Schöpfungstheologie - Eine islamische Perspektive

Nach klassischer islamischer Lesart kann ein bestimmter Sachverhalt als islamisch bezeichnet werden, wenn er auf die islamischen Quellen (Qur’an und Hadith = Prophetenüberlieferung) zurückgeführt werden kann.

Der Qur’an enthält keine Kosmogonie und keinen Schöpfungsmythos. Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und öde, und Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser lesen wir im Schöpfungsbericht der Bibel. Und etwas später: Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die sich auf der Erde regen.

Lies im Namen deines Herrn, Der erschaffen hat – den Menschen erschaffen hat aus einem Blutklumpen. Lies; denn dein Herr ist Allgütig. Der den Menschen den Gebrauch des Schreibrohrs gelehrt hat – den Menschen gelehrt, was er nicht wusste. So beginnt die qur’anische Offenbarung.

Grundsätzliche Bemerkungen

Der Qur’an beginnt also nicht mit einem Schöpfungsbericht. Wohl finden sich in ihm auch Erzählungen, wie wir sie von der Bibel kennen. Diese haben aber im qur’anischen Kontext keinen Selbstzweck, sie dienen lediglich der Exemplifizierung eines Sachverhalts oder der Betonung einer bestimmten «Message», um die es an dieser Stelle geht. So zum Beispiel Q. 4,1: O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen und aus ihm erschuf Er seine Gattin, und aus den beiden liess Er viele Männer und Frauen entstehen. In Sure 4 geht es primär um die Rechte der Frauen, die Geschlechterbeziehungen, das Familienleben allgemein und soziale Beziehungen. Bei den Aussagen zur Schöpfung im Qur’an geht es also nicht um das WIE, sondern um das WARUM und WOZU. Die Schöpfung und das Reflektieren über sie dienen im Qur’an der Erkenntnis Gottes und der Bestätigung seiner Grösse und Autorität und damit verbunden seinem Recht auf exklusive Verehrung und Anbetung.

Der Qur’an und die Schöpfung

Nachdrücklich betont der Qur’an Gott (Allah) als Schöpfer (badī) der Himmel und der Erde und allem, was dazwischen ist. Er ist Schöpfer aller Dinge. Gepriesen sei Er. Wahrlich, Ihm gehört, was in den Himmeln und auf der Erde ist alles ist Ihm untertan, Dem Schöpfer der Himmel und der Erde! Wenn Er eine Sache beschliesst, so sagt Er nur zu ihr: Sei! und sie ist (Q. 2,117). Die Tatsache des Schöpferseins rechtfertigt wiederum die Anbetung Gottes: O ihr Menschen, dient eurem Herrn, Der euch und diejenigen vor euch erschaffen hat, damit ihr gottesfürchtig sein möget (Q. 2,21).

Der Schöpfungsvorgang ist jedoch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit einfach abgeschlossen. Gott überlässt seine Schöpfung nicht ihrem Schicksal, sondern erhält sie auch in jedem Moment ihrer Existenz. Allah, kein Gott ist da ausser Ihm, dem Lebendigen, dem Ewigen. Ihn ergreift weder Schlummer noch Schlaf. Ihm gehört, was in den Himmeln und was auf der Erde ist. Wer ist es, der bei Ihm Fürsprache einlegen könnte ausser mit Seiner Erlaubnis? Er weiss, was vor ihnen und was hinter ihnen liegt; sie aber begreifen nichts von Seinem Wissen, es sei denn das, was Er will. Weit reicht Sein Thron über die Himmel und die Erde, und es fällt Ihm nicht schwer, sie (beide) zu bewahren. Und Er ist der Hohe, der Erhabene (Q. 2,255).

Zweck der Schöpfung

Was aber bezweckt Gott mit der Schöpfung? Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Wechsel der Nacht und des Tages, liegen wahre Zeichen für die Verständigen, die Allahs gedenken im Stehen und im Sitzen und (Liegen) auf ihren Seiten und über die Schöpfung der Himmel und der Erde nachdenken (und sagen): Unser Herr, Du hast dieses nicht umsonst erschaffen (Q. 3,190–191). Gott braucht die Schöpfung weder für sich selbst, noch schuf er sie aus einer Laune heraus zum Spass: Und Wir erschufen Himmel und Erde und das, was zwischen beiden ist, nicht zum Spiel. Hätten Wir Uns einen Zeitvertreib schaffen wollen, so hätten Wir dies von Uns aus vorgenommen, wenn Wir das überhaupt hätten tun wollen (Q. 21,16–17).1

Was also die Absicht Gottes bei seiner Schöpfung? Hier wird der Qur’an anthropozentrisch: «Er ist es, Der für euch alles auf der Erde erschuf (Q. 2,29).2 Aber der geschaffene Kosmos ist mehr als nur Basis für menschliches Überleben und Wohlergehen: (...) Er gab der Erde damit Leben, nachdem sie tot war und liess auf ihr allerlei Getier sich ausbreiten und im Wechsel der Winde und den dienstbaren Wolken zwischen Himmel und Erde, (in all dem) sind Zeichen (ayāt) für Leute, die begreifen (Q. 2,164).3 Damit wird die Natur und ihre Phänomene analog dem geoffenbarten Text Mittel zur Gotteserkenntnis, zumindest für die Verständigen. Diese Zeichen Gottes wurden nicht um ihrer selbst willen geschaffen, sondern weisen über sich hinaus. Der Mensch wiederum ist aufgefordert, die Zeichen richtig zu deuten: Und zu Seinen Zeichen gehören die Nacht und der Tag und die Sonne und der Mond. Werft euch nicht vor der Sonne anbetend nieder, und auch nicht vor dem Mond, sondern werft euch anbetend vor Allah nieder, Der sie erschuf, wenn Er es ist, Den ihr verehrt (Q. 41,37).

Der Mensch

Wie erwähnt, handeln die ersten offenbarten Verse des Qur’ans nicht von der Erschaffung der Welt, sondern richten sich mit der Aufforderung «Iqrā’!» (Lies!) direkt an den Menschen Muhammad. Ihm gibt Gott sich zu erkennen als derjenige, der den Menschen geschaffen und mit intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet hat. In Q. 2,30 heisst es entsprechend: Und als dein Herr zu den Engeln sprach: Wahrlich, Ich werde auf der Erde einen Nachfolger (khalifa) einsetzen», sagten sie: «Willst Du auf ihr jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergiesst, wo wir doch Dein Lob preisen und Deine Herrlichkeit rühmen?» Er sagte: «Wahrlich, Ich weiss, was ihr nicht wisset.»4

Damit bekommt der Mensch als khalifa (Stellvertreter/Nachfolger) die Möglichkeit, frei über seinen oder ihren Weg zu entscheiden. Diese Treuhänderschaft, welche Gott dem Menschen gewährt, birgt allerdings das Risiko, dass der Mensch die ihm verliehene Macht zum Schlechten missbraucht. Er kann sich gegen Gott wenden, seine Umgebung zerstören, ungerecht gegen die Menschen sein – was die Engel vorausgesehen haben. Er hat also das Potenzial zum Guten wie zum Schlechten. Dieses Potenzial ist es, was den Menschen von der restlichen Schöpfung unterscheidet und heraushebt.

Mensch – Natur und Bewahrung der Schöpfung

Der Mensch ist einzigartig in der Schöpfung, weil er allein mit einem freien Willen ausgestattet wurde, um die seine Mission als khalifa oder Treuhänder Gottes zu erfüllen, nämlich eine moralische soziale Ordnung auf Erden zu schaffen. Als khalifa hat der Mensch demnach eine gewisse Verfügungsgewalt über das Universum. Und Er hat das für euch dienstbar (taskhīr) gemacht, was in den Himmeln und auf Erden ist; alles ist von Ihm (Q. 45,13).5 Bezogen auf den Qur’an lassen sich daraus zwei Schlüsse ziehen. Erstens, dass die gesamte Schöpfung im Bereich des menschlichen Zugriffs ist. Shari’a-rechtlich bedeutet das, dass es dem Menschen erlaubt ist, die Ressourcen des gesamten Universums zu nutzen und dass zweitens dieses Nutzungsrecht allen Menschen gleichermassen zukommt. Keine Nation oder sonst wie partikulare Gruppe von Menschen hat das Recht, für sich einen grösseren Anteil an den Ressourcen zu fordern. Gleichzeitig sind alle aufgefordert, sich für den Schutz der Umwelt, gegen deren Verschmutzung und den Klimawandel einzusetzen. Da die Menschen insgesamt Nutzniesser der natürlichen Ressourcen sind, sind sie auch gemeinsam für die Erhaltung verantwortlich.

Islam und Ökologie in der Praxis

Viele Muslime – nicht zuletzt in Europa – berufen sich bei ihrem Engagement für die Umwelt auf das Beispiel Muhammads. In der Tat lassen sich in den Prophetenüberlieferungen (Hadith) und in der Prophetenbiographie (Sira) etliche Beispiele finden, die umweltsensibles Handeln aus islamischer Perspektive rechtfertigen. Die Agha Khan Development Foundation und das Agha Khan Development Network (AKDN) sind NGOs, die in den 1960er-Jahren gegründet wurden und sich Entwicklungsthemen widmen. «An eco-sensitive world that respect and cares for the natural resources of the earth must presume the genuine participation of human beings within that ecosystem.»

Einer der jüngsten Vorstösse auf religiös-politischer Ebene war eine Zusammenkunft von namhaften Gelehrten von Marokko über Bosnien- Herzegowina bis Indonesien im August 2015 in Istanbul. Daraus resultierte die Islamic Declaration on Global Climate Change. Darin appellieren die Gelehrten an die grossen Verursacher von Treibhausgasen, die westlichen Staaten, und die erdölproduzierenden Staaten alles zu unternehmen, um diese zu reduzieren.6

Islam und Ökologie in der Schweiz

In der Schweiz ist der Klimawandel eher bei Jüngeren ein Thema. Sie trennen den Abfall ebenso fein säuberlich – oder auch nicht – wie ihre nichtmuslimischen Altersgenossen, nicht deshalb, weil sie Muslime sind, sondern weil sie es in der Schule lernen. Beispielsweise hat die Vereinigung der islamischen Organisation in Zürich (VIOZ) die Broschüre «Umweltschutz & Nachhaltigkeit im Islam – Muslime setzen sich ein!»7 herausgegeben.

Man kann umweltsensibles Handeln, tiergerechte Haltung, sparsamen Umgang mit Energie und andern Ressourcen islamisch auf vielfältige Art begründen. Dies macht vor allem dort Sinn, wo Menschen für religiöse Argumente offen sind. Die islamische Welt hat durchaus Vorteile gegenüber der westlichen Welt, auch weil in der islamischen Welt bei weiten Teilen der Bevölkerung eine gewisse Skepsis vorherrscht gegenüber Ideen, die aus den USA und Europa kommen. Vor allem wenn sie mit Forderungen an ein entsprechendes Engagement vor Ort gekoppelt sind.

 

 

1 Und Wir haben den Himmel und die Erde und das, was zwischen beiden ist, nicht sinnlos erschaffen (Q. 38, 27).

2 Der euch die Erde zu einer Ruhestätte und den Himmel zu einem Bau gemacht hat und vom Himmel Wasser herniedersandte und dadurch Früchte als Gabe für euch hervorbrachte (Q. 2,22).

3 Der Ausdruck ayˉat (Zeichen) für Naturphänomene ist dabei identisch mit der Bezeichnung für die einzelnen Qur’an-Verse.

4 Die Frage, was mit khalifa genau gemeint sei, wurde von den Gelehrten zu allen Zeiten immer wieder diskutiert, kann hier aber nicht weiter ausgeführt werden.

5 Der arabische Begriff taskhīr bedeutet, dass man einen Nutzen von einer Sache hat oder eine Dienstleistung bekommt, ohne dafür eine Entschädigung leisten zu müssen, zum Beispiel indem man ein Nutztier besitzt.

6 http://islamicclimatedeclaration.org/islamic-declaration-on-global-climate-change

7 http://vioz.ch/viozdownloads

Rifa`at Lenzin | © kath.ch Josef Bossart

Rifa’at Lenzin

Dr. Rifa’at Lenzin ist Islamwissenschaftlerin, Dozentin an den Universitäten Bern und Fribourg und Fachreferentin Islam am Züricher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) in Zürich.