Landtitel und genug zu essen

Eulalia Catalinia Lopez, 51, ist stolz auf ihren ertragreichen Garten in Repollal, für den sie dank der Unterstützung durch Acdij inzwischen auch einen Landtitel besitzt. (Bild Patricio Frei/FO)

 

Im Bergdorf Repollal I in Guatemala freuen sich die Menschen über die Landtitel. Entscheidende Hilfe bot «Acdij», eine Partnerorganisation von Fastenopfer. Nun geht es darum, die Ernte zu verbessern und Zugang zum Markt zu erhalten. Kein leichtes Unterfangen.

«Erfolgsmodell»

Als «Erfolgsmodell» bezeichnet es ein US-Professor auf seiner Website. Die Rede ist von MayaPak in Guatemala, einer Tochterfirma des Konzerns Hanover Foods, der vor allem im Osten der USA Gefrier- und Dosengemüse vertreibt. MayaPak hat in Guatemala rund 2000 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern unter Vertrag, welche auf ihrem eigenen Land Gemüse anpflanzen und die Ernte an MayaPak verkaufen. In Repollal I aber, wo die Bauern für MayaPak arbeiten, spricht niemand von einem «Erfolgsmodell». «Die Verträge sind ungerecht», wettert Alfonso Rax Choc in der Sprache des Volks der Q’eqchi‘. Der 56-Jährige ist einer der Führer des Dorfes Repollal I. Sein Wort hat Gewicht in der Gemeinschaft. Und normalerweise ist er zurückhaltend und ruhig. Doch kaum kommt das Gespräch auf MayaPak, gerät er in Rage: «Wegen diesen Anbaumethoden wird die Umwelt mit Pestiziden vergiftet. Mit solchen Verträgen verliert man bloss Zeit und gewinnt kaum Geld. So arbeite ich nicht», sagt der Vater von drei Söhnen und zwei Töchtern.

Das ganze Risiko tragen die Bauern

Repollal I liegt etwas abgeschieden oberhalb von Purulhá im Norden des Departements Baja Verapaz. Die Strasse, die hinaufführt in das kleine Bergdorf mit 98 Familien, ist staubig und steil. Gleich beim Dorfeingang liegt das Feld von Juan Xol Xol. Der 35jährige Bauer hat hier auf 20 Aren grüne Bohnen angebaut – für MayaPak. Wie als Entschuldigung sagt er irgendwann während des Gesprächs: «Den Vertrag habe ich ja nicht unterschrieben, weil es mir gefällt. Aber nur so kann ich sicher sein, meine Ernte zu verkaufen. Der Vertrag gibt mir Sicherheit.» Allerdings eine sehr kleine, das weiss auch er. Statt der erhofften Unabhängigkeit hat die Zusammenarbeit mit Händlern wie MayaPak den Menschen in Repollal I vor allem Ausbeutung gebracht. Immer weniger sind bereit, ihre Felder für Verträge herzugeben. Wer wie Bauer Xol einen Vertrag unterzeichnet, verkauft seine Ernte, bevor die Saat ausgebracht ist. Dafür muss er sich verpflichten, Saatgut, Kunstdünger und Pestizide beim Vertragspartner zu kaufen. Der Preis für die Ernte wird zwar vorher festgelegt, allerdings viel zu tief. Das bedeutet, dass der Bauer alle Risiken trägt. Nach Abzug der Ausgaben bleibt vom Ernteerlös meist nur wenig als Lohn für die geleistete Arbeit. Für Xol werden es 2900 Quetzales sein, umgerechnet 330 Franken, also etwas mehr als ein durchschnittliches Monatseinkommen in Guatemala. Zuwenig, um seine Familie zu ernähren.

Ohne Landtitel droht Vertreibung

Ohne «Acdij» würden die Menschen in Repollal I heute wohl hungern. Die Partnerorganisation von Fastenopfer hat im Dorf eine positive Entwicklung in Gang gebracht. Darin sind sich alle einig, auch Anführer Rax und Bauer Xol. 2009 hat «Acdij» je zwei Vertreterinnen und Vertretern aus Repollal I sowie fünf Nachbardörfern in Kursen aufgezeigt, wie ihre Gemeinschaften bei welchen Instanzen ihr Land juristisch absichern können. 2010 war es dann soweit: 245 Bauernfamilien erhielten ihre Besitzurkunden. Solche Landtitel sind einem Land wie Guatemala, wo Vertreibungen von Bauernfamilien weiterhin zum Alltag gehören, ein unschätzbares Gut. In Guatemala leidet gemäss der UNO rund die Hälfte der Kinder an Unterernährung. Ein Grund für diesen Missstand ist der fehlende Zugang zu Land: In Guatemala sind 67 Prozent des fruchtbaren Bodens im Besitz von 1,5 Prozent der Bevölkerung. Die indigene Bevölkerung wird seit der Kolonialzeit diskriminiert und vom sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Während des Bürgerkriegs, der 1996 zu Ende ging, wurden Indigene systematisch verfolgt und von ihrem Land vertrieben. Und seit ausländische Unternehmen auch in Guatemala Palmen und Zuckerrohr für Agrotreibstoff in Industrieländern anbauen, nimmt der Druck auf das verbleibende Land weiter zu.

Nachteil als Vorteil

Der Nachteil von Repollal I ist vielleicht auch dessen Vorteil: Für die industrielle Landwirtschaft ist das Bergland uninteressant. Die steilen Felder bedingen Handarbeit, der Boden ist wegen Trockenheit und der Höhe von über 2000 Metern über Meer wenig ergiebig. 2012 hat es zwischen Januar und Juni kein einziges Mal geregnet. Das gab es noch nie. Im Dorf vermutet man den Klimawandel als Ursache. Nur fünf Familien besitzen einen Tank, um das Regenwasser von den Dächern zu sammeln. Eine Quelle liefert zwar Trinkwasser – liegt aber in einer Höhle in 79 Meter Tiefe versteckt. Und der nächste Fluss ist drei Kilometer entfernt.

Neue Abwechslung auf dem Teller

Nachdem alle Familien ihren Landtitel erhalten hatten, startete «Acdij» mit 12 Familien die zweite Phase des von Fastenopfer finanzierten Projekts: Verbesserung der Anbaumethoden und der Vermarktung. Zwei Jahre später wenden bereits 40 Familien auf ihrem Land umweltschonende Methoden an. Abgesehen von seinem Bohnenfeld für MayaPak setzt auch Bauer Juan Xol auf Biolandbau, um seine Frau und seine Tochter zu ernähren: Auf über 50 Aren gedeiht Gemüse für den Eigenbedarf – rein biologisch, wie er versichert. In den Gärten von Repollal I hat die Vielfalt zugenommen. Neben Mais und roten Bohnen, die in Guatemala bei keiner Mahlzeit fehlen, wachsen bei Rax nun Kohl, Karotten, Randen, Kürbisse und Radieschen: «Jetzt haben wir mehr Abwechslung auf dem Teller. Darüber freuen sich auch die Kinder. » Zudem gibt es Baumschulen für Pinien: Die Wiederaufforstung der Hänge rund um das Dorf trägt dazu bei, die Bodenerosion zu stoppen und Erdrutsche zu vermeiden.

Den Hunger endgültig überwinden

Für viele Menschen hier ist der sorgfältige Umgang mit dem Boden wichtig. Sie haben eine enge spirituelle Beziehung zum Boden und sprechen von Madre Tierra, der Mutter Erde. «Von ihr stammen wir, und zu ihr kehren wir zurück», sagt Alfonso Rax, der Anführer. Hinter dem Haus lagern neben den Harassen mit den Saatkartoffeln einige PET - Flaschen mit selbsthergestelltem Pflanzenschutzmittel. Die Zutaten: Dung, Maisblätter, Laub – und zwei Löffel Milch. Rax ist begeistert: «Jetzt sind die Pflanzen kräftiger und die Blätter grüner. Wir holen bessere Ernte ein als vorher. Und wir haben keine Auslagen mehr für Pestizide.» Besitzurkunden für das eigene Land und die Verbesserung der Anbaumethoden sind erste Schritte, um die Lebensbedingungen der Menschen in Repollal I nachhaltig zu verbessern. Nun brauchen sie einen fairen Zugang zum Markt und alternative Einkommensmöglichkeiten. Kein leichtes Unterfangen angesichts der Abgeschiedenheit des Dorfs. Aber dank der durch «Acdij» entstandenen Dynamik werden die Menschen in Repollal I gemeinsam Wege finden, den Hunger endgültig zu überwinden und ihr Leben zu verbessern.

Patricio Frei, Fastenopfer


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«Sehen und Handeln: Ohne Land kein Brot» heisst das Thema der Kampagne 2013 von Fastenopfer und Brot für alle. Es werden die verheerenden Folgen des Landraubes unter die Lupe genommen. Mit Ihrer finanziellen Unterstützung tragen sie dazu bei, dass engagierte Partnerorganisationen vor Ort die Missstände mit der armen Bevölkerung konkret angehen können. Sie können Ihre Spende direkt der Partnerorganisation «Asociación Comunitaria para el Desarrollo Integral de Jedreps» (Adcij) zukommen lassen, deren Arbeit im nebenstehenden Artikel beschrieben ist. Im Moment profitieren von der Arbeit 1031 Personen – davon 486 Frauen. Postkonto PC 60-19191-7 Vermerk: Adcij/130099 Mehr Information www.oekumenischekampagne.ch

Patricio Frei

Patricio Frei

Patricio Frei ist Fachverantwortlicher PR und Campaigning beim Hilfswerk Fastenopfer