Rückblick auf die Kongresse zur Wiederherstelltung der Gesellschaft Jesu

Nah einer Vorbereitungszeit, die sich über vier Jahre hinzog, liegen nun die beiden Kongresse in Brig und Freiburg über die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu zwei bzw. drei Monate zurück.1 Beide Anlässe hatten ihre spezifischen Schwerpunkte. Der von Brig richtete sich an ein breiteres Publikum. Es ging um die regionalen Verhältnisse im Wallis und in der Eidgenossenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie um den Beitrag, den die beiden Kollegien von Brig und Sitten zur Identitätsfindung des noch jungen Ordens geleistet hatten. Für die einzelnen Referate wurden Quellen aus dem Provinzarchiv der Schweizer Jesuiten, dem Walliser Staatsarchiv, dem Archiv des Generalats der Gesellschaft Jesu und des Germanicums in Rom ausgewertet. Bis anhin waren je nach Forschungsgegenstand nur die Bestände eines jeweiligen Archivs studiert worden. Aus der Zusammenschau der verschiedenen Perspektiven konnten Ansätze eines neuen Bildes gezeichnet werden, woraus sich zeigte, welch komplexen Veränderungsprozessen Gesellschaft und Kirche unterworfen waren.

Nicht «rückständige» Jesuiten

Bemerkenswert ist, dass die ersten Patres, die 1805 aus Italien nach Sitten zur Übernahme des Gymnasiums gerufen worden waren und die sich selbst auf die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu vorbereiteten, von der Bevölkerung und den Behörden bereits als Jesuiten wahrgenommen wurden. Dabei legten sie eine erstaunlich grosse Bereitschaft an den Tag, sich mit einer positiven Einstellung auf die örtlichen Verhältnisse einzulassen. Das Wallis stand von 1798 bis 1813 unter starkem französischem, republikanischem Einfluss. Den Patres wurde nie ein unzeitgemässer Unterrichtsstil vorgeworfen. Vielmehr wurden sie in ihrer Position als staatlich besoldete Lehrer wiederholt bestätigt und davon abgehalten, vor den heranrückenden französischen Truppen zu fliehen oder nach Weissrussland aufzubrechen, um dem dort seit 1801 offiziell wiederhergestellten Jesuitenorden beizutreten.

Ein Referent nahm die Mittellosigkeit und das Fehlen eines institutionellen Überbaus zur Zeit der Aufhebung zum Anlass, herauszuarbeiten, welche Bedeutung die ignatianischen Exerzitien für den Orden in seinem Wesen haben. Zentral war dabei nicht der historische Kontext, es ging eher um eine systematische Reflexion. Der Kongress hatte nicht eine rein historische Ausrichtung, sondern diente auch einer Reflexion auf das Ordensideal in der Gegenwart. An einem Vormittag beteiligte sich auch die Schülerschaft des Kollegiums Spiritus Sanctus, heute Walliser Kantonsschule, an einer Podiumsdiskussion zwischen zwei Walliser Politikern und zwei Jesuiten. Sie stellten anspruchsvolle Fragen zum Ordensleben und zur politischen Aktualität des Kantons.

Der Kongress in Brig hat zu Tage gefördert, dass die ersten Jesuiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts den eisernen Willen hatten, selber Jesuiten zu sein, dem Orden wieder auf die Beine zu helfen. Sie scheuten sich nicht, Schritte ins Ungewisse zu wagen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass in der heutigen postsäkularen Gesellschaft die Jugend mit den Inhalten der jesuitischen Spiritualität auf eine neue Weise konfrontiert werden kann. Über einen historischen Kongress lässt sich ein zukunftsorientiertes Apostolat entfalten. Erfreulich war auch, welches Echo der Anlass in den lokalen Medien gefunden hat. Die örtliche Tageszeitung druckte im Vorfeld einen grossen Artikel ab und liess während des Kongresses ausführliche Berichte erscheinen. Auch führte das Lokalradio ein Interview mit der Tagungsleitung und dem Kollegsrektor.

Unterschiedliche Ausrichtung des Ordens in einzelnen Nationen

Der Kongress in Freiburg vollzog sich hingegen ganz im akademisch-universitären Umfeld und wurde entsprechend ausserhalb des Campus wenig wahrgenommen. Die fach- oder literaturhistorischen Referate warfen neues Licht auf verschiedene Aspekte von Vorbereitung, Durchführung und Wahrnehmung des jesuitischen Neubeginns. So konnte der Orden in Randregionen überleben und sich neu formieren, wo die Infrastruktur der katholischen Kirche nicht voll ausgebaut war, was an den USA, Griechenland und Holland verdeutlicht wurde. In den katholischen Nationen vollzogen sich darauf die Anfänge in je unterschiedlichen Kontexten. In Spanien trugen sie bereits zu Beginn klar antidemokratische und antiaufklärerische Züge. Italien befand sich hingegen zu jener Zeit in einer breiten Rückbesinnung auf frühere Werte. «Wiederherstellung» bedeutete dort nicht die Rückkehr in die Zeit unmittelbar vor der Französischen Revolution und wurde keineswegs nur mit dem Neubeginn der Gesellschaft Jesu in Verbindung gebracht. In Frankreich erfuhr der Orden vor allem durch die Julirevolution von 1830 eine klar konterrevolutionäre Einfärbung. Die Schweiz hingegen kannte über längere Zeit, bis in die Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts, keine politisch oder weltanschaulich motivierte Jesuitenfrage.

Überseemissionen

Die Überseemissionen und die nach Europa vermittelten Berichte über fremde Kulturen waren seit dem 16. Jahrhundert ein Wesenselement der Gesellschaft Jesu, unter dem sie auch im ausserkirchlichen Bereich wahrgenommen wurde. Diese Informationen wurden im 19. Jahrhundert zum kulturellen Allgemeinwissen und lösten sich aus der direkten Konnotation mit dem Orden – oder lebten in antijesuitischen Manifestationen weiter. Die Verkündigung des Glaubens im aussereuropäischen Bereich und die Erforschung fremder Ethnien spielten bei der Wiederherstellung als Ideal vorerst eine sekundäre Rolle. Lediglich Franz-Xaver hat bald wieder die Theaterbühnen der Jesuitenschulen erobert.

Die Referate in Freiburg waren nicht nur in ihren Inhalten, sondern auch in den ihnen zu Grunde liegenden Methoden sehr disparat. Die Ergebnisse der Tagung lassen sich darum nicht in einer Quintessenz ausdrücken. Daraus lässt sich schliessen, dass die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu im frühen 19. Jahrhundert ein ebenso langfristig sich anbahnender und komplexer Vorgang wie dessen Verlöschen im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts war. Vorgestellte Studien zur Vorbereitung, Durchführung und Wahrnehmung haben gezeigt, welch profunde Vorkenntnisse zum soziopolitischen und geistigen Kontext, in dem sich die Neuanfänge vollzogen, nötig sind – und dass diese von ganz unterschiedlichen Intentionen getragen waren.

 

 

 

1 Vgl. Paul Oberholzer: Die Wiederherstellung des Jesuitenordens 1814, in: SKZ 182 (2014), Nr. 26, 395; Programm der Tagungen: Ebd., 396.

Paul Oberholzer

Paul Oberholzer

Der Historiker und Theologe Paul Oberholzer (Dr. phil. et lic. theol.) ist Archivar/ Bibliothekar der Schweizer Jesuitenprovinz.