Schulpastoral – Chance des Religionsunterrichts

Angela Kaupp / Gabriele Bussmann / Brigitte Lob / Beate Thalheimer (Hrsg.): Handbuch Schulpastoral. Für Studium und Praxis (Grundlagen Theologie). (Verlag Herder) Freiburg i. Br. 2015, 382 S.

In eindrücklicher Weise legt das neue "Handbuch Schulpastoral" weitreichende Möglichkeiten für Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger dar, die zur Humanisierung der Schule beitragen können. Die ersten Gelegenheiten, für die unsere Religionspädagogen und Religionslehrerinnen gefragt sind, betreffen Unglücke und Todesfälle, die durch Rituale und Feiern im Rahmen der Schule zu verarbeiten sind. Es gehört zu den Basiskompetenzen der Verantwortlichen, in solchen und ähnlichen Grenzsituationen eine Sprache zu finden, Hiobsbotschaften adäquat zu überbringen und Gebets- beziehungsweise Schulgottesdienste zu gestalten. Bewährt haben sich ferner Schulendtage oder Besinnungswochenenden, die abseits der Schule Fragen der Gemeinschaft thematisieren, und oft schwierige Klassen zusammenschweissen. Weiter geht es um thematische Tage und Aktionen, um Jubiläen oder Ferien in den geprägten Zeiten, die im Schulleben eine Abwechslung bringen und die Schülerinnen und Schüler ganzheitlich ansprechen.

Schulpastoral wird in Deutschland seit der "Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik" konkret im Synodenbeschluss "Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich" (1975) systematisch reflektiert, nachdem der Beginn bis in die "Seelsorgestunden" während des Zweiten Weltkrieges zurückreicht. Ohne Berührungsängste mit den Schulen und den Lehrpersonen können die Kirchen durch Religionslehrer/-innen und eigene Schulseelsorger/-innen in der Schule Angebote machen, welche die Schulkultur fördern und den Schülern in einer verkopften, leistungsorientierten und krank machenden Schule Verschnaufpausen geben. Diese Möglichkeiten – nicht alle – lassen sich auch in der Schweiz realisieren, wobei der Religionsunterricht nicht denselben Stellenwert hat wie in Deutschland. Es handelt sich um absichtsfreie interdisziplinäre Projekte, interreligiös sensible Gruppenarbeiten in schulischen Freiräumen (u. a. Nachmittagsangebote in der Ganztagesschule), um die Schulung von Careteams für Notfälle, um die Initiierung von Eine-Welt-Kreisen, um Konfliktmediationen und spirituelle Angebote (z. B. Mittagsmeditationen), kurz: um vielfältige Varianten des Schullebens.

In diesen Angeboten der Schulpastoral sollten die Schülerinnen und Schüler als Personen, als Mädchen und Jungen ernstgenommen und angesprochen werden. Eine Willkommenskultur kann ihnen die Erfahrung vermitteln, dass sie in dieser Schule willkommen und unbedingt erwünscht sind, statt einseitig nach ihrer schulischen Leistung beurteilt zu werden. Die Schule wird als "Lebensraum" verstanden, in dem die Schüler/ -innen auch emotionale und soziale Bedürfnisse haben, die sie äussern und stillen dürfen.

Das neue "Handbuch der Schulpastoral" bündelt das "Nachdenken über zeitgemässes pastorales Engagement in der Schule" (aus dem Geleitwort von Bischof Franz-Josef Bode, S. 10). Es gliedert sich in fünf Hauptkapitel mit mehreren Unterkapiteln und schliesst mit einem umfassenden Literaturverzeichnis, mit Registern und Internetadressen sowie einem Verzeichnis der Mitarbeitenden ab.

Kapitel 1 "Grundlagen" (S. 15–81) behandelt das Selbstverständnis und Anliegen der Schulpastoral, das Beziehungsverhältnis von Gesellschaft, Schule, Kirche und Schulpastoral. Zu beachten ist der systemtheoretische Ansatz, wonach die Schule als Feld betrachtet wird, in dem verschiedene Akteure auf unterschiedliche Weise interagieren. Schulpastoral wird sowohl von der Diakonie der Kirche her begründet als auch von Seiten der Schulpädagogik. Das Fazit dieses Kapitels besteht darin, dass Schule und Kirche miteinander eine "Bildungsallianz" (S. 77) eingehen.

Kapitel 2 "Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger" (S. 83–122) befasst sich mit den Rollen und Grundhaltungen, auch mit der Spiritualität und den Kompetenzen der Verantwortlichen. Hierbei hat mich überzeugt, wie sehr angesichts der rapiden Veränderungen und Beschleunigungen eine "Schwarzbrotspiritualität" (S. 109) zum Zuge kommt und "die Realität mit unverstelltem Blick" (ebd.) wahrgenommen wird. Die harte Schulwirklichkeit, die manche Jugendliche und einige Lehrpersonen an die Grenzen führt, soll und darf nicht schöngeredet werden. Fokus ihres Tuns soll die "Menschwerdung" (S. 111) sein, was in Kontrast zu einer sich stets selbst optimierenden Leistungsgesellschaft steht. In neuer Weise soll der Umgang mit Misserfolg und Zeit eingeübt werden.

Kapital 3 "Entwicklungslinien" (S. 123–164) bringt die Geschichte der Schulpastoral seit siebzig Jahren in Erinnerung und wirft auch einen instruktiven Blick auf die "Schulseelsorge" im evangelischen Bereich. Ein Plädoyer für die Begleitung islamischer Schülerinnen und Schüler durch muslimische Vertreter/-innen fehlt nicht, wobei der Umgang mit pluralen Schülerschaften durch Kooperationen und Begegnungen conditio sine qua non für alle ist. Hier darf angemerkt werden, dass die Integration muslimischer Kinder durch Schule, Religionsunterricht und Schulpastoral in Deutschland teilweise weiter vorangeschritten ist als in der vom Minarettverbot gelähmten Schweiz.

Kapitel 4 "Profile" (S. 165–208) kommt auf diverse spirituelle Schwerpunkte der Schulpastoral zu sprechen. Da hat sich eine ignatianisch geprägte Schulpastoral ebenso herausgebildet wie eine auf dem Hintergrund der Regel des hl. Benedikt. Eine pluralitätssensible Schulpastoral im Anschluss an Raimon Panikkar wird angedacht, und weitere Chancen der Schulentwicklung vermittels Schulpastoral werden aufgezeigt.

Kapitel 5 "Strukturen und Rahmenbedingungen" (S. 209–346) stellt dann eine ganze Serie von Konzeptionen der Schulpastoral vor: Zahlreiche deutsche Bistümer haben solche ausgearbeitet und dazu Fortbildungen durchgeführt. Hier werden auch die rechtlichen Voraussetzungen und die Vernetzungen zu weiteren pastoralen Felder aufgezeigt wie zum Religionsunterricht, zur Jugendarbeit, zur Gemeindekatechese (Firmvorbereitung) u. a. m. Erstaunlich sind die entstandenen Arbeitshilfen und die vielfältigen kreativen Unternehmungen.

Das "Handbuch Schulpastoral" enthält 27 Einzelbeiträge zu ca. 10–15 Seiten, die lesefreundlich gestaltet sind und einen guten Überblick über ein verheissungsvolles neues Arbeitsfeld des Religionsunterrichts geben. Kein Wunder, dass die erste Auflage sofort vergriffen war und der Verlag zu einem Nachdruck gezwungen wurde. Balsam für die vier herausgebenden Frauen und alle Autorinnen und Autoren! 

 

 

Stephan Leimgruber

Stephan Leimgruber

Dr. Stephan Leimgruber ist seit Februar 2014 Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und zuständig für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung. Bis zu seiner Tätigkeit in Luzern war er Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät in München.