ReligionsDie Kirche als Bildungsträgerin

Der Leitsatz 8 des Leitbildes Katechese im Kulturwandel beschäftigt sich mit dem kirchlich verantworteten Religionsunterricht. Wie sieht seine Zukunft aus?

Kirchlicher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist nicht selbstverständlich. (Bild: pixabay.com)

 

Die Ausrichtung des kirchlichen Religionsunterrichts schärfte sich durch das Leitbild «Katechese im Kulturwandel» und den neuen «Lehrplan für Religionsunterricht und Katechese» (LeRUKa). Im Zentrum steht dabei die Vermittlung eines gesamtheitlichen Glaubenswissens. Aus der Perspektive der katholischen Kirche der deutschen Schweiz werden für die religiöse Bildung und Katechese zwei Lernorte beschrieben. Einerseits der Lernort «Kirche», wo die Katechese im Sinne der Glaubenseinführung und des kirchlichen Engagements erlebt und praktiziert wird. Im Leitbild sind entsprechende Leitsätze und im LeRUKa dementsprechende Kompetenzen formuliert. Ebenfalls findet am Lernort «Kirche» die Jugendarbeit statt.

Andererseits wird der Lernort «Schule» beschrieben, an dem selbst wieder auf zwei «Schienen» eine religiöse Grundbildung angeboten wird. In vielen Kantonen der deutschen Schweiz übernehmen die Kirchen mit ihrem konfessionellen oder ökumenischen Religionsunterricht einen Teil dieser religiösen Grundbildung. Im neuen Lehrplan LeRUKa von 2017 sind die entsprechenden Ausrichtungen beschrieben. Die andere «Schiene» übernimmt der Staat, formalisiert und formuliert im Lehrplan 21 mit der Fachperspektive Ethik-Religionen-Gemeinschaft ERG für die 1. bis 6. Klasse im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft und für die 7. bis 9. Klasse als eigenes Fach, oder zumindest als Lehrplan in einem entsprechenden Fach.

Diese ganz grobe Zweigleisigkeit erfährt aber durchaus auch andere Konturen, beispielsweise in St. Gallen, wo das Fach Ethik-Religionen-Gemeinschaft aufgeteilt wird in ERG Schule und ERG Kirche. Oder Solothurn, wo die Kirche die gesamte religiöse Bildung übernimmt. Oder ganz anders dann beispielsweise in Bern oder Zürich, wo die «Schiene» der kirchlichen religiösen Grundbildung ganz ausserhalb der schulischen Struktur stattfindet und der Staat lediglich seinen staatlichen Religionsunterricht in der Schule umsetzt.

Ein Blick zurück und auf heute

Ein kurzer – verkürzter – Blick in die religionspädagogische Vergangenheit zeigt, dass spätestens ab dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit der religionspädagogischen Wende hin zur Subjekt- orientierung der Religionsunterricht als konkrete Möglichkeit zur Entwicklung einer persönlichen Religiosität und der Einführung in die katholische Kirche verstanden wurde. Entsprechende religionspädagogische Konzeptionen, konkrete Umsetzungen wie auch Ausbildungsgänge waren von dieser Ausrichtung stark beeinflusst.

Die didaktischen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Grundausrichtung von «Religionsunterricht», beispielsweise von «teaching in religion», «teaching about religion» oder «teaching from religion» im deutschschweizerischen Kontext, führten ab den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Neupositionierung des kirchlichen Unterrichts. Diese Entwicklung wurde wohl gestärkt durch die Erfahrung, dass der Religionsunterricht am Lernort «Schule» kaum kirchliches Engagement junger Menschen evozierte. Hingegen konnte eine gelungene Beziehungsarbeit der Religionslehrpersonen junge Menschen motivieren, sich kirchlich zu engagieren und kirchliches Leben zu leben. Und nicht zu vergessen die bildungspolitischen Diskussionen, wie sie beispielsweise im Kontext des Vorläuferfachs «Ethik-Religionen» des Lehrplans 21 für die Zentralschweiz, dem Fach «Menschen und Kulturen» in Zürich oder dann im Zusammenhang mit der Entwicklung des aktuellen Lehrplan 21 auf staatlicher Seite geführt wurden.

Im Leitbild wurde bereits vor über zehn Jahren im Leitsatz 8 formuliert, dass sich ein kirchlicher Religionsunterricht der Vermittlung eines «ganzheitlichen Glaubenswissens» verpflichtet. Mit diesem Leitsatz ist eine pädagogische Neupositionierung des kirchlichen Religionsunterrichts – dort wo vorhanden – in der Schule passiert. Der LeRUKa nimmt den Leitsatz 8 auf, indem er entsprechende Kompetenzen für den kirchlichen Religionsunterricht formuliert.

Die Tür zur religiösen Mitwelt öffnen

Mit der religionspädagogischen Ausrichtung übernimmt die katholische Kirche der Deutschschweiz ihren Beitrag zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, wie dieser auch im Grundlagendokument zum Lehrplan 21 unter der Rubrik «Orientierung der Volksschule» steht. Die Kirche hat sich eine Selbstverpflichtung gegeben, jungen Menschen eine Tür zur religiös-kulturellen Mitwelt zu öffnen und damit Orientierungs- und Handlungshilfen in einer heterogenen Welt zu geben, aber auch die christlichen Fundamente der Gesellschaft und die Sinnhaftigkeit christlichen Handelns erfahren und entwickeln zu lassen. Damit verbunden ist das Ziel, Kinder und Jugendliche zu mündigen und entscheidungsfähigen Christinnen und Christen zu bilden. Der im Leitsatz 8 formulierte Anspruch weist darauf hin, dass die Kirchen einen Bildungsanspruch in der Gesellschaft übernehmen wollen und sich nicht allein auf eine katechetisch ausgerichtete Arbeit fokussieren. Kommt hinzu, dass dieser Ansatz die ökumenische Zusammenarbeit im Religionsunterricht oder überhaupt eines ökumenischen Religionsunterrichts an der Schule verstärkt und – wo nicht schon praktiziert – möglich werden lässt. «Ganzheitliches Glaubenswissen» heisst aber nicht ein rein intellektueller Zugang zur Sache «Religion», sondern im Sinne der Kompetenzorientierung deutend und handelnd und mit der ganzen Person verbunden.

Legitimation gefordert

Neue Perspektiven führen zu neuen Herausforderungen. Der kirchliche Religionsunterricht wird auch hierzulande von vielen bewusst oder unbewusst im Verständnis einer Sozialisierung in die Kirche betrachtet und auch begründet. Das führt unweigerlich zu bildungspolitischen Diskussionen, ist doch im Zuge der vorhandenen weltanschaulichen Heterogenität von aussen kaum mehr erklärbar, warum ein solcher kirchlicher Religionsunterricht seine Legitimation an der Schule haben soll. Mit dem religionspädagogischen Perspektivenwechsel eines Religionsunterrichts im Sinne des Bildungs- und Erziehungsauftrages ist die gesellschaftliche Bedeutung gegeben. So die Sichtweise im Leitbild oder auch im LeRUKa. Diese Ausrichtung führt aber unweigerlich zur Fragestellung, wie dann die Katechese – ein Kernauftrag der Kirche – überhaupt umgesetzt werden kann. Denn wo der kirchliche Religionsunterricht in der Schule stattfindet, geschieht oft wenig bis gar keine pfarreiliche Katechese. An dieser Stelle ist die Verbindung zu anderen Leitsätzen des Leitbildes eindeutig. Beispielsweise Leitsatz 1 mit seinem Anspruch, dass Katechese im Sinne einer Gesamtpastoral geplant werden muss. Oder auch Leitsatz 7, der die Sakramentenkatechese mit den heterogenen Voraussetzungen der Adressaten in Verbindung bringt.

Der Anspruch der Vermittlung eines «ganzheitlichen Glaubenswissens» heisst also: Die Kirche versteht sich selbst als Bildungsträgerin, leistet einen Beitrag zum Bildungsauftrag der Schule und stärkt die Entwicklung katechetischer Angebote in der Pfarrei. So leistet sie ihren Beitrag zu einem mündigen Christsein und der Verlebendigung von Glauben unter den Menschen vor Ort.

Guido Estermann

 

Die SKZ veröffentlicht in loser Folge Beiträge zu den zwölf Leitsätzen zum «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch


Guido Estermann

Dr. Guido Estermann (Jg. 1967) ist Beauftragter für Pastoral des Generalvikars Zürich/Glarus.