Regens in Zeiten struktureller Veränderung

Was tut ein Regens den ganzen Tag? Das wurde ich gelegentlich gefragt und spürte darin eine liebenswürdige Ahnungslosigkeit, die meint, ein Regens warte einfach, bis sich der nächste Priesterkandidat meldet. Und da es nicht viele sind, die sich auf den priesterlichen Dienst vorbereiten, müsse doch ein Regens beschaulich leben.

In den vergangenen siebzehn Jahren kirchlicher Ausbildungsarbeit habe ich eine andere Realität erlebt. Ich war ausgefüllt und mit Herzblut beschäftigt: nicht allein mit den zurzeit fünfzehn Priesterkandidaten, sondern vor allem auch in der Konzeption und Durchführung der kirchlichen Studienbegleitung für einhundert Auszubildende des Bistums Basel, die sich für den Dienst als Katechetin oder Katechet RPI, als Pastoralassistentin oder Pastoralassistent, Diakon oder Priester vorbereiten. Ich hatte Gelegenheit, in unterschiedlichste Berufungsgeschichten hineinzuhören, Wunderbares und Spannendes zu entdecken sowie die Gewissheit zu erlangen, dass Gottes Geist auch heute Herzen bewegt und ruft.

Manchmal ist es nicht auf Anhieb klar, wohin der Weg einer Interessentin oder eines Interessenten führt, ob und wie sich ein Ausbildungsprojekt realisieren lässt. Familiäre Verpflichtungen und finanzielle Fragen spielen heute oft eine zentrale Rolle, ob ein Studium aufgenommen werden kann oder nicht. Als Regens bin ich während der Anfangsphase in der Rolle des Beraters, während des Studiums geht es um die Förderung und Entwicklung der Person. Zum Abschluss schliesslich spricht der Regens die Empfehlung für die Weihe, die Institutio oder die kirchliche Lehrerlaubnis an den Bischof aus. Das Neinsagen gehört auch zu seinen Pflichten, wenn auch nicht zu den angenehmsten, so wohl doch zu den wichtigen. «Dann sind Sie also so etwas wie ein Torhüter», fasste jemand die Aufgabe ins Bild. Das ist nicht ganz daneben. Zum Aufnahmeverfahren gehören auch Spielregeln, die von Anfang an transparent sind. Zu den Kriterien für den kirchlichen Dienst gehören das Selbstmanagement, soziale Kompetenz, menschliche und geistliche Reife, ein anerkannter theologischer Abschluss sowie die Klärung der Lebensform.

Die Gebäude ändern …

Im Jahr 2000 begann ich 32-jährig meine Tätigkeit als Ausbildungsleiter und Regens im Convict Salesianum in Fribourg zusammen mit Hausleiterin und Mentorin Hildegard Aepli. Die Schweizer Bischöfe wollten einem jungen Team das Vertrauen aussprechen. Nach anfänglichen Widerständen seitens der Studierenden, basierend auf alten Konflikten, konnten wir durch breit gefächerte Angebote allmählich Beziehungen aufbauen. Eine stattliche Zahl von 36 Studentinnen und Studenten der Theologie wohnten 2007 zum 100-Jahr-Jubiläum in dem mit 100 Studierenden ausgelasteten Haus. Verschiedenste Menschen und Institutionen trugen mit ihrem Interesse und Wohlwollen unsere Arbeit mit. Es hatte sich bestätigt, dass die stetige Präsenz unter den Studierenden und die Einübung ins geistliche Leben Früchte tragen würden.

Die Schweizer Bischöfe als Eigentürmer haben 2011 entschieden, das Salesianum infolge rückläufiger Studierendenzahlen nicht mehr als Theologenkonvikt zu betreiben, es aber als Studentenwohnheim zu behalten. Ich gehe davon aus, dass der Tag kommt, an dem dieses Haus wieder von Interesse sein wird. Es ist inzwischen renoviert und steht an bester Lage in unmittelbarer Nähe zur Universität Freiburg und zum Bahnhof. Es birgt Potenzial für eine stärkere Zusammenarbeit der Schweizer Bistümer im Bereich der Ausbildung.

2009 erfolgte auf Anfrage von Bischof Kurt Koch mein Wechsel nach Luzern als Regens des Priesterseminars St. Beat. Bald stellte sich heraus, dass dieses Haus aufgrund seiner Grösse und finanziellen Situation nicht weiterbetrieben werden konnte. Bischof Felix Gmür folgte der Empfehlung einer Expertenkommission und beschloss den Auszug. Somit galt es 2013 mit vereinten Kräften die Abwicklung des Betriebs einzuleiten, Anschlusslösungen für das Personal zu suchen und eine neue Infrastruktur für die Studienbegleitung und die Berufseinführung aufzubauen.

Nach 42 Betriebsjahren (1971–2013) wurde eine weitere Ära in der bewegten Seminargeschichte des Bistums Basel besiegelt. Das Haus konnte nach einer gründlichen Renovation an Caritas Schweiz vermietet werden, was sich als gute Lösung erweist.

Die Studienorte wechseln…

Das neue, seit vier Jahren angelaufene Seminarkonzept setzt auf eine dezentrale Struktur. Zwei Chorherrenhäuser, die Hofkirche, die Mariahilfkirche und verschiedene Bildungshäuser bilden das Gerüst. Zudem stehen den Studierenden Studienorte im In- und Ausland offen (Fribourg, Chur, Lugano, Freiburg im Br., Frankfurt, München, Rom und Paris). Ausgewählte Partner in der Priesterausbildung sind das zweisprachige Seminar in Givisiez (wo auch unsere Jurassier wohnen), das Borromäum in Freiburg i. Br. sowie das Germanicum in Rom. Diese Offenheit entspricht sowohl der Vielgestaltigkeit unseres Bistums als auch dem Wunsch der Kandidaten, bei der Wahl ihres Studienortes mitzubestimmen. Dazu kommt, dass aus bistumseigenen Kräften für Luzern keine ausreichend grosse, mindestens zwölf Kandidaten umfassende Seminargemeinschaft gebildet werden kann.

… die Herzensbildung bleibt

Mich hat in dieser anspruchsvollen Zeit der äusseren Veränderungen die Überzeugung geleitet, dass die Vorbereitung auf den pastoralen Dienst nicht primär an Mauern und Standorten festzumachen ist. Die biblischen Motive von «Exodus» und vom «verheissenen Land» taugen meines Erachtens gut für die aktuelle Situation der Kirche und ihrer Ausbildungsaufgabe sowie für deren künftigen Zuschnitt. Vieles hinter sich lassen, Neuland betreten, als Gast anklopfen und bei anderen Aufnahme finden: Das hat durchaus bildende Kraft für eine pilgernde, sich bewegende Kirche.

Auch wenn sich punktuell resignative Stimmung breitmacht (hat nicht auch das Volk Israel in der Wüste gemurrt?), so gab es doch unter den Studierenden, unter den Seelsorgenden, in der theologischen Fakultät und in der Bistumsleitung Persönlichkeiten, die durch ihre Zuversicht geholfen haben, neue Pfade zu beschreiten. Dass zurzeit die Studierendenzahlen im Bistum Basel wieder deutlich ansteigen, wage ich zwar nicht als Trendwende zu interpretieren, jedoch freut es mich zu sehen, dass gerade auch heute Menschen bereit sind, eine Portion Ungewissheit auszuhalten und als Chance zu sehen.

Wesentlich bleibt für heutige Theologiestudierende, die sich auf den pastoralen Dienst vorbereiten, neben der fachlichen Kompetenz eben gerade die Herzensbildung und -bindung, d. h. die Verankerung im Glauben und die Beheimatung in einer kirchlichen Gemeinschaft. Diese Hinführung zu fördern gehört zu den zentralen Aufgaben des Seminars und seiner Ausbildungsgefässe. Gemeinsame Gottesdienste und Abendessen, geistliche Begleitung und Exerzitien, Klärungsgespräche, Supervision, Praktika, katechetische und homiletische Übungen sind das Instrumentar dazu. Auch Gebäude und Infrastruktur sind nicht bedeutungslos, jedoch wird der Ort in Zeiten hoher Mobilität relativ, d. h. besser austauschbar. Gerade die veränderten Lebensgewohnheiten und neue Studienmöglichkeiten wie z. B. das Fernstudium haben dazu beigetragen, dass gemeinsames Wohnen heute wenig Nachfrage findet. Diese Entwicklungen machen es umgekehrt zur Herausforderung, Gemeinsamkeiten überhaupt zu ermöglichen.

Die grossen Veränderungen der vergangenen Jahre sind ein Faktum. Jedoch sehe ich bei allem Umbruch auch Konstanten, was die Inhalte der Ausbildung anbetrifft. Es geht nach wie vor um die Reifung der Persönlichkeit, die Verankerung im Glauben, eine Einführung ins kirchliche Leben und die Befähigung, mit den Menschen unserer Zeit auf den Weg zu gehen. Daran ist nichts Neues – sondern bleibend Herausforderndes.

Ein Blick nach vorne

Vorausblickend sehe ich einiges Potenzial in einer verstärkten Zusammenarbeit der theologischen Fakultäten der Schweiz untereinander sowie in der Zusammenarbeit zwischen den Diözesen mit ihren jeweiligen Fakultäten.

Die staatlich finanzierten theologischen Fakultäten befinden sich heute aufgrund kleiner Studierendenzahlen und des Spardrucks eher in einem Konkurrenz- und Verdrängungskampf denn in einem Verhältnis der Kooperation. Die Ökonomisierung des Universitätsbetriebs, das Ringen um finanzielle Drittmittel sowie der Kampf um Studierendenzahlen ziehen dem Professorium zudem Kräfte in den primären Aufgaben von Forschung und Lehre ab.

Studierende auf dem Weg zum kirchlichen Dienst wünschen sich heute wieder stärker, dass sie die Dozierenden auch als Personen erfahren, die im Glauben unterwegs sind, und möchten erkennen, aus welchem Geist sie forschen, lehren und leben. Diese «Theologie zum Anfassen» ist gekennzeichnet vom Bemühen um den Brückenschlag in die Themen der Pastoral und des kirchlichen Lebens.

Die Rolle der Bistumsverantwortlichen ist es, ihre Erwartungen an eine für die Pastoral vorbereitende Ausbildung an die Dozierenden zu formulieren und mit ihnen zu besprechen. Für die Umsetzung von konkreten Projekten in diesem Anliegen sind die Seminarleitungen wichtige Partner.

Verheissungsvolle Ansätze

Zuversichtlich stimmt mich die in den vergangenen vier Jahren lancierte Kampagne «Chance Kirchenberufe» zur Berufungspastoral in der Deutschschweiz. Ich habe das gemeinsame Projekt von Diözesen, Fakultäten, Regenten, Landeskirchen und Körperschaften als starkes Zeichen kollektiven Engagements erlebt. Die Ansätze sind verheissungsvoll.

Ich wünsche diesem Projekt eine noch tiefer gehende Verankerung in den Pfarreien, geistlichen Bewegungen und anderssprachigen Missionen. Verbunden mit einem entsprechenden Engagement durch die Seelsorgenden, können auch künftig gute Mitarbeitende für den kirchlichen Dienst gewonnen werden.

 

Thomas Ruckstuhl

Thomas Ruckstuhl

Dr. theol. Thomas Ruckstuhl ist residierender Domherr des Bistums Basel. Seit 2000 leitete er das Convict Salesianum in Fribourg, und 2009 übernahm er die Aufgabe als Regens des Seminars St. Beat in Luzern. Auf Ende August hat er dieses Amt abgegeben und wird Mitte November Pfarradministrator von St. Ursen und St. Marien in Solothurn.