«In der Stille bin ich schon»

Der «patriarchale Bartträger» Johannes Maria Schwarz ist wieder unterwegs. Seit Mitte Mai pilgert er auf der Via Alpina Sacra quer über den Alpenbogen, 4100 km weit. Eine in jeder Hinsicht besondere Herausforderung.

 

SKZ: Sie sind offensichtlich ein abenteuerlustiger Mensch – und Priester noch dazu. Wie geht das zusammen?
Johannes Maria Schwarz: Ich denke, gut. Das Leben ist ein Abenteuer. Das priesterliche Leben sowieso. Denn «Abenteuer» kommt über Umwege vom lateinischen «advenire», von dem wir zum Beispiel «Advent» (Ankunft) ableiten. Es geht also um das, was kommt; es geht um den, der kommt. Diese Ankunft in unserem Herzen und in der Welt vorzubereiten, ist etwas dem Priestertum Ureigenes – und zwar sowohl dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen wie auch auf besondere Weise natürlich dem Weihepriestertum. Abenteuer und Priestertum passen also sehr gut zusammen. Dafür muss man natürlich nicht in die Berge laufen, aber im Tal zu bleiben, ist nicht vorgeschrieben.

Und warum geht es jetzt ausgerechnet auf die Via Alpina Sacra*?
Das hat mehrere Gründe, allerdings andere als mein Weg nach Jerusalem**. Das Pilgern ins Heilige Land war zuallererst eine persönliche Reise. Stille, Gebet, ein reduziertes Leben, Begegnung mit Menschen. Freilich gab es auch hier eine weitere «geistige Dimension», und ich habe versucht, die Reise irgendwie für mein späteres priesterliches Wirken fruchtbar zu machen. Entstanden sind daraus ein katechetisches Projekt, Bücher, ein Film und eine rege Vortragstätigkeit. Ursprünglich war das eine oder andere davon ein vielleicht erhoffter Mehrwert, aber nicht der Grund der Reise.

Bei der Via Alpina Sacra ist die Voraussetzung eine andere. Ich verbringe aktuell viel Zeit in einer Eremitage in den Bergen, um konzentriert an katechetischen Projekten zu arbeiten. Wenn ich Stille suche, mache ich einen Schritt vor die Tür. Will ich in die Natur, bin ich schon mittendrin, wie die Siebenschläfer demonstrieren, die meine Hütte kolonialisieren wollen. Zwei Gämsen wohnen in den Felsen unter mir. Und im Winter kann es sein, dass ich wochenlang keinen Menschen zu Gesicht bekomme – vorausgesetzt, ich habe genug Vorräte eingelagert und muss nicht ins Tal absteigen.

Ich gehe diesen Alpenweg nicht, um wie damals in der Stille einzukehren. In der Stille bin ich schon. Der Gedanke, der mich zu dieser Reise bewogen hat, war vielmehr, die Geschichten der grössten, schönsten, interessantesten und höchstgelegensten Wallfahrtsorte, Kirchen, Klöster und Pilgerstätten im Alpenbogen zu erzählen und jede dieser Stätten mit einem geistigen Gedanken oder einer Erklärung zu verknüpfen, die hoffentlich für Gläubige nützlich ist. Der Weg, der diese Orte verbindet, ist nur ein schöner Erzählrahmen, der die Sache auch für ein kirchenferneres, aber religiös offenes Publikum interessant machen soll. Ich greife dabei auf meine positiven Erfahrungen mit den veröffentlichten Pilgertagebüchern über den Weg ins Heilige Land zurück. Dort gibt es neben Geschichten über Hunde, detaillierten Geschmacksbeschreibungen armenischer Kuhfuss-Suppen und allerlei anderen Kuriositäten am Sonntag eben auch immer eine kleine Predigt zu den Fragen, die man mir als Priester unterwegs gestellt hat. Die Rückmeldungen sind sehr positiv. Und so möchte ich diese Idee auf der Via Alpina Sacra weiterentwickeln und in ein katechetisches Projekt integrieren.

Zuletzt versuche ich meinen Schritten auf dem Weg auch eine christliche Haltung und Richtung zu geben. Die genannten Gründe für die Reise sind das eine. Das andere ist, den Weg angemessen als Priester zu gehen. Das soll unter anderem dadurch geschehen, dass ich die Anliegen von Menschen mit auf den Weg nehmen will. Die Gelegenheit, mir etwas mitzugeben, hat jeder auf meiner Internetseite. Einige Hundert Menschen haben schon davon Gebrauch gemacht. Ihre Gebetsanliegen sind über einen Zufallsgenerator den verschiedenen heiligen Orten zugeteilt, die ich auf dem Weg besuche.

Wie haben Sie sich vorbereitet?
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich mich zu wenig vorbereitet habe – damit meine ich das wörtlich, wenn ich auf meinen Bauch blicke, der nach dem langen, bewegungsarmen Winter doch etwas abgerundet wirkt. Ich habe versucht, der Lage Herr zu werden, indem ich mit vollem Rucksack jeden Tag viele Steigungsmeter hinter mich gebracht habe. Aber die laufenden Arbeiten haben mich noch bis wenige Tage vor dem Abmarsch immer wieder an den Bürostuhl gefesselt. Dazu hat nicht zuletzt die intensive inhaltliche Vorbereitung auf die Reise beigetragen, vor allem die Recherche rund um die Orte, deren Geschichte ich auf diesem Weg erzählen möchte.

Wie gestaltet sich Ihr Tagesablauf?
Beten, Laufen, Filmen, Laufen, Beten, Laufen, Filmen, Essen, Beten, Schlafen. Wiederholen. Das ist ungefähr die Kurzformel. Ich habe wieder mein Zelt dabei, die Filmausrüstung und alles, um unterwegs die Messe feiern zu können, selbst wenn mal kein Sakristan zugegen ist. Dazu kommt in meinen Rucksack das, was auch andere Wanderer und Pilger für ähnliche Touren bei sich tragen. Man verpflegt sich im Tal oder auf den Hütten. Trinken muss bei meinem hohen Wasserbedarf schon etwas besser geplant sein. Übernachtet wird im Zelt, in Pensionen im Tal, in Hütten am Berg und manchmal sicher auch in Pilgerherbergen, Klöstern oder ich folge spontanen Einladungen. Im Grunde ist es nicht anders als bei jeder längeren Wanderung.

Bloggen, Fotografieren und Filmen – ist das nicht ein riesiger Zusatzaufwand?
Ein grosser Aufwand ist es. Allerdings kein Zusatz. Die Reportagen und Katechesen sind ja, wie erklärt, der eigentliche Grund für die Reise. Der Pilgerweg ist in diesem Fall nur der Rahmen. Anders täte ich mich schwer, die Aktion zu rechtfertigen. Das ist kein weiteres Sabbatjahr. Die Aufgabe eines Priesters – auch wenn er einen Vollbart hat – kann ja nicht darin bestehen, durch die Berge zu rauschen. Meine Aufgabe ist es, den Gläubigen dienstbar zu sein. Aktuell, so hoffe ich, geschieht das durch neue Wege der Verkündigung. Und hier gibt es im deutschen Sprachraum schon noch Nachholbedarf, wenn ich zum Beispiel auf den nunmehrigen Weihbischof von Los Angeles, Robert Barron, blicke. Er hat vor einigen Jahren die multimediale Reihe «Catholicism» herausgebracht, in der er versucht, Kernelemente des Glaubens über Orte und Stätten der katholischen Religion ins Licht zu setzen und einem breiten Publikum vorzustellen. Dafür drehte er in Kalkutta, Rom, Paris, Uganda, Mexiko und an anderen Orten Filme. Mein Budget ist nicht dasselbe – auch habe ich nicht sein Team, sein Wissen oder seine Fähigkeit, zu erzählen. Aber mein Anliegen ist im Grunde das gleiche – mit einem Hauch mehr Abenteuer, mehr Bart, weniger Hochglanz und eben den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Für mich als medienaffiner Mensch ist es ein mittlerer Skandal, dass die reichen deutschsprachigen Kirchen nicht schon längst die Rechte für die Übersetzung von «Catholicism» erworben und diese ins Deutsche übertragen haben. Bei uns redet man, so scheint es mir, zu viel über Probleme und Strukturen. Vieles davon ist sicher wichtig. Aber manche Zeit, die wir hier investieren, wäre wohl besser angelegt, wenn wir über den Glauben reden würden. Mein vergleichsweise unbedeutendes Projekt kann hier diese Lücke sicher nicht schliessen. Aber ein kleiner Beitrag soll es sein.

Was erhoffen Sie sich von der Reise?
Vor meinem Weg nach Jerusalem bin ich immer wieder sehnsüchtig ins Träumen gekommen und in der Vorstellung auf der Strecke vorausgeeilt. Das fehlt diesmal. Die Zielsetzung ist eine andere. Ich hoffe, dass die Zeit, die ich in die Vorbereitung der Reise gesteckt habe, – wie auch die Reise selbst – etwas Nützliches und Neues im Bereich der Glaubensvermittlung bieten kann. Was ich erwarte? Sonne, Regen, Hitze, Schnee, Schönes und Mühsames, Ergreifendes und Niederschlagendes.

Haben Sie keine Angst, nach der Rückkehr in ein «Loch» zu fallen?
Wenn ich zurückkomme, falle ich mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht in ein Loch, sondern auf einen Berg von Arbeit. Sicher wird es eine Zeit der Umstellung geben, was den täglichen Rhythmus betrifft, aber ich breche ja nicht aus meinem Alltag und Beruf aus, sondern gestalte beide für eine gewisse Zeit einfach anders. Ich erinnere mich noch gut, als ich von Jerusalem zurückkam, an die letzte Nacht über dem Walensee, wo ich vor den glühenden Bergspitzen die vorangegangenen 15 Monate Revue passieren liess. Da war eine grosse innere Ruhe. Es war gut. Es war genug. Ich war ausgeglichen. Aber noch stehe ich ja am Anfang des Weges. Wenn es anders kommen sollte, werde ich es berichten.

Interview: Brigitte Burri

 

*Die Via Alpina Sacra führt Johannes Maria Schwarz von Mai bis Oktober über 4100 km 180 000 Höhenmeter von Aquileia (I) bis zu den Inseln von Lerins bei Cannes (F) im Zickzack über den Alpenbogen. Auf dem Weg durch alle acht Alpenanrainerstaaten liegen über 200 der grössten, schönsten und bedeutendsten Wallfahrtsorte, Kirchen, Klöster und Heiligtümer, darunter auch die schöne, aber sehr baufällige Kapelle am Mont Thabor auf 3178 m (höchstgelegener Wallfahrtsort Frankreichs), die dringend einer Sanierung bedarf.

**Vom 1. Mai 2013 bis 2. August 2014 wanderte Johannes Maria Schwarz von Liechtenstein nach Jerusalem und wieder zurück. Auf der 15-monatigen Reise durchquerte er 26 Länder und legte 13 969 km zurück. Während der Reise führte er einen Blog auf www.4kmh.com. Seine Reiseaufzeichnungen sind in zwei Teilen in Buchform erschienen: «Tagebuch eines Jerusalempilgers: 14 000 Kilometer − 14 000 Hunde − Ein Priester» (bestellbar auf www.4kmh.com).


Johannes Maria Schwarz

Dr. Johannes Maria Schwarz, genannt Don Johannes (Jg. 1978), hatte seinen Ausbildungsschwerpunkt zunächst in bildender Kunst und Schauspiel (McDonald College of Performing Arts, Sydney, Australien). Nach der Kunstmatura am Adalbert Stifter Gymnasium in Linz (A) begann er das Theologiestudium am Internationalen Theologischen Institut (A). 2004 erwarb er das Lizenziat, 2006 das Doktorat an der Facoltà di Teologia di Lugano. 2004 wurde er zum Priester geweiht und wirkte im Anschluss bis 2013 als Kaplan in der Pfarrei St. Josef, Triesenberg (FL). Von 2007 bis 2012 war er Gastprofessor am Internationalen Theologischen Institut (Trumau, Niederösterreich); von 2014 bis 2016 Vizedirektor des Priesterseminars Leopoldinum Heiligenkreuz. Seit 2008 ist er als Vorsitzender von kathmedia Initiator zahlreicher katechetischer Projekte und arbeitet seit Herbst 2016 an neuen Animations- und Filmprojekten. Dafür verbringt er viel Zeit in der Abgeschiedenheit einer Einsiedelei in den italienischen Alpen.

 

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