Ringen um den rechten Gebrauch von Besitz

Appelle Jesu wie «Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde» (Mt 6,19) bewirkten bei Kirchenvätern eine kritische Sicht des Privateigentums. Ein Beispiel dafür ist Ambrosius. Wie rechtfertigt er Privatbesitz dennoch?

In altkirchlichen Schriften wurden Vorstellungen und Gedanken klassischer Autoren, etwa von Cicero oder Seneca (Stoa), übernommen, wenn sie sich in das christliche Weltbild einfügten – so auch bezüglich des Privateigentums. Mit diesem Thema beschäftigt sich Ambrosius als 55-jähriger Bischof von Mailand in einem Kapitel1 seines 388 n. Chr. für seine Kleriker verfassten Werkes «De officiis». Der Abschnitt ist Teil einer umfassenderen Diskussion über den Ursprung der Gerechtigkeit und deren Bedeutung für die Gesellschaft. Die meisten Argumente leitet Ambrosius aus Ciceros «De officiis» ab.

Privateigentum

Cicero unterscheidet öffentliches und privates Eigentum. In der Frühzeit der menschlichen Gesellschaft sei alles gemeinschaftlich besessen worden, im Laufe der Zeit hätten geschichtliche Ereignisse wie Kriege, Verträge oder Gesetze zur Entstehung von Privateigentum geführt.2 Während für ihn diese Entwicklung keine moralische Frage ist, beginnt Ambrosius seine Ausführungen zum Privatbesitz mit der Bemerkung, dass dieser nicht der Natur entspreche (ne hoc quidem secundum naturam).3 Wie Cicero erklärt er dann, dass es ursprünglich so etwas wie privates Eigentum nicht gab. Die Natur hat, so Ambrosius, das gemeinsame Recht hervorgebracht, die widerrechtliche Aneignung hingegen hat das Privatrecht verursacht (natura igitur ius commune generauit, usurpatio ius fecit priuatum).4 Für Ambrosius ist Privateigentum gewissermassen eine Perversion der natürlichen Ordnung und widerspricht dem Willen Gottes.

Bezüglich der stoischen Lehre, dass die Erde zum menschlichen Gebrauch geschaffen wurde und die Menschen füreinander gezeugt sind,5 führt Ambrosius die ersten Kapitel des Buches Genesis an; mit Zitaten aus den biblischen Schöpfungserzählungen betont er, dass der Gedanke des Dienens den göttlichen Plan durchdringt. Man solle Eifer, Dienst, Geld und alles Weitere dem Aufbau der Gesellschaft widmen.6 Er preist eine Gerechtigkeit (iustitia), die mehr für andere als für sich selbst da ist, eine Gerechtigkeit, die keinen Dienst verweigert und die Last anderer Menschen auf sich nimmt.7 Während Cicero Gerechtigkeit als Abwägen zwischen öffentlichen Verpflichtungen und privaten Interessen bestimmt, definiert sie Ambrosius als völlige Hingabe der eigenen Person und Ressourcen an die Bedürfnisse der Gemeinschaft. Wann immer man danach strebe, eigenen materiellen Besitz zu vermehren und Reichtümer anzuhäufen, «haben wir das Gepräge der Gerechtigkeit abgelegt, das gemeinsame Wohl aufgegeben» (iustitiae formam exuimus, beneficentiam communem amisimus).8 Bereits die Existenz von Privateigentum verletzt die Gerechtigkeit, weil sie deren altruistischen Charakter untergräbt und den gottgewollten gemeinsamen Besitz aller Dinge zerstört.

Habsucht bzw. Geiz als Sündenfall

Ambrosius beschreibt, was sich hinter der widerrechtlichen Aneignung (usurpatio), die zu Privateigentum geführt habe, verbirgt, indem er anmerkt: «Wer würde sich nicht wünschen, diese hohe Festung der Tugend (d. h. der Gerechtigkeit) zu besetzen, wenn nicht die erste Habsucht (prima auaritia; Sündenfall) die Kraft einer so großen Tugend schwächen und beugen würde?»9 Wie Cicero deutet er eine historische Entwicklung in der menschlichen Gesellschaft an, um den Untergang der ursprünglichen Gütergemeinschaft und das Aufkommen des Privateigentums zu erklären. Ambrosius bringt darüber hinaus die Ursünde, spezifiziert als Habgier, in die Darstellung ein. Habsucht trifft einen Lebensnerv des Menschen, denn sie isoliert ihn von anderen, lässt ihn seinen letzten Seinsgrund vergessen und verschleiert die Kontingenz menschlicher Existenz.10 Den naturgegebenen Zweck irdischer Güter, nämlich mit anderen teilen und Bedürftigen helfen zu können, vereitelt der Geiz.11 Wenn Gerechtigkeit anderen dienen soll, steht Geiz ihr entgegen.

Ambrosius' Beschreibung, dass die Habsucht Ursprung des Privateigentums sei, erinnert an die Art des moralischen Verfalls, den griechische und römische Schriftsteller mit dem Ende des «Goldenen Zeitalters», einem mythologischen originären Idealzustand der Menschheit, in Verbindung brachten. Dem stoischen Philosophen Seneca zufolge12 waren die Gaben der Natur ursprünglich Gemeingut aller Menschen, und die grosszügige Fürsorge für andere kennzeichnete die menschliche Gesellschaft. Im Laufe der Zeit jedoch führte der Geiz die Vorstellung von Privatbesitz in die Welt ein und zerstörte damit ein für alle Mal den Geist gegenseitigen Interesses und gemeinsamer Nutzung der Güter. Einerseits hätte Ambrosius auf der Grundlage dieser Entwicklungsvorstellung eine Synthese aus christlichen und stoischen Ideen schaffen können; denn Seneca beschreibt die menschliche Gesellschaft vor dem Aufkommen des Eigentums ähnlich altruistisch wie Ambrosius, der sich an biblischen Aussagen orientiert. Andererseits aber definiert Seneca den Zustand des Menschen nicht über eine bestimmte Tugend. Er sagt weder etwas über die altruistische Gerechtigkeit, noch beschreibt er, was mit dieser Tugend als Folge des Geizes geschieht. Ambrosius hingegen hat den einzelnen Menschen stärker im Blick, indem er fragt, wer denn nicht nach Gerechtigkeit streben würde, wenn nicht ursprünglich der Geiz seine Kraft geschwächt und abgelenkt hätte (infirmaret atque inflecteret).13

Relativierung des Eigentumsverbots

Nach Ambrosius' Vorstellung wurde die altruistische Gerechtigkeit durch die erste Sünde nicht etwa ausgelöscht oder zerstört, sondern geschwächt oder umgelenkt. Vor dem Sündenfall bedeutete sie die Art von Altruismus, die mit Privateigentum unvereinbar war.14 Danach wurden jedoch sowohl der altruistische Charakter der Gerechtigkeit als auch das damit verbundene absolute Verbot des Eigentums relativiert. Gerechtigkeit kann in ihrer ursprünglichen Vollkommenheit nicht mehr erreicht werden, hat aber weiterhin Geltung.

Eine solche Interpretation steht im Einklang mit Ambrosius' Einstellung zum Eigentum, sowohl in seinem persönlichen Leben als auch in seinen häufigen Überlegungen zu diesem Thema. Er argumentiert nicht nur, dass Reichtum ein Ansporn zur Tugend sein kann15 und dass der Verzicht auf allen Besitz im Streben nach christlicher Vollkommenheit eher eine Frage geistlicher Empfehlung als der Pflicht ist.16 Sondern er besitzt selbst Eigentum und erlaubt das auch seinen Klerikern; er gibt ihnen Hinweise für einen guten Einsatz von Reichtum im Dienst anderer.

Rechter Gebrauch und Abusus

In «De Nabuthe Iezraelita», wohl auf das Jahr 389 n. Chr. zu datieren, wendet sich Ambrosius am Beispiel Nabots gegen die Habsucht und vertritt eine kritische Sicht des Reichtums.17 Er findet harte Worte für diejenigen, die vergessen, dass das Teilen der Natur entspricht und Privateigentum den Bedürfnissen der Gemeinschaft dienen soll. Ungenutzter Reichtum ist für ihn eine Bedrohung und eine Wurzel von Schuld für den Besitzer.18 Wer Bedürftigen nicht hilft, wird zum Sklaven seines Besitzes und zieht sich das Gericht zu.19 Das Eigentum als Mittel, um anderen zu dienen, erfährt in Ambrosius' Haltung zum Wucher, dem Inbegriff des Geizes, eine negative Verstärkung.20 Unter dem Vorwand, Hilfe zu leisten, arbeitet der Wucherer dem eigentlichen Sinn der Gerechtigkeit zuwider, indem er Bedürftige ausnutzt, versklavt oder ihnen sogar das Leben nimmt.

Wiederholt pocht Ambrosius auf den rechten Gebrauch, der zumindest bis zu einem gewissen Grad das altruistische Element in der ursprünglichen Beziehung des Menschen zum Privatbesitz aufrechterhält. Wer seinen Reichtum zum Nutzen anderer einsetzt, macht Gott zu seinem Schuldner und erhält eine edlere Gegenleistung.21

Dienst an anderen als Kriterium

Für Ambrosius ist also der Gebrauch die entscheidende Frage bei der Bestimmung der Legitimität von Privateigentum im gegenwärtigen Zustand des Menschen. Wenn diese Benutzung auf einen rein persönlichen Gewinn hinausläuft, der das Gemeinwohl vernachlässigt, oder, wie beim Wucher, einer Ausbeutung gleichkommt, geht jeder Anschein von altruistischer Gerechtigkeit verloren. Wenn aber deren Ziele zumindest bis zu einem gewissen Grad erreicht werden, hat das Privateigentum seinen berechtigten Platz in der menschlichen Gesellschaft. Nach dem Sündenfall ist der Dienst am anderen das entscheidende Element im Umgang des Menschen mit seinem Besitz.

Notker Baumann

 

1 Ambr. off. 1,28.

2 Vgl. Cic. off. 1,7,21.

3 Ambr. off. 1,28,132.

4 Ambr. off. 1,28,132.

5 Vgl. Ambr. off. 1,28,132; wörtlich aus Cic. off. 1,7,22. 

6 Ambr. off. 1,28,135.

7 Vgl. Ambr. off. 1,28,136. 

8 Ambr. off. 1,28,137. 

9 Ambr. off. 1,28,137.

10 Zum Beispiel Ambr. in Lc. 8,2,14; Iob et Dav. 2,5,17. 

11 Ambr. off. 3,7,45; Nab. 3,12.

12 Sen. ep. 90,3.35–40. 

13 Vgl. Ambr. off. 1,28,137. 

14 Von dieser Art Gerechtigkeit spricht Ambrosius in Ambr. off. 1,28. 

15 Etwa Ambr. in Lc. 5,5,69; 8,10,85; ep. 2,11; in Ps. 40,31.

16 Ambr. uid. 12; off. 1,30,149.  

17 Vgl. auch dessen Vorlage bei Basilius, Bas. hom. 5f.

18 Ambr. off. 2,26,132; in Ps. 118,9,18. 

19 Ambr. Nab. 12,52; 13,56.

20 Vgl. Ambr. Tob.   21 z. B. Ambr. Nab. 14,58–60.

21 Zum Beispiel Ambr. Nab. 14,58–60.

 

Literaturhinweise

  • Becker, Maria, Die Kardinaltugenden bei Cicero und Ambrosius: De officiis, Basel 1994, 55–59.
  • Brown, Peter, Der Schatz im Himmel. Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Reiches, Stuttgart 2017.
  • Swift, Louis J., Iustitia and Ius Privatum. Ambrose on Private Property, in: The American Journal of Philology 100 (1979), 176–187.
  • Wacht, Manfred, Privateigentum bei Cicero und Ambrosius, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 25 (1982), 28–64.

 

 

 


Notker Baumann

Prof. Dr. Notker Baumann (Jg. 1975) studierte katholische Theologie und Philosophie in Freiburg i. Br., Innsbruck und Rom und habilitierte sich in Würzburg. Seit 2018 ist er Professor für Kirchengeschichte und Patrologie in Fulda und Marburg.