Rückkehr in Zeiten des Exils

Die Assyrische Kirche des Ostens hat unter ihrem neuen Patriarchen Mar Gewargis III. Sliwa, nach 75 Jahren im Exil in den USA, ihren Patriarchensitz wieder nach Erbil im Irak zurückverlegt und damit ein starkes Zeichen des Durchhaltewillens an die verfolgten Christen des Nahen Ostens gesendet: Kaum bemerkt von der Weltöffentlichkeit, hat der neue Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens seinen Sitz wieder in den Nahen Osten zurückverlegt, und dies in Zeiten der grössten Christenverfolgung seit hundert Jahren. Ein bis vor kurzem kaum denkbares historisches Ereignis, das wie die Umkehrung einer geschichtlichen Situation anmutet und den verfolgten Christen in der Region Mut machen soll. Während immer mehr Christen aus dem Irak und Syrien ihre angestammte Heimat verlassen und ins Exil gezwungen werden, entschied nun die Assyrische Kirche des Ostens auf ihrer Synode am 17. und 18. September 2015 den Transfer ihres Patriarchats von Chicago nach Erbil im Nordirak.

Wahl eines neuen Oberhaupts

Vorher hatte die Synode einen Nachfolger für den im März verstorbenen Patriarchen Mar Dinkha IV. gewählt. Mit Gewargis III. Sliwa (73) bekam die Assyrische Kirche des Ostens am 18. September ihren 112 Patriarchen. Gewargis III. Sliwa wurde am 23. November 1941 in Habbaniya im Irak geboren. Seine Studien absolvierte er in Bagdad und den USA. 1980 wurde er zum Priester geweiht, seit 1980 war er Metropolit des Irak, Jordaniens und Russlands. Bekannt wurde sein Besuch in China im Jahre 1996, als er neben den Ruinen der Daqin Pagoda, die 640 von den Assyrern als älteste Kirche im Reich der Mitte erbaut worden war, die Liturgie der Kirche des Ostens feierte.

Am 27. September wurde der neue Patriarch feierlich in Erbil in Anwesenheit der höchsten religiösen Autoritäten und irakischen und kurdischen Politiker sowie von Vertretern des diplomatischen Korps in sein Amt eingeführt. Am 4. Oktober feierte er seine erste Messe in Bagdad und wurde dort vom Präsidenten des irakischen Parlaments empfangen, der bekräftigte, dass die irakischen Christen eine grundlegende und ursprüngliche Komponente des Landes seien.

Patriarch Mar Gewargis III. bezeichnete seine Kirche in seinen Ansprachen oft als "Kirche des Leidens und der Hoffnung, des Märtyrertums und des Zeugnisgebens" er mahnte auch immer wieder eine tiefgehende Beschäftigung mit den Gründen des derzeitigen islamistischen Terrorismus an und eine exakte Ursachenforschung, an der sich vor allem die muslimischen Würdenträger beteiligen müssten. Auch der Ökumenische Dialog besonders mit den assyrischen Brüderkirchen, sei ihm ein besonderes Anliegen. Die Union der Kirchen mit assyrischer Tradition bleibe das Ziel. Der im März verstorbene Patriarch Mar Dinkha IV. hatte am 11. November 1994 Papst Johannes Paul II. im Vatikan getroffen, sie unterzeichneten bei diesem historischen Treffen eine Konsenserklärung zur Christologie. Dabei erklärten beide Seiten die "volle Kirchengemeinschaft" zum Ziel ihres weiteren "theologischen Dialogs". Danach verbesserten sich die Beziehungen auch zur mit Rom unierten Chaldäischen Kirche, sodass seit 2001 unter gewissen Bedingungen eine gegenseitige Teilnahme an der Eucharistie möglich ist.

Ein Blick in die Kirchengeschichte

Die Kirche des Ostens erlebte eine erste Spaltung, als sich Patriarch Jean-Simon Sulaka 1552 mit der Kirche Roms zur chaldäischen Kirche vereinte. Eine weitere existenzielle Bedrohung für die Kirche des Ostens war die Christenverfolgung im Osmanischen Reich seit 1915, als neben 1,5 Millionen Armeniern auch etwa 500 000 Assyrer ermordet oder vertrieben wurden. Dieses heute weitgehend als Genozid anerkannte Christenmassaker führte dazu, dass der Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens seinen Sitz aus dem im Südosten der Türkei gelegenen Ort Kutschanis über Zwischenstationen im Irak und in Zypern schliesslich 1940 in die USA verlegte. Während die chaldäische Kirche bis zur Besetzung des Irak durch die US-Armee 2003 vorwiegend im Irak verankert war und auch heute dort noch 300 000 Mitglieder zählt, hat die Assyrische Kirche des Ostens schon lange ihr Zentrum in den USA, Westeuropa und Australien, also im Exil. Im Nahen Osten leben nur noch wenige tausend Mitglieder dieser Kirche. Wegen der Exil-Situation des Patriarchen spaltete sich von der Assyrischen Kirche des Ostens 1964 der irakische Teil der Kirche ab, der sich seither "Alte Assyrische Kirche des Ostens" nennt. Katholikos dieser Kirche im Irak ist seit 1970 Patriarch Addai II. mit Sitz in Bagdad, aber auch diese Kirche zählt nur wenige tausend Kirchenmitglieder im Irak.

Der neue Patriarch Gewargis III. betonte in seinen Einführungsansprachen auch die Notwendigkeit, das Laienapostolat zu verstärken, das habe die Kirche des Ostens in den 75 Jahren ihrer Präsenz im Westen gelernt. Die drei "heiligen" Prinzipien seiner Kirche seien ihr Bekenntnis zu Christus, das Bekenntnis zur assyrischen Kultur und ein klares Bekenntnis zum Orient als die Urheimat der Kirche. Am Ende der Einführungsgottesdienste des neuen Patriarchen standen immer das Gebet für die geschundenen Länder Syrien und Irak und für die zwei seit drei Jahren entführten syrischen Bischöfe und die 250 entführten Assyrer vom Khabur- Fluss, von denen am 10. Oktober 2015 drei von den IS-Terroristen ermordet wurden.

Die Verwurzelung verstärken

Die Rückkehr des Patriarchen der Kirche des Ostens nach Erbil, Hauptstadt der kurdischen Autonomie- Region Nordirak, bedeutet in gewissem Masse eine Rückkehr, weil der Patriarchensitz sich bereits einmal in dieser "historischen und gesegneten Stadt" befunden hat. Deshalb bedeutet die Rückkehr gerade jetzt in Zeiten des Exils für so viele ein ganz starkes Zeichen und Symbol des Durchhaltewillens der Christen an diesem Ort des Leidens, aber auch grosser Blüte. Von Mesopotamien aus hatte die Kirche des Ostens bereits im 7. Jahrhundert das Christentum nach Indien, China und nach Persien gebracht, sie war lange Zeit die missionsstärkste Kirche der Weltchristenheit überhaupt. Gerade heute in Zeiten der Emigration, des Exils und des Leidens sei es angebracht, an die grosse Vergangenheit und die grossen Glaubenszeugen dieser Kirche zu erinnern, dazu gehören der heilige Mar Ephrem und der heilige Mar Narsai, Patriarch Mar Shimoun Barsabae und andere, die bereits im Jahre 341 unter den zoroastrischen Persern den Märtyrertod gefunden haben. Aber die Kirche des Ostens habe auch Patriarchen hervorgebracht, wie Mar Aba oder Mar Timotheus I., die als Pioniere des christlich-islamischen Dialogs bereits vor 1200 gelten, ein Dialog, der heute notwendiger und globaler geworden ist als je zuvor, sagte der neue Patriarch der Kirche des Ostens in Bagdad. 

 

 


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».