Schön ist jede geglückte Begegnung

Für Martin Kopp sind unverfälschte Begegnungen die Essenz des Lebens. An ihnen können wir alle und auch die Kirche wachsen.

 

Als die freundliche Bitte eintraf, zur österlichen Zeit unter der Rubrik «Carte Blanche» für die SKZ zu schreiben, sagte ich gerne zu. Die DOK-Mitglieder seien reihum eingeladen, jenes unschuldige weisse Papier mit ihrer Handschrift zu versehen. Ich geriet aber ins Stocken, als ich erfuhr, jene Nummer stehe unter dem Motto «Du bist schön».* Ich schaue nicht häufiger in den Spiegel als unbedingt nötig.

Auch ganz alte Leute möchten schön sein. Ich erinnere mich, wie meine Mutter sich zu ihrem Hundertsten herausgeputzt hatte. Wir spielen mit der Schönheit, unser Miteinander ist davon geprägt. Schönheit bleibt auch für die Theologie, wie schon für die Philosophie, zentral. Alles Göttliche ist schön – fascinosum und tremendum zugleich. Gottes Schönheit, so glauben wir, findet ihren Widerschein im Menschen, und wir hoffen, wir dürfen das erfahren. Schönheit wird verdüstert, wenn Leid uns trifft, wenn sich Böses zeigt. Vom Karfreitag zu sagen, er sei schön, ist schwierig, auch wenn er dem Trost spendet, der mitgeht und mitfeiert. Als schön dürfen wir alles Gelungene emp- finden, alles, was Leben bejaht und fördert. Schön sind Menschen, Tiere, Pflanzen, die unglaublich schöne Schöpfung, Abglanz ihres Schöpfers. Schön, so sagen wir, ist jede geglückte Begegnung. Von selbst empfinden wir dagegen misslungene Begegnungen als unschön, hässlich, als «Vergegnung», wie ein Philosoph sagt. Solches kann schmerzen. Umso wohltuender ist die unverfälschte Begegnung, getragen von Wohlwollen und dem Willen, miteinander Leben zu gestalten, und für Viele Leben zu eröffnen. Aus Begegnungen kann die Kirche wachsen, und erwächst die Freude, ihr ein Gesicht zu geben. An Begegnungen durfte ich persönlich in dieser letzten Zeit Schönes erfahren. Viele hundert Briefe stapeln sich bei mir. Sie geben Zeugnis zunächst vom Unverstehen, auch vom Irrewerden an der Kirche. Das schreckt mich tief. Welche Verantwortung!

Doch wie viel ist da auch an Vertrauen! Ermutigung folgt aus geteiltem Glauben und aus viel Hoffnung. Kaum begebe ich mich zu einem Spaziergang, so bleiben überall Menschen stehen – wohl mit körperlicher Distanz, doch voll herzlicher, unmittelbarer Teilnahme: Wir stehen zu dir. Ein gutes Wir-Gefühl wächst ganz schnell. Die schöne Seite eines unschönen Sachverhalts. Begegnungen treten wie von selbst an die Stelle von Gottesdiensten, die uns in dieser Zeit doch versagt bleiben.

Da, unversehens ein Paket! «Eine Bombe!», sagen meine Jugendlichen. Wir öffnen: ein wunderschöner Kristall, geschenkt von einer Familie oben im Bergdorf, von den Söhnen selber geborgen. «Zur Ermutigung und zum Dank», schreiben sie, und: «Der graue Boden unter den schönen ‹Zinggen› scheint nichts Besonders zu sein. Doch hält man ihn an die Sonne, glitzert es überall. Ähnlich ist es mit den vielen Menschen, die dir jetzt Zuversicht geben.»

Könnte Kirche nicht so sein: aus vielen Begegnungen, von Gott uns geschenkt, herauswachsend und genährt? Die schöne Kirche, von vielen ersehnt, fast wie dieser Kristall! Hören wir einander? Verstehen wir, auch das Glitzern, unendlich wertvoll vom Boden her?

Martin Kopp

 

* Anmerkung der Redaktion: Dieses Themenheft kam leider nicht zustande. Anstelle dessen neu: Einfach(es) leben.


Martin Kopp

Dr. theol. lic. phil. Martin Kopp
(Jg. 1946) studierte Philosophie in Löwen und Rom sowie Theologie in Chur, Paris und Rom. 1974 folgte die Priesterweihe. Ab 1979 war er Vikar in Zürich St. Konrad, seit 1985 Pfarrer in Wädenswil, zudem Lehrtätigkeit an der Theologischen Hochschule Chur (Theologie der Spiritualität), später auch Dekan (Albis), Sprecher des Priesterrates und Tätigkeit in der Militärseelsorge. Ab 2003 war Kopp Generalvikar des Bistums Chur mit besonderer Verantwortung für die Urschweiz, bis März 2020. 2011 bis 2020 war er Präsident der DOK. Kopp lebt in einer Kommunität mit Jugend-
lichen, vor allem Flüchtlingen,
in Erstfeld UR.