Ringen um die Reformation

Wem gehört die Reformation?

Zur Deutung komlexer Probleme der Geschichtsschreibung

Lässt sich der Reformationsbegriff so fassen, dass auch andere Kirchen wie die römisch-katholische das Reformationsjubiläum zum Anlass für ein produktives Gedenken an die Reformationszeit nehmen können? Der vorliegende Sammelband versucht Antworten.

Eva-Maria Faber – Reformationsjubiläen wurden in früheren Jahrhunderten für konfessionelle und nationale Interessen nutzbar gemacht. Das Jubiläum 2017 gibt im Vorfeld gerade deswegen zu reden, weil eine solche Instrumentalisierung diesmal vermieden werden soll. Bei einem Kongress in Zürich (Oktober 2013) bekräftigte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Nikolaus Schneider die Absicht, die 500-Jahr-Feier der Reformation in einer internationalen und ökumenischen Ausrichtung zu feiern. Doch wie gelangt man von Absichtserklärungen zu dieser offenen Ausrichtung, zumal dies voraussetzt, dass Katholiken das Jubiläum auch mitfeiern wollen?

Der vorliegende Band, der Referate einer Tagung von 2012 dokumentiert, transponiert die Problemstellung in die Frage: «Wem gehört die Reformation?» Hinter der griffigen Formulierung verbergen sich komplexe hermeneutische Probleme der Geschichtsschreibung. Wie lässt konkurrenzierende Interpretation einer Vereinnahmung von Geschichte für die eigene Position begegnen? Um etwaige Besitzansprüche zu demontieren, schlägt Walter Sparn eine «Dekanonisierung» vor: Eine kulturhermeneutisch orientierte Geschichtsschreibung soll die Vorgänge der Reformationszeit in ihrer ganzen Pluralität und Disparität zum Vorschein bringen. Eine solch historisierende Forschung verzichtet auf Konstrukte, welche die Reformation in linearen Sinndeutungen als Trägerin epochaler Fortschritte in Richtung der Errungenschaften von Neuzeit und Moderne stilisierten. Wenn nachfolgend mit erinnerungspolitischer Intention wiederum Gegenwartsbezüge geschaffen und aktuelle Bedeutsamkeiten aufgezeigt werden, so wird doch das Monopol einer bestimmten Erinnerungsperspektive durch eine Pluralität von Perspektiven auf die Reformationen (!) abgelöst.

Eine dekanonisierte Sicht

Die Konsequenzen für eine ökumenische Feier des Jubiläums liegen auf der Hand. Theo Dieter konfrontiert in seinem Beitrag die Frage «Wem gehört die Reformation? » nicht nur mit Besitzansprüchen, sondern auch mit Besitzverweigerungen. Als Beispiel dient die Problemkonstellation zwischen Lutheranern und Mennoniten. Den Mennoniten sind Ereignisse der Reformationszeit schmerzlich präsent, an die Lutheraner sich erst mühsam wieder erinnern müssen. Es braucht den Dialog, in dem beide Seiten den Perspektivenwechsel zur jeweils anderen Gedächtnisgeschichte lernen. Ein zweiter Punkt von ökumenischer Relevanz: Wie kann die Reformation auch Katholiken «gehören »? Insofern sie sich an die Reformation als der Zeit der Kirchenspaltung erinnern, melden sie Bedenken gegen eine gemeinsame Feier an. Auch hier braucht es eine Veränderung der Perspektive. Eine «dekanonisierte» Sicht wird die grössere Komplexität der Ereignisse erinnern und statt von Spaltung zunächst «von der ‹Emergenz› pluraler Partikularkirchen, also von Pluralisierung» (Sparn) sprechen. Die Akteure der Reformation griffen für ihre Optionen bezüglich der ekklesiologischen Grundfrage von Universalität und Partikularität auf spätmittelalterliche Vorbilder zurück (so der Beitrag von Volker Leppin). Die Entwicklung von Konfessionskirchen war nicht beabsichtigt. Dass ihre Existenz spätmodern nicht blauäugig als marktkonformes Angebot auf pluralisierte Sinnsuche begrüsst werden sollte, unterstreicht Johanna Rahner. Das ökumenische Bemühen um ein Verhältnis, in dem die Kirchen ihrer «Gemeinsamkeit und Einheit in Jesus Christus wieder Ausdruck geben» (Leppin) und von einer gemeinsamen Basis her die Unterschiedenheit positiv beurteilen und fruchtbar machen können (Rahner), ist unabdingbar.

Präzisierungen nötig

Schon jetzt anerkennt das Ökumenedekret des II. Vatikanums die verbindenden Momente und mahnt dazu, die Reichtümer in den anderen Kirchen anzuerkennen. Dies führt Dieter zu dem Postulat: «Wenn sich nun aber die Evangelischen darüber freuen, dass das Evangelium ihnen durch die Reformatoren in besonderer Klarheit und Kraft erschlossen worden ist, können dann die Katholiken etwas anders tun als sich mitzufreuen?» Diese Sichtweise setzt eine Präzisierung dessen voraus, was das Reformationsjubiläum feiern will. Mehrere Beiträge beziehen sich kritisch auf eine Aussage von Thomas Kaufmann in der «FAZ» vom 14.11.2011: Konstitutives Moment der Reformation sei «die Gegnerschaft gegen die römische Kirche». Dies würde ja bedeuten, dass den evangelischen Kirchen die Reformation so ge- hört, «dass sie die Kontroversen der Reformationszeit immer führen müssen» (Dieter). Demgegenüber sieht Eingangsbeitrag von Johannes Ehmann das Wesentliche programmatisch Wittenberger Stadtkirchenaltar mit der Darstellung von Abendmahl, Busse und ausgesagt. Dieter die Rechtfertigungslehre Sprache. Sie sei nicht » der evangelischen Kirche, sondern «entdeckte Gemeinsamkeit zwischen Konfessionen». Friederike beschreibt in ihrem Beitrag Punkten, was die reformatorische Theologie positiv kennzeichnet. Weitere Beiträge des die hier zu Unrecht nicht ausführlich gewürdigt können, steuern stärker Perspektiven bei. Dabei arbeiten Emidio und Hermann Selderhuis besonderen Konturen der Reformation und ihrer heraus. Römischkatholische Sichtweisen durch Peter Walter, Johanna und Dorothea Sattler Andreas Mühling weist den Zusammenhang von und Dialog hin.

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Günter Frank, Volker Leppin, Hermann J. Selderhuis (Hg.): Wem gehört die Reformation? Nationale und konfessionelle Dispositionen der Reformationsdeutung. Verlag Herder GmbH, Freiburg 2013. 304 Seiten, Fr. 27.90.

 

 

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur