Als Bischof Joseph Benedikt von Rost das Bischöfliche Schloss im barocken Stil umbauen liess, wurde aus Gründen der Symmetrie dem Portal auf der linken Seite ein blindes Portal auf der rechten Seite beigestellt. Mit dem Domschatzmuseum erhielt nun auch das rechte Portal die Funktion einer Tür. Sie führt die Besucherinnen und Besucher in den Eingangsbereich des neuen Museums.
Diözese als Ausgangspunkt
«Den Domschatz gäbe es nicht ohne die Kathedrale, die Bischofskirche ist. Deshalb beginnen wir mit der Geschichte des Bistums Chur», erklärt Anna Barbara Müller-Fulda, die Kuratorin des Museums. Mittels Audioguide1 kann man sich über die lange Bistumsgeschichte und später über die Ausstellungsgegenstände informieren. «Wir gehen davon aus, dass viele Menschen nicht mehr kirchlich sozialisiert sind. Deshalb werden auch Hintergrundinformationen gegeben», führt Müller aus. Wer es lieber kurz hat, für den gibt es jeweils ein Legendenblatt für den Domschatz und die Todesbilder. Es soll auch ein museumspädagogischer Führer für Familien und Kinder angeboten werden.
Als Anschauungsobjekte für diesen ersten Bereich zur Diözese dienen Bischofsattribute: Mitra, Pontifikalschuhe und das bischöfliche Zeremo- nialschwert – dies aus der Zeit, als der Bischof noch zugleich Reichsfürst war.
Vom Chorkreuz bis zur Reliquienhülle
Durch eine Tür gelangt man in die Domschatzkammer. Der grosse Raum überrascht durch seine Helle und Weite, was u. a. an der ungewohnten Holzverkleidung liegt. Im Unterschied zu einem «normalen» historischen Museum handelt es sich bei den ausgestellten Objekten im Domschatzmuseum nicht um Gegenstände, die nur noch in einer Vitrine präsentiert werden können: Ein Domschatz zeichnet sich dadurch aus, dass er in Gebrauch ist. So kann es durchaus passieren, dass ein Gegenstand in der Ausstellung fehlt, da er gerade für die Liturgie in der Kathedrale verwendet wird. «Wir haben überlegt, einen Kelch aus der Rokokozeit auszustellen. Das ist aber nicht möglich, weil er sehr oft in Gebrauch ist», erzählt Müller schmunzelnd.
Die Idee zu einem Domschatzmuseum in Chur hatte Bischof Christian Caminada (1941–1962). Dieses war zunächst in der unteren Sakristei der Kathedrale eingerichtet. Bei der Restaurierung der Kathedrale (2001–2007) war klar, dass die Sakristei aus praktischen Gründen wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt werden sollte. Der Domschatz landete im Kulturgüterschutzraum des Rätischen Museums. Nach langen Diskussionen wurde der jetzige Standort festgelegt. «Ich wurde erstmals 2004 für eine Mitarbeit angefragt. Ab 2018 wurde es konkret», erinnert sich Müller.
Im vorderen Bereich der Domschatzkammer sind vorwiegend liturgische Objekte zu sehen: Weihrauchschiff, Weihwasserbecken, Kelche, eine gotische Turmmonstranz, Pyxis, ein Eucharistiekästchen in Bursenform oder ein Chorkreuz. Unter den drei ausgestellten Kaseln leuchtet eine hervor. Wer den Stoff genau betrachtet, wird zu seinem Erstaunen arabische Schriftzeichen erkennen. Der Stoff aus dem 14. Jahrhundert kam vermutlich als Reliquienhülle nach Chur. Später wurde er in eine Kasel umgearbeitet – der Kaselstab entstand nämlich erst um 1500. Auch er ist besonders, zeigt er doch u. a. eine Darstellung von Gottvater. Ein weiteres interessantes Objekt ist die ausgestellte Turnustafel der Domherren. Diese listet verschiedene Dienste wie Custos oder Scholasticus auf. In die Löcher neben den Diensten konnten Holzstücke mit dem Namen desjenigen Domherrn gesteckt werden, der an der Reihe war. Am Turnus hat sich nichts geändert, nur läuft es heute natürlich elektronisch.
Im hinteren Bereich ist der Reliquienschatz ausgestellt. Die Reliquienbüsten und -schreine gehören zu den bekanntesten Objekten des Domschatzes. Eigentlich sind es nur «Halbschreine». Sowohl der romanische als auch der gotische Halbschrein haben eine Rückwand aus Fichtenholz2. Da auf der Seitenwand des romanischen Luziusschreins zu einem späteren Zeitpunkt eine Figur im gotischen Stil ergänzt wurde, geht man davon aus, dass früher mindestens ein Schrein ganz war; Halbschreine kamen erst im Barock auf.
Spannend sind die Reliquiare aus dem Altarsepulcrum der Kathedrale. Ein Elfenbeinkästchen trägt das Bild von Äskulap, dem Gott der Heilkunst. Es befand sich mit zwei anderen Reliquiaren in einer römischen Aschenkiste aus Marmor. «Im Übergang von der Spätantike zum Frühchristentum haben die Menschen gerne Gegenstände wiederverwendet, die sich als Reliquiar eigneten, auch wenn sie heidnischen Ursprungs waren», weiss Müller zu berichten. Neben Elfenbein wurden für die Reliquiare auch Silber, Stoff oder Glas verwendet. Es gab auch Rosenkränze mit Reliquienkapseln. Der farbenfrohe Stoff einer Reliquienhülle stammt aus Syrien und zeigt einen Mann, der mit einem Löwen kämpft. Herakles oder Simson? «Beides ist möglich», meint Müller. «Das Bild ist eine Chiffre. Hier ist dargestellt, wie das Böse bekämpft wird.»
Die Bilder im ehemaligen Weinkeller
Durch ein speziell für die Ausstellung errichtetes Treppenhaus geht es zu den Todesbildern. Die in Gold gehaltenen Geländer und Lifttüren führen die Eleganz des Domschatzes fort. Durch eine weitere Tür gelangt man in den alten Weinkeller und somit in eine andere Welt. Der Raum mit seinen alten Mauern wirkt für sich. Informationen des Archäologischen Dienstes liefern Hintergründe zum Raum und zu seiner Entstehung. Die Todesbilder befinden sich aus klimatischen Gründen in einem Gehäuse, das mitten im Keller steht. Den Zugang bildet eine Glastür, auf der den Besucherinnen und Besuchern bereits Figuren aus den Todesbildern skizzenhaft begegnen. Im Innern sieht man sich unmittelbar den Todesbildern gegenüber: 35 Szenen in 17 Feldern, dazu 8 unabhängige Sockelfelder. So ungefähr müssen sie bis zum Umbau 1882 in einem dunklen Gang zwei Stockwerke höher gehangen haben. «Wir sprechen von Todesbildern, weil der Tod in das alltägliche Leben der einzelnen Standesvertreter eindringt und nicht wie beim Totentanz3 mit ihnen Reigen tanzt», erklärt Müller. Bis in die 1970er-Jahre waren die Bilder im Rätischen Museum ausgestellt, danach verschwanden auch sie im Depot. Jetzt hängen sie frisch restauriert an der Wand und laden zum Betrachten ein. Die Bilder sind vorwiegend in der Grisaille-Technik gemalt, also in Schwarz, Weiss und Grau. Farben hätte man damals im dunklen Gang sowieso nicht erkennen können. «Man sollte die Bilder abschreiten, wie dies in einem Gang ja auch gemacht wurde», erklärt Müller, «nur so kann man die vielen Details erkennen.» Der unbekannte Maler hat die Holzschnitte des Totentanzes nach Hans Holbein dem Jüngeren (1497–1543) als Vorlage genommen. Da die Bilder im Bischöflichen Schloss hingen, hat er einige Dinge geändert. So fehlt z. B. auf dem Bild mit dem Papst der Teufel und die Figur neben dem Domherr könnte den Auftraggeber, Bischof Lucius Iter, darstellen. Auf zwei Touchscreens können viele Informationen zu den Bildern abgerufen werden.4
Domschatzmuseum und Todesbilder bilden eine gelungene Symbiose, die darauf wartet, entdeckt zu werden.
Rosmarie Schärer