Selig – aber wer?

2. Sonntag der Osterzeit: Offb 1,9–11a.12–13.17–19 (Apg 5,12–16; Joh 20,19–31)

Welch ein Glück: Für einige Sonntage nach Ostern sieht die Leseordnung C als zweite Lesung Texte aus der Offenbarung des Johannes vor. Ich kann mir freilich gut vorstellen, dass viele froh sind, die zweite Lesung nicht lesen zu müssen. Damit erübrigt sich eine eingehendere Beschäftigung mit dieser Schrift, die doch nur vom Ende der Welt erzählt … Und was es damit auf sich hat, ist seit dem letzten Dezember bekannt – sofern man sich überhaupt noch an den medialen Rummel erinnert. Bleibt die Frage, weshalb die Offenbarung des Johannes so selbstverständlich mit dem Ende der Welt in Verbindung gebracht wird, wo sie doch mit einer Neuschöpfung endet? Apokalyptik wird in den Bereich des Fantastischen und Beliebigen abgeschoben. Zwar beschäftigt sich die Forschung zurzeit wieder ein bisschen intensiver mit ihr, aber in der Praxis der Kirchen findet man sehr wenig davon – das überlässt man getrost einigen fundamentalistischen Zirkeln und Esoterikern. Wer erinnert sich denn noch an den Ausspruch von Ernst Käsemann, der die Apokalyptik als Mutter der christlichen Theologie bezeichnete und davor warnte, sie ungestraft überwinden zu können? Wer ist sich wirklich bewusst, dass die Aussage, Gott hat Jesus vom Toten auferweckt, eine apokalyptische Aussage ist, weil sie das sinnlose Todesgeschick Jesu als ein endgültiges Ereignis bestreitet? Aus diesem Grund ist es wirklich ein Glück, dass es die Schrift in die Leseordnung geschafft hat. Pech dabei ist nur, dass die vorgesehene Perikope wieder einmal «verschnitten» wurde. Ausgerechnet die Beschreibung der Gestalt des Menschensohnähnlichen wie auch die Namen der sieben Gemeinden entfallen. Dass der Text dabei an Plastizität verliert, ist das eine, das andere ist, dass damit auch die Leiblichkeit und Konkretheit geopfert wird. Es geht um konkrete Menschen, um eine physische Präsenz Christi, nicht um eine orthodoxe christliche Lehre. Es geht um einen Text, der betrachtet werden will: «Selig, wer die Worte der Weissagung vorliest, und selig, die sie hören und die bewahren, was darin geschrieben steht. Denn die Zeit ist nahe» (Offb 1,3).

Kontext der Vision

Offb 1,9–10 b: Johannes schreibt, dass er wegen des Wortes Gottes und des Zeugnisses für Jesus auf der Insel Patmos ist, und wie er am Sonntag vom Geist Gottes ergriffen wurde. Johannes – wer immer er konkret gewesen ist, bleibt umstritten – bezeichnet sich als Bruder jener, an die er schreibt und der wie sie bedrängt ist. Mit ihnen hat er teil an der Königsherrschaft Gottes (basileia) und wie sie leistet er in Jesus Widerstand. Im Verlaufe der Schrift wird klar, was mit Bedrängnis gemeint ist: Johannes wird verfolgt wie die, die sich zum Jesus als Messias bekennen. Sie weigerten sich, am römischen Kaiserkult und den damit verbundenen Opfern teilzunehmen, weil dieser für sie Götzendienst war. Deshalb wurden sie angeklagt, verfolgt und mit dem Tode bestraft. Eine solche Situation war alles andere als einfach. Noch schlimmer aber wurde sie durch den gesellschaftlichen Ausschluss. Da praktisch alles Fleisch Opferfleisch war, war es nicht möglich, an irgendeinem gemeinsamen Essen teilzunehmen. Der Ausschluss selbst war nicht nur deshalb schmerzlich. Er löste sehr oft auch innerhalb der eigenen Gruppierung Uneinigkeit und gewalttätige Prozesse aus. Wieso zum Beispiel sollte man nicht Opferfleisch essen dürfen, wenn man nicht an Götzen glaubt? Das Fleisch ist dann einfach nur Fleisch, mehr nicht. Johannes kennt also das harte Leben der Ausgeschlossenen, er kennt Verfolgung und Repression aus eigener Erfahrung. Mit seinen Schwestern und Brüdern teilt er die Königsherrschaft Gottes, die der Macht des Imperiums, das für sich göttliche Macht reklamiert, diametral entgegengesetzt ist. Dieser Macht muss man widerstehen (hypomene wird in der Regel mit «ausharren» übersetzt. «Ausharren » verleitet aber zu einem passiven Verständnis, während mit «Widerstehen» eine aktive Haltung gemeint ist). Kirche hat deshalb der Ort zu sein, wo diese Alternative zum Imperium gelebt wird. Das Verständnis von Kirche, das hier zum Ausdruck kommt, ist kein hierarchisches, sondern das einer von einer tiefen Geschwisterlichkeit geprägten solidarischen Gemeinschaft. D er Vision voraus geht eine Audition (10b–11): Johannes hört eine Stimme, die ihm das aufzuschreiben befiehlt, was er zu sehen bekommt. Das soll er den sieben Gemeinden Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea schicken. Vers 19 widerholt noch einmal den Schreibbefehl.

Vision

Die eigentliche Vision beginnt mit Vers 12: Johannes wendet sich um, um die Stimme zu sehen. Diese sprachliche Wendung ist seltsam, Stimmen hört man, man sieht sie nicht. Doch klingt hier das Geschehen am Sinai an. Als Gott den Israeliten die Tora gab, sah das ganze Volk die Stimmen. Und das findet ja wiederum seinen Niederschlag im Pfingstbericht. Es geht also um eine göttliche Offenbarung. Aber Johannes muss sich umdrehen (V.12), um die Stimme zu sehen. Das ist so wichtig, dass das Verb «drehen» gleich zweimal gebraucht wird. Dies wiederum erinnert an die Szene von Maria von Magdala am Grabe: Sie erkennt Jesus, den Auferstandenen erst, nachdem sie sich umgedreht hat (vgl. Joh 20,16). Im Grab findet man Tote, nicht Lebende. Der Blick in die richtige Richtung ist entscheidend. Auf ihn kommt es in der Apokalyptik an, denn nur so lassen sich die Geister unterscheiden. A pokalyptik ist Enthüllung, nicht Verbergung. Und was sieht J ohannes? Sieben goldene Leuchter und inmitten dieser Leuchter eine Gestalt, gekleidet mit einem Mantel und fest auf dem Boden stehend – im Unterschied zu jenen Figuren, die auf tönernen Füssen stehen. Das Haar ist weiss wie Wolle – was an die Vision von Dan 7 erinnert, dort aber Gott zugeschrieben ist. Die Augen sind so, dass sie sehen, und das Schwert im Munde zeigt, dass diese Worte Wirkung haben. In der Rechten hält sie sieben Sterne, die dann als die sieben Gemeinden identifiziert werden. Die Vision überwältigt Johannes, und er fällt zu Boden. Die Gestalt aber legt ihre Rechte auf ihn und spricht: «Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und Letzte und der Lebendige; ich war tot und siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. » Das ist die Grundbotschaft: Jesus, der Auferstandene, ist nicht weg, er ist nicht verreist, er thront nicht einsam bei Gott, sondern er lebt leiblich (die Gestalt ist bekleidet, legt die Hand auf den Seher, hält die Gemeinden [Sterne] in der Rechten) mitten in den Gemeinden, ist da in dieser Geschichte – es gibt also nicht zwei Geschichten, eine Heilsgeschichte und eine Weltgeschichte, sondern nur die eine Geschichte. Er hat die Schlüssel zum Totenreich, will heissen, dass er die Macht hat, dem Tod die Toten zu entreissen und den Tod zu besiegen.

Die Apokalypse entbirgt Gottes Anwesenheit bei den Armen und Verfolgten. Gerade deshalb wird sie nicht müde, auf die Unterscheidung der Geister hinzuweisen, soll der Gott des Lebens nicht mit dem Gott verwechselt werden, der den Tod von Menschen verschuldet.

<hr />

Pablo Richard: Apokalypse. Das Buch von Hoffnung und Widerstand. Ein Kommentar. (Edition Exodus) Luzern 1996, 79 f. (gehört für mich zu einem der besten, wenn auch von den Exegeten selten zitierten, oder zitierten, aber kaum gelesenen Apokalypse- Kommentaren).

 

 

 

Hanspeter Ernst

Hanspeter Ernst

Der Theologe und Judaist Hanspeter Ernst ist Geschäftsleiter der Stiftung Zürcher Lehrhaus – Judentum, Christentum, Islam