob die Person im Rufe der Heiligkeit verstorben ist, die christlichen Tugenden gelebt hat und gegebenenfalls sogar Gebetserhörungen erfolgt sind. In einem dritten Schritt ist schliesslich nachzuweisen, ob die betreffende Person nicht bereits kultisch verehrt worden ist, was ein Hinderungsgrund für die Seligsprechung sein könnte. Auf allen Ebenen werden dabei Fachleute, sogenannte «periti», beigezogen.

Wundernachweis

Nach der neuen Regelung von 1983 wird für die Seligsprechung noch ein ordnungsgemäss anerkanntes Wunder und der Ruf der Wundertätigkeit der betreffenden Person verlangt; für die Heiligsprechung ist schliesslich noch ein Wunder nach der Seligsprechung nötig. Bei Märtyrern wird kein Wundernachweis verlangt, da der unfreiwillig erlebte gewaltsame Tod als genügender Nachweis für die Heiligkeit gewertet wird. Das Wunder- Erfordernis wurde bei Nichtmärtyrern von Papst Innozenz IV. (1243–1254) eingeführt, um die von fehlbaren Menschen bezeugte Tugendhaftigkeit noch durch ein Wunder abzusichern. Bereits seit längerer Zeit wird selbst in Fachkreisen diskutiert, ob dieser Wundernachweis Sinn macht. Der amtierende Papst Franziskus nahm per Dekret und ohne Zeremonie bereits mehrere Selige ohne Wundernachweis in den Heiligenkalender auf, so Anfang 2014 seinen Ordensbruder Peter Faber2 und Anfang April 2014 François de Laval (1623–1708), Bischof von Québec, den in Brasilien wirkenden Jesuiten- Missionar José de Anchieta (1534–1597) und die Gründerin des Ursulinenklosters in Québec, Maria von der Menschwerdung Christi (1599–1672).3 Franziskus will offensichtlich Vereinfachungen, auch was die Kosten betrifft, wo er eine Obergrenze definiert hat.4

Hierarchische Kontrolle der Heiligen

Die Heiligkeit wird vom Heiligen Geist bewirkt, der bekanntlich weht, wo er will. Dass schon relativ früh das kirchliche Amt versuchte, die Heiligenverehrung in den Griff zu kriegen, war nicht zuletzt eine Folge der Missbräuche, die sich in dieser Entwicklung «von unten» eingeschlichen hatten. Von daher wäre es falsch, die unermessliche Zahl der «Heiligen des Alltags», denen wir an «Allerheiligen » gedenken, gegen die kirchenamtlich festgestellten Heiligen auszuspielen.

Natürlich dienten und dienen Selig- und Heiligsprechungen nicht nur der «Erhöhung des katholischen Glaubens und zum Wachstum des christlichen Lebens», sondern decken auch kirchenpolitische Optionen und Absichten ab, zum Teil auch durch eigentliche pressure groups bewirkt und beschleunigt, manchmal auch unter Einsatz von fragwürdigen Mitteln. Der Heilige Stuhl selbst geht durchaus auch taktisch vor: So dürfte es kein Zufall sein, dass Johannes Paul II. im Jahre 2000 die Seligsprechung von Johannes XXIII. mit derjenigen von Pius IX. zusammengelegt hat, so wie es am 27. April 2014 kein Zufall ist, dass Papst Franziskus neben Johannes Paul II. mit Wundernachweis auch Johannes XXIII. ohne Wundernachweis heilig spricht. Ob eine so schnelle Heiligsprechung des Polen-Papstes dabei klug ist – Benedikt XVI. hob die übliche fünfjährige Prozesssperre auf – steht auf einem anderen Blatt.5 Jedenfalls wird der Papst heiliggesprochen, nicht aber dessen Pontifikat.

 

 

1 Ich stützte mich auf den sehr instruktiven Artikel von: Norbert Lüdecke: Heiligsprechung als Hierarchieschutz?, in: Hubert Wolf (Hrsg.): «Wahre» und «falsche» Heiligkeit. München 2013, 219–256; ausserdem auf: Winfried Schulz: Das neue Selig- und Heiligsprechungsverfahren. Paderborn 1988 (mit Grundlagendokumenten).

2 Vgl. Peter Henrici: Peter Faber SJ, ein sanfter Reformer, in: SKZ 182 (2014), 3.

3 KIPA 3.4.2014.

4 KIPA 15.1.2014.

5 Vgl. Carlo Kardinal Martinis Einwände Johannes Paul II. betreffend (KIPA 9.4.2014). Welchen Eindruck eine rasche Selig- oder Heiligsprechung hinterlässt, verdeutlicht Franz Kardinal König: «Der Grund, warum Escriva so bald selig gesprochen wurde, nur 17 Jahre nach seinem Tod, hat wahrscheinlich mehr damit zu tun, dass das Seligsprechungsverfahren kurz vorher vereinfacht und verkürzt worden ist (…). Ob allerdings eine so rasche Seligsprechung zu diesem Zeitpunkt auch opportun war, ist eine andere Frage. Ich persönlich hätte es für klüger gehalten, sich ein wenig mehr Gedanken zu machen, was für einen Eindruck eine solche Eile zwangsläufig wecken würde» (Franz König: Offen für Gott – offen für die Welt. Hrsg. v. Christa Pongratz-Lippitt. Freiburg u. a. 2006, 59 f.).

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.