Santo subito!?

Wie wurde lokal verehrten Personen wie Bruder Klaus und anderen Vielseligen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft der Weg in den Heiligenhimmel geebnet?

Das Bruder-Klaus-Jubiläumsjahr war Anlass, um viele neue und altbekannte Facetten dieser einzigartigen Figur zu thematisieren. Gerade die Tatsache, dass Bruder Klaus erst 1947 die Ehre der Kanonisation zuteil wurde, macht ihn für die Forschung zum frühneuzeitlichen Katholizismus besonders interessant: An seiner Figur lässt sich zeigen, wie versucht wurde, eine lokal verehrte Figur in den Heiligenhimmel zu heben, wer an diesem Vorhaben mit welchen Interessen mitwirkte und was passierte, wenn dieses Vorhaben zunächst scheiterte.

Diese Fragen treffen den Kern des frühneuzeitlichen Heiligenkults. Denn mit «santo subito» war es in der Frühen Neuzeit nicht weit her. Den bloss 55 zwischen Reformation und Französischer Revolution neu kanonisierten Heiligen steht – auch im Gebiet der heutigen Schweiz – eine Vielzahl an Männern und Frauen gegenüber, die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit «in fama sanctitatis» verstorben waren, jedoch nie oder erst spät zur Ehre der Altäre erhoben wurden.

Vielselige in der Eidgenossenschaft

Wer über die Heiligkeit eines Verstorbenen entschied, scheint – damals wie heute – zunächst eine einfach zu beantwortende Frage: Bereits im Spätmittelalter hatten sich die Päpste das Monopol auf Heiligsprechungen gesichert. Mit der Gründung der Ritenkongregation im Jahr 1588 und verschiedenen Reformen im frühen 17. Jahrhundert wurde zudem das Verfahren standardisiert und normiert, das fortan aus einer festgelegten Abfolge verschiedener Teilprozesse bestand. Diese Reformen der Heiligsprechungspraxis gingen mit einer stärkeren Regulierung der Verehrungsformen einher. So war fortan beispielsweise die Titulierung als «Sancti» den offiziell kanonisierten Figuren vorbehalten, was zu einer stärkeren Distinktion zwischen anerkannten und nicht anerkannten Kultfiguren führte. Neben den Heiligen und Seligen bildete sich so eine Kategorie nicht oder erst spät anerkannter Kultfiguren heraus. Diese Figuren wurden in den katholischen Orten der Eidgenossenschaft seit dem frühen 17. Jahrhundert als «Vielselige» bezeichnet, um sie sowohl gegenüber den anerkannten «Beati» als auch gegenüber den bloss «selig» – also nach der Spende des Taufsakraments – verstorbenen Katholiken abzugrenzen.

Streit um die Deutungshoheit

Wichtiger Schauplatz für das Aushandeln von Heiligkeit war zunächst nicht die päpstliche Kurie, sondern – im Fall von Bruder Klaus – der eidgenössische Kontext. Publizistisch stritten hier Protestanten und Katholiken um die Deutungshoheit über Bruder Klaus und damit letztlich darüber, was am Eremiten als heilig gelten sollte. In den Büchern katholischer Provenienz wurde Bruder Klaus’ Askese als eines der wesentlichsten Elemente seiner Biografie festgeschrieben. Sie sollte, so das Ziel, vom Papst als Wunder anerkannt werden und dem Eremiten damit den Weg in den Heiligenhimmel ebnen. Mit Vehemenz verteidigten die Katholiken Bruder Klaus deshalb, wenn protestantische Autoren das speisenlose Leben anzweifelten und wie beispielsweise der Zürcher Chronist Johannes Stumpf (1500–1577/78) behaupteten, er habe Wurzeln und Kräuter gegessen.

In Kapellen zu Gast

Die entscheidenden Verehrungsorte eines Vielseligen waren die Gnadenorte, also Grab- und andere Kultstätten. In diesen Räumen entschied sich im Zusammenspiel zwischen lokalen Geistlichen, Architekten und den Bischöfen oder der päpstlichen Kurie, in welcher Form ein im Ruf der Heiligkeit Verstorbener den Gläubigen zur Verehrung präsentiert wurde. Da den Vielseligen keine Sakralräume geweiht werden durften, waren sie in Form ihrer Reliquien oder Bilder stets «zu Gast» in den Kapellen, die anerkannten Heiligen geweiht waren. So trat Bruder Klaus in der 1614–1618 gebauten Flüelikapelle in Verbindung mit dem kurz zuvor kanonisierten Carlo Borromeo (1538–1584), dem Erzbischof von Mailand und «protector Helvetiae». Diese Allianz war nicht zufällig gewählt, sondern resultierte daraus, dass San Carlo selber am Grab von Bruder Klaus gebetet hatte und dabei, wie in den Heiligsprechungsprozessen immer wieder betont wurde, den Eremiten als «heiligen Mann» bezeichnet haben soll.

Prominenteste «Verbündete» von Bruder Klaus war jedoch, wie auch bei anderen Vielseligen, Maria, so insbesondere in der Pfarrkirche von Sachseln, was nicht zuletzt damit begründet wurde, dass der Eremit selber ein grosser Marienverehrer gewesen war. Für die Zuschreibung von Heiligkeit und die Frage, welche «Karriere» die Vielseligen machen konnten, war die Position der Bilder und Gräber in diesen Sakralräumen sowie deren Umordnungen von entscheidender Bedeutung. Denn mit den jeweils theatralisch inszenierten Umgestaltungen der Sakralräume, also dem räumlichen Übersetzen von Reliquien und anderen Kultgegenständen, ging in der Regel auch eine Bedeutungsübersetzung einher. In einigen Fällen verbesserte sich durch diese Transformationen die Position der Vielseligen stetig, so neben Bruder Klaus beispielsweise bei Bruder Konrad Scheuber in Wolfenschiessen, dessen Grab im späten 18. Jahrhundert an zentrale Stelle im Kirchenraum rückte, womit der nie kanonisierte Vielselige zum inoffiziellen Kirchenpatron aufstieg. Bei anderen Vielseligen hingegen wurden durch die Umgestaltung des Grabes Reliquien in profane Dinge transformiert und sie der Verehrung durch die Gläubigen entzogen, so zum Beispiel bei Illuminatus Rosengardt, einem 1632 in Luzern im Ruf der Heiligkeit verstorbenen Franziskaner.

Anerkennung einer Heilung als Knackpunkt

Über die Erfahrungen von Wundern und Gnaden waren auch die Gläubigen entscheidend am Aushandeln von Heiligkeit beteiligt. In den Selig- und Heiligsprechungsprozessen teilten sie den Examinatoren ihre Erfahrungen mit und hatten damit am Kult teil. Die Anerkennung einer Heilung als Wunder war in diesen Prozessen häufig der Knackpunkt. Dies erfuhr neben Bruder Klaus auch der Jesuit Petrus Canisius, der zweite Kandidat auf eidgenössischem Boden, für den in der Frühen Neuzeit ein reguläres Seligsprechungsverfahren eingeleitet wurde. Die römische Kurie liess hierbei besondere Sorgfalt walten. Erst nach langwierigen Prüfungen, zu denen auch die Konsultation von Ärzten gehörte, qualifizierte sie eine Heilung als «übernatürlich» und damit als Wunder, was sich bei Petrus Canisius bis ins 19. Jahrhundert hinzog, obwohl der entsprechende Wunderprozess seit 1740 abgeschlossen war.

Ausgehend von diesen Prozessakten ging das Aushandeln an der römischen Kurie schliesslich in eigentliche Verhandlungen über. Obwohl eine Beatifikation oder Kanonisation im Verständnis der Kirche nicht das Ergebnis von Verhandlungen, sondern eine reine Gunstbezeugung war, bemühten sich die katholischen Orte der Eidgenossenschaft immer wieder darum, die Selig- und Heiligsprechung von Bruder Klaus in die auf dem Prinzip von «do ut des» beruhenden Beziehungen mit der römischen Kurie einzubinden und beispielsweise an die Lieferung von Söldnern für den Papst zu koppeln.

Der lokalen Verehrung Rechnung tragen

Die päpstliche Kurie erweist sich im Bereich der Kanonisationspraxis als ausgesprochen pragmatisch, indem sie gerade am Fall von Niklaus von Flüe Mitte des 17. Jahrhunderts ein Verfahren für Ausnahmefälle («casus excepti») schärfte, das später mit einer Seligsprechung gleichgesetzt wurde. Mit diesem Verfahren schuf die Kurie eine Möglichkeit, um der lokalen Verehrung von Vielseligen Rechnung zu tragen und diese Kulte anzuerkennen, ohne jedoch im eigentlichen Sinn über die Heiligkeit einer Figur entscheiden und damit die eigenen hohen Ansprüche an dieses Konzept verletzen zu müssen. Auch die Promotoren anderer eidgenössischer Kultfiguren, die aufgrund mangelhaft dokumentierter Biografien für eine reguläre Beatifikation oder Kanonisation nicht in Frage gekommen wären, profitierten noch bis ins 19. Jahrhundert von der Möglichkeit, ihre Vielseligen – beispielsweise Idda von Toggenburg, die in Fischingen verehrt wird, oder den Priester Burkard von Beinwil – über dieses Verfahren anerkennen zu lassen.
Bruder Klaus war zweifellos eine singuläre Figur – als Vielseliger aber weder in der Eidgenossenschaft noch im übrigen katholischen Europa ein Einzelfall. Diese Figuren, die im Spannungsfeld zwischen lokalen Traditionen und den globalen Ansprüchen der katholischen Kirche zu situieren sind, eröffnen spannende Perspektiven auf den frühneuzeitlichen Katholizismus.

Daniel Sidler

 

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Daniel Sidler

Dr. Daniel Sidler (Jg. 1986) ist Historiker und promovierte an der Universität Bern mit einer Arbeit zum frühneuzeitlichen Katholizismus in der Eidgenossenschaft. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt «Stadt.Geschichte.Basel». Aktuell ist er im Projekt zur
Geschichte des Klosters Muri tätig.