Öko-Enzyklika: Viel Lob und nur vereinzelt Kritik in Rom

Die Spannung, mit der die Öffentlichkeit das Papst-Lehrschreiben zur Umweltproblematik erwartete, war gross, übergross. Kein Wunder deshalb, dass man in Rom beweifelte, ob das vom Heiligen Stuhl verhängte Publikations- Embargo bis zum 18. Juni eingehalten würde. Die Zweifler hatten recht: Der Vatikanspezialist des Magazins "Espresso" beschaffte sich klammheimlich den fast fertigen Text und veröffentlichte ihn drei Tage vorher. Zur Empörung des Vatikans, der resignierend zugab: "Indiskretionen aus dem Umkreis des Heiligen Vaters finden noch immer den Weg nach draussen." Vatileaks und kein Ende … Aber diese Vorabveröffentlichung kann auch positiv gesehen werden, stossen Papstschreiben doch normalerweise nicht auf ein solch starkes Echo. Und dass die erste Umwelt-Enzyklika der Kirche "geleakt" wurde, erhöhte die Spannung nur noch. Tatsächlich war der Andrang der Journalisten am 18. Juni zum Erhalt des 215-seitigen Lehrschreibens sehr gross. Entsprechend breit war dann die Berichterstattung und Kommentierung. Fazit: Die Enzyklika "Laudato si’" fand weltweit ein überwiegend positives Echo – aber die vereinzelten kritischen Stimmen verdienen Beachtung. Hier ein paar Beispiele.

Mehrere Kurienkardinäle und italienische Bischöfe lobten nicht nur, dass Franziskus so nachdrücklich vor weiterer Zerstörung unseres Planeten warnt und "Halt!" ruft, sondern auch, dass dieser Papst der Armen die soziale Frage mit der Umweltproblematik (speziell dem Klimawandel) verbindet. Dazu ein Sprecher der Italienischen Bischofskonferenz CEI zur SKZ: Der Heilige Vater "redet den Ländern des Nordens ins Gewissen, dass sie die Hauptschuld an dem enormen Energieverbrauch und damit an der Bedrohung des Ökosystems tragen". Und er tue dies überzeugend, von einer schöpfungstheologischen Warte aus.

Was den meisten Kommentatoren ausserdem an "Laudato si’" gefällt, ist der für Franziskus typische einfache, "direkte" Stil, in dem er die Leser anspricht. Positiv überrascht zeigen sich nicht kirchlich gebundene Beobachter durch einen weiteren Aspekt: Der Pontifex benützt in seinem Lehrschreiben, besonders im ersten Teil, auffallend viele Begriffe und Argumente, die bisher fast nur in "laizistischen" Abhandlungen auftauchten – etwa Verschmutzung, Abfälle, Wegwerfkultur, Trinkwasserproblem, Verlust der "Bio-Vielfalt", Verfall der Lebensqualität.

Gleichwohl sind die Einwände gegen "Laudato si’" nicht zu überhören. Etliche Kommentatoren (keineswegs nur in Rom) monieren: Das Lehrschreiben sei mit 215 Seiten entschieden zu lang, der Autor wiederhole sich in mehreren Passagen. "Weniger wäre mehr gewesen." Trotz der Weitschweifigkeit der Enzyklika konstatiert man ein merkwürdiges Manko: Zwar betont der Papst, dass alles in der Welt im Innersten zusammenhängt – aber er sagt nicht, dass dies ein Konzept der asiatischen Religionen, speziell des Buddhismus und des Taoismus ist.

Ein wichtiger sachlicher Einwand bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen der – auch vom Papst beschworenen – sozialen Entwicklung und der Bevölkerungszunahme. Dazu fragt der prominente Theologe Vito Mancuso in Italiens grösster Tageszeitung "La Repubblica": "Kann man wirklich mit Franziskus behaupten, dass das Bevölkerungswachstum mit einer positiven sozialen Entwicklung vereinbar ist?" Wenn schon die jetzt sieben Milliarden Menschen auf der Welt mehr Abfälle produzieren, als man entsorgen kann – wie soll es dann 2050 werden, wenn die Erdbevölkerung 9,6 Milliarden beträgt?

Vatikankritische Journalisten thematisieren dies aggressiver: Es sei frappierend, wie Franziskus einen Bogen um das ideologische Minenfeld der Überbevölkerung und der Geburtenregelung macht, ohne diesen Themen ein eigenes Kapitel zu widmen. Warum? Weil er genau weiss, dass die Kirche in dieser Frage die Gläubigen abschreckt. Eine ganz andere Kritik betrifft das Thema Klimawandel. Laut Franziskus ist die globale Erderwärmung auf den masslosen Verbrauch fossiler Brennstoffe zurückzuführen – sie ist also Schuld des Menschen, besonders des Kapitalismus. Das aber wollen Super-Kapitalisten absolut nicht hören. Bezeichnend dafür eine bissige Erklärung des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Jeb Bush (aus der bekannten Republikaner- Dynastie), der vor 25 Jahren zum Katholizismus konvertierte: "Ich lasse mir meine Wirtschaftspolitik nicht von meinen Bischöfen, meinen Kardinälen oder meinem Papst diktieren." Punkt, basta.

Die Rezeption der Öko-Enzklika ist also sehr vielfältig. Der deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller unterstreicht die Absicht des Papstes, nicht eine einzelne, begrenzte Sicht der Umweltproblematik "mit lehramtlicher Autorität zu begünstigen", sondern "in einen Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen einzutreten". Müller schreibt dies im Vorwort eines Taschenbuchs mit dem Text des Dokuments, das schon Ende Juni erscheint. Also einer Publikation, die erneut das enorme Interesse an dieser "super-grünen" Enzyklika zeigt. 

 

 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan