Regens im Priesterseminar St. Luzi Chur

Eucharistie

Seit drei Jahren bin ich als Regens des Bistums Chur tätig. Als Seelsorger durfte ich neun Jahre in drei Pfarreien in der Zentralschweiz wirken. Die mir aufgetragene Aufgabe, für die Kirche wirken zu dürfen, ist für mich sehr erfüllend.

In den folgenden Abschnitten möchte ich mit Ihnen einige Gedanken teilen, warum ich mich für die Kirche engagiere, wie man andere Menschen für den kirchlichen Dienst begeistern könnte, was ich für Grenzen erfahre und was ich als wesentlich erachte, um gemeinsam für den «Weinberg des Herrn» zu wirken.

Der gute Hirt

Jesus bezeichnet sich als «der gute Hirt», der bereit ist, sein Leben hinzugeben für die ihm anvertraute Herde. Dieses Bild des guten Hirten, das Jesus für sich und sein Wirken verwendet hat, bezeichne ich als grundlegend für meinen priesterlichen Dienst. Das Leben Tag für Tag für die Mitmenschen hinzugeben und einzusetzen, ist eine Herausforderung, aber vor allem auch ein grosses Geschenk. Ich möchte dazu eine Erfahrung aus meinem Leben anfügen.

Als Jugendlicher und junger Erwachsener suchte ich oft nur eines: mich selber, meinen Vorteil und mein Vergnügen. Das Leben für andere hinzugeben und einzusetzen, war damals kein Ideal für mich. Ich kann mich erinnern, dass mich genau diese Einstellung, das Leben nur für mich zu leben, unglücklich machte und ständig enttäuschte. Mit 20 Jahren habe ich dann für ca. zwei Jahre eine Weltreise unternommen, um das wahre Glück zu suchen. Auf dieser Reise durfte ich vielen Menschen begegnen, die mir auf ganz verschiedene Weisen geholfen haben. Es waren meistens Christen, die sich freuten, für ihre Mitmenschen Gutes zu tun. Diese Begegnungen liessen mich über das Leben und seinen wahren Sinn viel nachdenken. Während dieser Weltreise erinnerte ich mich an einen Missionar, der einmal in meiner Primarschulzeit unsere Schulklasse besuchte und uns über sein Wirken erzählte. Er hat damals betont, dass der Dienst an den Ärmsten dieser Welt ihn glücklich mache.

Ich entschloss mich, diesen Missionar zu besuchen, um mit ihm einige Zeit zu verbringen. Er lebte damals in Paris und kümmerte sich um Obdachlose. So kam ich in Paris an und begann, mit den Brüdern von Mutter Teresa mitzuleben. Ich erinnere mich, dass ich bei diesem Dienst an den Ärmsten genau das fand, was ich schon lange gesucht habe: das Glück im Herzen. Ich begann, besser zu verstehen, was der Satz aus dem Lukasevangelium bedeutet: «Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen» (Lk. 17,33). Die fünf Jahre, die ich für den Dienst an den armen und bedürftigen Menschen einsetzte, waren für mich eine Schule für das wahre Glück. Am Ende dieser Zeit mit den Missionaren der Nächstenliebe war in mir plötzlich dieser «Ruf», Priester zu werden. Ich konnte nicht sofort Ja sagen zu diesem Ruf, da ich einen zu grossen Respekt vor einem solchen Weg hatte. Was mich aber ermutigte, diesen Schritt zu wagen, war, dass ich wusste, dass die Kirche in der Schweiz Hirten braucht, welche die Menschen zur Weide der Sakramente und des Wortes Gottes führen, um dort Nahrung für die Seele zu finden.

Sich für die Kirche engagieren

In meiner Aufgabe als Regens ist es für mich eine Freude, Menschen begleiten zu dürfen, die ihr Leben für die Kirche, für das Reich Gottes einsetzen wollen. Ich denke hier z. B. an einen Studenten, der ein Jahr lang freiwillig bei einer Bergbauernfamilie mitgearbeitet hat, die ein schweres Schicksal erlebte. Dieses Jahr hat ihn in seiner Berufung für den Dienst in der Kirche bestärkt. In diesem Sinn sehe ich eine grosse Chance darin, den kirchlichen Dienst zu entdecken, wenn man den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Gelegenheiten ermöglicht, sich freiwillig für andere einzusetzen. Da wir Menschen als Abbild Gottes geschaffen sind, sind wir berufen, Liebe zu sein wie Gott. Das ist das Wesen unseres Lebens: Wenn wir die Liebe leben, indem wir das Gute tun, können wir unsere wahre Identität finden. Christus, der sein Leben für uns hingibt, ist der Wegweiser, um den tiefsten Grund des Lebens zu entdecken.

Ich erlebe immer wieder, dass viele Menschen Bestätigungen von aussen suchen, weil ihnen in einem gewissen Sinn ein eigenes Selbstwertgefühl fehlt. Viele tun etwas für ihre Mitmenschen, um sich Bestätigungen für das Selbstwertgefühl zu ergattern. Gerade als Kirche sollten wir dieser inneren Not der Menschen begegnen und ihnen helfen, in Gott allein die Bestätigung zu finden, dass das Leben in sich kostbar ist. Der Mensch kann sich selber annehmen, wenn er weiss, dass er von jemand anderem angenommen ist. Papst Benedikt XVI. sagt dazu: «Vom Du her kann das Ich zu sich selbst kommen. Nur wenn es angenommen ist, kann es sich annehmen. Wer nicht geliebt wird, kann sich auch nicht selber lieben. Dieses Angenommenwerden kommt zunächst vom anderen Menschen her. Aber alles menschliche Annehmen ist zerbrechlich. Letztlich brauchen wir ein unbedingtes Angenommensein. Nur wenn Gott mich annimmt und ich dessen gewiss werde, weiss ich endgültig: Es ist gut, dass ich bin.» (Ansprache 22. Dezember 2012).

Um den Mitmenschen zu helfen, in Gott das Du zu finden, das uns das unbedingte Angenommensein bestätigt, ist es wichtig, dass wir als Seelsorger eine persönliche Beziehung zu Gott pflegen, um aus eigener Erfahrung Zeugnis abzulegen. Wir haben den Menschen eine «kostbare Perle» anzubieten, einen «kostbaren Schatz», um dem Du Gottes zu begegnen. Es ist die Begegnung im Wort Gottes, die Begegnung in der Eucharistie und die Begegnung im Mitmenschen: «Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan» (Mt 25,40). Als Seelsorger haben wir die wichtige Aufgabe, den Menschen beizustehen, dem Du Gottes zu begegnen.

Grenzen, die wir erfahren oder selber setzen?!

Sicher sind die ersten Grenzen, die ich erlebe, meine eigenen. Gerne würde ich allen alles sein, wie der Hl. Paulus sagt, aber das gelingt nicht immer, da dies vom Vertrauen auf Gottes Hilfe abhängt. Treffend beschreibt der Hl. Tomas Morus diesen Mangel an Vertrauen mit folgenden Worten: «Kleinmut und Ängstlichkeit hindern einen Menschen oft, das Gute zu tun, zu dem er fähig wäre, wenn er im Vertrauen auf Gottes Hilfe Mut fassen würde.» So möchte ich immer mehr wachsen im Vertrauen, um dem Tun des Guten keine Grenzen zu setzen durch Angst und Zweifel.

Eine gewisse Not sehe ich oft bei jungen Erwachsenen; gerade wenn es darum geht, sich zu entscheiden: eine Familie zu gründen, Priester zu werden oder in eine Gemeinschaft bzw. einen Orden einzutreten. Dies bedeutet, dass man sich für etwas mit all seinen Konsequenzen entscheidet und nicht unbegrenzt alles offen lässt, was man auch noch gerne tun würde. Es scheint heute, dass man sich je länger, je mehr schwertut, sich zu entscheiden für eine spezifische Berufung, die Gott uns anvertrauen möchte.

Eine weitere Grenze, die ich feststelle, ist, dass die Stimme der Kirche je länger, je mehr an Wichtigkeit verliert. Gerade diese Stimme der Kirche ist so wichtig, damit sich die Ungerechtigkeit in der Welt nicht weiter verbreitet. Als Seelsorger braucht es heute Mut, sich für wahre Werte einzusetzen. Mich erschüttern diesbezüglich immer wieder die Worte von Dietrich Bonhoeffer, der schrieb: «Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen. Wir sind mit vielen Wassern gewaschen. Wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt. Wir sind durch Erfahrung misstrauisch gegen die Menschen geworden, und mussten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben. Sind wir noch brauchbar?» Ich bin überzeugt, dass die christliche Botschaft uns Menschen befähigt, die Gerechtigkeit zu verbreiten, nach der heute so viele Menschen dürsten. Es braucht neue Überlegungen, wie wir diese Botschaft zu den Menschen bringen. In der Enzyklika «Fides et ratio» steht bei der Nr. 2: «Unter den verschiedenen Diensten, die sie (die Kirche) der Menschheit anzubieten hat, gibt es einen, der ihre Verantwortung in ganz besonderer Weise herausstellt: den Dienst an der Wahrheit.»

Als Seelsorger kann man in der heutigen Zeit verstummen, wenn man bedenkt, dass unsere Botschaft von den Menschen als eine von vielen Wahrheiten angesehen wird und deshalb auch nicht unbedingt ausschlaggebend ist. Trotzdem ist der demütige Einsatz, der Wahrheit Christi zu dienen, auch in unserer Zeit eine grosse Hilfe für die Menschen. Dietrich Bonhoeffer hat sich dafür entschieden, weil er wusste, dass nur die Wahrheit uns wirklich frei macht. Papst Franziskus ermutigt uns zum Dienst an der Wahrheit, nicht weil wir arrogant denken, dass wir die Wahrheit besitzen, sondern da die Wahrheit selber uns umfängt (vgl. Lumen fidei, Nr. 34).

Verschiedene Dienste in der Kirche im Zusammenspiel

Einen wichtigen Gedanken für die Zusammenarbeit aller, die sich in der Kirche engagieren, sehe ich darin, dass wir alle an derselben Sendung teilhaben: der Sendung durch Christus. Wie Christus die Apostel ausgesandt hat, so sendet er auch heute Menschen, um als Arbeiter im Weinberg des Herrn zu arbeiten. Wir sind nicht Besitzer des Weinbergs des Herrn, sondern berufene und gesandte Mitarbeiter. Dieser Gedanke ist wichtig, um mit geeinten Kräften zu wirken.

Schlusswort

Ich möchte schliessen mit dem bekannten Satz: «Ich weiss nicht, wohin Gott uns führt, ich weiss nur, dass er uns führt.» Sich in der Kirche zu engagieren bedeutet für mich, gegenüber den Mitmenschen ein Zeichen der Hoffnung zu setzen, dass wir alle auf Gottes Beistand vertrauen können, der seine Schöpfung nie verlässt.

 

Martin Rohrer

Regens Martin Rohrer leitet das Priesterseminar St. Luzi des Bistums Chur.