Päpstliche Akademien engagiert in Umweltfragen

Es gilt, die Distanz der Gesellschafts- zu den Umweltwissenschaften zu überwinden und gemeinsam nach Lösungen im Umgang mit der Natur zu suchen. Werner Arber, Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, sprach über deren Arbeit anlässlich der Tagung zur Öko-Theologie in Freiburg aus seiner Perspektive als Evolutionsbiologe.

Die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften wurde 1994 gegründet, um die Kirche in einen Dialog mit Forschern der Ökonomie, Soziologie, Recht und Politikwissenschaft zu bringen. Die Pontifical Academy of Sciences – Sciences meint die Naturwissenschaften – wurde 1603 gegründet. Sie hat heute 80 Mitglieder auf Lebenszeit, die aus allen Kontinenten und unabhängig von der katholischen Religionszugehörigkeit rekrutiert werden. Ich selbst bin reformierter Christ.

Die Arbeit der Akademien

Die historisch verankerte Akademie soll die Fortschritte in den Naturwissenschaften beobachten, diskutieren und technologische Anwendungen und deren Bedeutung für die Menschheit und die Ökologie bewerten. Alle zwei Jahre finden im Herbst Plenarsitzungen statt. Dazwischen setzt man zwei-oder dreimal pro Jahr einen thematischen Workshop an. Dazu werden auch Nichtmitglieder eingeladen, die Vorträge halten. Anschliessend unterbreiten die Akademiemitglieder dem Vatikan einen Bericht. Die Reaktionen des Vatikans auf die Vorschläge der Akademie sind unterschiedlich. Über gewisse Vorschläge hört man nichts mehr. Signalisiert der Vatikan aber Interesse an einem Vorschlag, widmet sich die Akademie dem Thema und leistet dazu Beiträge.

Workshop der Akademien zur Ökologie

Der Workshop 2014 trug den Titel «Sustainable Humanity, Sustainable Nature our Responsibility». Die Beitragenden haben Manuskripte geliefert. Es ist ein Buch von 700 Seiten entstanden.1 Man kann PDFs des Buches auf der Webseite der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften herunterladen.2

In einer vorbereitenden Veröffentlichung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften, die von Partha Sarathi Dasgupta, Professor für Ökonomie in Cambridge, Veerabhadran Ramanathan (Atmospheric Sciences in Chennai, Madras/Indien und Mitglied der Akademie der Wissenschaften) und Roland Minnerath, Sozialethiker und Erzbischof von Dijon, unterzeichnet ist, bewertete man Rio plus 20, den UN-Gipfel von 2012 zu nachhaltiger Entwicklung als Fehlschlag. Der Fehlschlag sei unvermeidbar gewesen, denn es gab keine gemeinsame Anstrengung der Natur- und Sozialwissenschaftler, einen umfassenden intellektuellen Entwurf vorzulegen, um den Grenzen der Natur gerecht zu werden, deren Ressourcen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bis zum Äussersten beansprucht werden. Es heisst darin: «Das trügerische Wort Bruttoinlandprodukt ist brutal. Das Bruttoinlandprodukt ist der Marktwert aller Endprodukte und Dienstleistungen und ignoriert den Abbau des Kapitals an natürlichen Lebensräumen. Wenn der Fischfang zunimmt, steigt das Bruttoinlandprodukt, selbst wenn der Fischbestand abnimmt; nimmt das Abholzen zu, steigt das Bruttoinlandprodukt, selbst wenn die Wälder verschwinden usw.»

Im Workshop ging es um die menschlichen Bedürfnisse: Nahrung, Gesundheit und Energie. Wir können in unserer Gesellschaft kein ständiges Wachstum haben. Am Schluss des Buches mit den Vorträgen des Workshops findet man eine Zusammenfassung mit Empfehlungen für die Kirche. Manches floss in die Enzyklika Laudato Si’ von Papst Franziskus ein. Themen der natur- und umweltwissenschaftlichen Vorträge findet man im 1. Kapitel wieder, und die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Vorträge klingen im 4. und 5. Kapitel an.3

Weitere ökologische Aktivitäten

Umwelt war auch das Thema der Plenarsitzung im November 2016 zu «Science und Sustainability. Impact of Scientific Knowledge and Technology on Human Society and its Environment» mit besonderen Sitzungen über Kosmologie, Energie und gesunde Ernährung unter Einbeziehung von Nichtmitgliedern. In den letzten 36 Jahren hat die Akademie der Wissenschaften 20-mal ökologische Themenkreise behandelt, und zwar: Landwirtschaft, Verfügbarkeit von Wasser, Meere und deren Bedeutung für das Klima, Gletscherschmelze, Artenvielfalt, Nachhaltigkeit.

Kosmologie und das Leben auf der Erde

Die Akademie befasst sich immer wieder mit dem Weltall. Das Universum begann vor etwa 14 Milliarden Jahren mit dem Big Bang. Unser Sonnensystem ist vor 4 Milliarden Jahren entstanden. Sonnensysteme haben einen Lebenszyklus von 6 bis 8 Milliarden Jahren. In absehbarer Zeit, also in 3 bis 4 Milliarden Jahren wird die Sonne uns keine Energie mehr liefern. Können wir erwarten, dass die menschliche Zivilisation dann noch existiert? Naturwissenschaftler können nur mit gutem Gewissen über Nachhaltigkeit sprechen, wenn sie langfristig denken. Es fällt auf, dass in den meisten Diskussionen über Nachhaltigkeit die Menschen, besonders die Politiker, nur ein bis drei Generationen, also 100 bis 200 Jahr in den Blick nehmen. Für die menschliche Zivilisation sind 200 Jahre eine sehr kurze Zeitspanne.

Der Mensch hat sich über sehr lange Zeit entwickelt. Man kann annehmen, dass die Vorstufe des Homo sapiens schon vor 8 Millionen Jahren auf diesem Planeten lebte. Erst vor 10 000 Jahren haben Menschengruppen begonnen, Landwirtschaft zu betreiben. Der Zukunftshorizont unserer Zivilisation dürfte mindestens noch einmal 10 000 Jahre umfassen. Solch einen Zeitraum sollte man beim Nachdenken über Nachhaltigkeit im Blick haben.

Das Erbgut als allen Lebensformen gemeinsame Schrift

Als Mikrobiologe habe ich mich intensiv mit Mutationen oder genetische Variationen befasst. Das Leben begann auf der Erde vor etwa 3 Milliarden Jahren mit einzelligen Lebewesen, den Bakterien. Ich habe versucht herauszufinden, wie es in einzelnen Lebewesen gelegentlich zu genetischen Variationen kommt, der Triebkraft der biologischen Evolution. Erst in den 1940er-Jahren wurde klar, dass die Träger der Erbinformation lange Fadenmoleküle sind, die wir DNS nennen (Desoxyribonukleinsäure-Moleküle). Diese enthalten nur vier verschiedene Bausteine und sind linear hintereinander angeordnet. Man kann das mit der Schrift vergleichen, die zwar mehr als vier Buchstaben hat, aber auch linear angeordnet ist.

Der Umfang der Erbinformation in der DNS beim Genom von Bakterien entspricht ungefähr der Grösse eines Buches. Die Erbinformation des menschlichen Genoms entspricht einer Enzyklopädie von etwa 700 Bänden der Bibel.

Die Strategien der Natur

Wie entstehen Mutationen? Die Natur ist unglaublich erfinderisch. Meine Forschung hat drei Strategien gezeigt, mit denen die Natur gelegentlich Varianten von existierenden Lebensformen erzeugt.

Erstens gibt es lokale Veränderungen. Ein Buchstabe wird durch einen anderen ersetzt; oder ein Buchstabe wird gelöscht; oder ein oder zwei Buchstaben werden eingefügt; oder lokal ein bisschen durcheinandergemischt.

Eine zweite Strategie betrifft ein Segment aus der Erbinformation. Das kann in Buchform ausgedrückt eine halbe bis zu zwei Seiten ausmanchen. Dieses Segment wird verdoppelt, herausgeschnitten, anders wohin verpflanzt oder in der Reihenfolge der Bausteine umgedreht. Das geschieht nicht häufig. Bei diesen Veränderungen sind Enzyme beteiligt, die sehr vorsichtig vorgehen und nur selten aktiv werden. Für mich ist es ein Wunder der Natur, dass die Natur es fertigbringt, ein Gleichgewicht von Stabilität des Erbguts und einzelnen Veränderungen in grossen Populationen zu erlauben. Ohne diese wunderbare Balance von Stabilität und Wandel in der Natur gäbe es keine nachhaltige Evolution.

Drittens gibt es den horizontalen Gentransfer. Lebewesen existieren in ihren Habitaten nicht allein, sondern in Lebensgemeinschaften. Eng miteinander zusammenlebende Lebewesen tauschen gelegentlich ein wenig Erbinformation untereinander aus. Solch ein Austausch kann sich engräumig vollziehen, wobei nur eine halbe oder eine Seite der Erbinformation von einem auf ein anderes Lebewesen übertragen wird. Das kann durch freigesetzte DNS-Moleküle oder auch mittels Wirts-DNA übertragende Viren erfolgen. Der horizontale Gentransfer erlaubt es den Lebewesen, die eine ihnen nützliche fremde Erbinformation aufnehmen, von Entwicklungen aus anderen Bereichen des Evolutionsbaums zu profitieren. Auf diese Weise kann ein Lebewesen in einem einzigen Schritt die Fähigkeit erwerben, eine neue Funktion ausführen zu können. Das ist nur möglich, weil alle Lebewesen die gleiche genetische Sprache sprechen.

Die Evolution und Gottes Geist

Theologen, die Evolution und Schöpfung zusammendenken, sprechen vom Geist Gottes als einer im Universum gegenwärtigen und wirkenden Kraft. Der australische Dogmatiker Denis Edwards, der 2015 Ehrendoktor der Fakultät in Freiburg wurde, denkt den Geist Gottes als die Energie der Liebe, die im Prozess des Hervorgehens des Universums und der Evolution des Lebens auf der Erde am Werk ist. Der Schöpfergeist kann als immanent in allem angesehen werden, das in unserem Universum existiert. Er befähigt die Geschöpfe, dazu miteinander zu interagieren sowie sich gemäss den in den Naturwissenschaften beschriebenen Prozessen fortzuentwickeln.

Auch für mich als Naturwissenschaftler steht eine göttliche Kraft hinter den wunderbaren Mechanismen der Evolution. Als Christ scheue ich mich nicht, diese Macht Gottes Geist zu nennen. Die Evolution aller Lebewesen hat gemeinsame Wurzeln, aber auch eine gemeinsame Zukunft. Zum Fortschreiten der Evolution benötigt der horizontale Gentransfer die Erbinformation möglichst vielfältiger Arten. Deshalb ist die Biodiversität oder Artenvielfalt, die wir heute auf dem Planeten finden, von grosser Bedeutung für die langfristige Zukunft des Lebens auf der Erde.

 

1 Sustainable Humanity, Sustainable Nature our Responsibility: Proceedings of the Joint Workshop 2–6, May 2014 (Extra Series 41), Vatican City, 2015, ISBN 978-88-7761-108-6.

2 http://www.pas.va/content/accademia/en/publications/extraseries/sustainable.html

3 Das PDF der Enzyklika findet man unter http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2015/2015-06-18-Enzyklika-Laudato-si-DE.pdf

Werner Arber

Werner Arber ist seit 2010 Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Er ist emeritierter Professor für Mikrobiologie an der Universität Basel. 1978 erhielt er den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Auf der Tagung zur Öko-Theologie in Freiburg berichtete er über die Arbeit der Akademie unter seiner Perspektive als Evolutionsbiologe.