Lieber Gott, schenke mir ein rotes Auto

Arche

Mit seinem Einwurf zur Berufungspastoral lenkt Thomas Leist das Augenmerk auf die wichtigen Aspekte im Projekt Chance Kirchenberufe.

Die Kirche kommt mir bisweilen vor wie ein Transportunternehmen, das dringend Fahrzeuge sucht für den Personentransport, aber aus traditionellen Gründen fest der Auffassung ist, dass alle seine Fahrzeuge rot sein müssen. Zehn Fahrzeuge stehen auf dem Hof und könnten längst das Transportproblem lösen, aber leider sind sie nicht rot und kommen deshalb nicht in den Einsatz.

Es ist unumstritten, dass in der pastoralen Arbeit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen. Es ist augenfällig, dass die Zahl der Priester in unserem Land in besorgniserregender Weise zurückgeht, auch wenn nicht vergessen werden darf, dass wir immer noch deutlich mehr Priester pro Katholik haben als beispielsweise der afrikanische Kontinent, dessen Priester wir dennoch zum Teil gern zum Schliessen unserer vermeintlichen Lücken in den Dienst nehmen. Das darf irritieren. Aber wie gehen wir mit der Erkenntnis in der Berufungspastoral um, dass wir zu wenig Seelsorgende haben?

chance-kirchenberufe.ch

Seit Jahren bemüht sich die Kirche, mit dem Projekt chance-kirchenberufe.ch kirchliche Berufe zu bewerben. Sie tut dies mit erfreulichem Erfolg: Die Zahl derer, die sich für einen kirchlichen Beruf interessieren und beraten lassen, steigt, und die Zahl der Theologiestudierenden konnte stabilisiert werden. Das Projekt wird in den nächsten Jahren besonders durch eine intensivere Bewirtschaftung der Social Media und deutlichere Präsenz an Ausbildungsstätten sowie Lehreinrichtungen anderer Fakultäten weitere gute Dienste leisten. Doch ist dieses Bemühen geprägt von der einen Bitte: Lieber Gott, schenke mir ein rotes Auto. Inwiefern? Dazu ein Beispiel.

Eine Kirche, die behauptet, dass ihre Quelle die Eucharistie ist und alle Menschen den Zugang zur Eucharistie an jedem Sonntag haben sollten, verbaut diesen teilweise durch ihr Festhalten am Zölibat. Es ist völlig unstrittig, dass der Zölibat ein wertvolles Geschenk in der Berufung zum Priestertum ist und eine segensreiche Lebensform darstellt. Aber nie hat die Kirche behauptet, dass nicht auch nicht zölibatär lebende Männer der Eucharistie vorstehen könnten, wie dies z. B. in den unierten Kirchen geschieht, deren Priester im Falle des ostkirchlichen Ritus sogar zum Teil in anderen Ländern in römisch-katholischen Pfarreien eingesetzt werden.

Ungleiche theologische Wertigkeit

So stehen wir bei der Eucharistie vor einem klassischen Dilemma. Wir müssten auf eine wertvolle Tradition der Kirche verzichten, um eine existenzielle Grundkonstante unseres Glaubens zu bewahren. Allerdings haben die beiden Möglichkeiten keineswegs die gleiche theologische Wertigkeit. Denn in keiner Form wird die Eucharistie als Urgrund und Quelle unseres Glaubens theologisch auf gleicher Ebene angesetzt wie die Frage der Lebensform der Priester. Überspitzt müsste man formulieren, dass die Kirche derzeit ihren Gläubigen die Eucharistie vorenthält, weil sie, vielleicht auch mit schmerzhaften Veränderungen, eine Möglichkeit hätte, diese auch dort zu feiern, wo es heute nicht möglich ist. Stattdessen hält sie fest am Aufruf zum Gebet für Priesterberufungen, also Zölibatsberufungen, gleich der Bitte: Lieber Gott, schenke mir ein rotes Auto.

Auch werden die kirchenrechtlich vorgesehenen Möglichkeiten der Beauftragung von Laien keineswegs ausgeschöpft. Hierzu zählen besonders die ausserordentlichen Beauftragungen zur Eheassistenz oder der Taufe. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bistümer der Schweiz in diesem Fall sogar unterschiedliche Wege gehen. Während im einen die Eheassistenz in Ausnahmefällen delegiert wird, bei der Taufe aber sehr zurückhaltend ist, hat ein anderes ein offizielles Taufdokument, nachdem eine im Prinzip allgemeine Taufdelegation ausgesprochen ist für Pfarreibeauftragte, die Eheassistenz aber grundsätzlich ausgeschlossen wird. Dies ist nicht nur für die Seelsorgenden, die das Bistum wechseln, verwunderlich, sondern vor allem für die Menschen, die für die Sakramentenvorbereitung anfragen.

In neuen pastoralen Aufgabenfeldern wie der pastoralen Betreuung im «Palliative Care» werden immer noch ausschliesslich Volltheologen eingesetzt, obwohl längst klar ist, dass Menschen aus Pflegeberufen mit einer verkürzten theologischen Ausbildung durchaus hilfreiche Mitarbeitende wären und den Menschen, die in ihrer letzten Lebensphase Trost und Beistand suchen, als offizielle Beauftragte der Kirche zur Seite stehen könnten.

Reduzierte Möglichkeiten

Im Zugang zu kirchlichen Berufen wird eine akademische Ausbildung verlangt, die für viele Menschen mittleren Alters, die bereits in sozialer Verantwortung zum Beispiel für eine Familie stehen, nicht mehr möglich ist. Dennoch hat sich der Zugang zur Seelsorge in den letzten zwanzig Jahren im Prinzip nicht geändert, und neue Ausbildungsformen, die den aktuellen Erfordernissen gerecht werden, sind nicht zu erkennen. Auch hier wird weiter festgehalten an Liebgewonnenem, dem die Berechtigung nicht abgesprochen werden soll, aber doch Berufungspastoral reduziert auf die Bitte: Lieber Gott, schenke mir ein rotes Auto. Wie aber könnte Berufungspastoral darüber hinausgehen und eine wirkmächtige Kraft im kirchlichen Leben werden?

Erfüllung des Auftrags verlangt mehr

Es sollte unbestritten sein, dass im zuvor Gesagten in keiner Form die Tradition der Kirche oder lehramtliche Aussagen in Frage gestellt sind, sondern Lösungsansätze beschrieben werden, die ohne Zweifel in der Kompetenz der verantwortlichen Stellen liegen. Ebenso fraglos ist die Tatsache, dass der Auftrag der Kirche deutlich mehr verlangt. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil programmatisch erklärt hat, die Kirche habe «zur Erfüllung ihres Auftrages (…) allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen» (GS 4), so heisst das, dass die Kirche nicht nur Errungenes bewahrt, sondern den Glauben fortzuschreiben hat im Wissen um ein bleibendes Offenbarungsgeschehen, in dem Gott auch heute durch die Menschen und die Welt zu uns spricht.

Eine ehrliche Berufungspastoral versucht deshalb nicht Lücken in einem System zu schliessen, sondern ist bereit, in der Wahrnehmung von Berufungen das System zu verändern. In der Berufungswirklichkeit geht der Ruf von Gott aus, und die Kirche ist mit dem und der Berufenen angehalten, zu hören. Die Berufung jeder und jedes Einzelnen wird Teil des Offenbarungsgeschehens. Sehr schön sichtbar wird dies in der Erzählung von Samuel (1 Sam 3ff). Und es ist spannend, wie oft auch Bischöfe in der Berufungspastoral und in Predigten zu Weihe und Beauftragung auf die Berufung des Samuel zu sprechen kommen. Seltsam, wenn man betrachtet, was erzählt wird: Der Priester fordert Samuel auf, auf Gott zu hören, auch wenn er selbst diesen Ruf nicht vernimmt, und er stellt auch die Botschaft, die Samuel ihm am nächsten Tag von Gott übermittelt, nicht in Frage – obwohl sie für ihn und seine Familie ein existenzielles Desaster werden wird. Stattdessen bekennt er: Es ist der Herr. Er tue, was ihm gefällt. Und genau dies wäre der Ansatz einer ehrlichen Berufungspastoral.

Es ist der Herr. Er tue, was ihm gefällt. Eine Berufungspastoral, die diese Bezeichnung verdient, kann weder hinter diesen Satz zurück noch behaupten, immer schon zu wissen, was Gott sagt oder ihm gefällt. Vielmehr ist die Kirche im Berufungsgeschehen aufgefordert, die Botschaft, die der oder die Hörende vernimmt, auch als eine Botschaft an die Kirche zu verstehen und gegebenenfalls Strukturen und Lebensformen zu verändern im Sinne von GS 4. Allerdings hat sich auch Eli nicht bewegt. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Botschaft, die Samuel erhält, in der Leseordnung am 2. Sonntag im Jahreskreis B komplett herausgetrennt ist – wir lesen die Verse 3b bis 10 und dann direkt Vers 19! – auch auf Weihen und in Beauftragungen wird man selten hören, was dazwischen steht.

Nun ist es völlig müssig, über die vielen Aspekte zur Frage der Berufung, angefangen bei der Berufung der Frauen zum Priestertum oder Geschiedenen oder Homosexuellen etc. zu sprechen, solange die Kirche sich hierbei ausschliesslich als Verkündende und nicht als Hörende versteht, eine auch auf Berufene und Gerufene Hörende. Und es ist dabei völlig unkatholisch, zu diesen Fragen plötzlich allein auf die Bibel zu verweisen (ohne diese hier auszulegen) und so das bleibende Offenbarungsgeschehen zu ignorieren. Ebenso ist es irritierend, auf die Tradition zu rekurrieren, als sei diese zu irgendeinem Zeitpunkt abgeschlossen.

Verortung der Berufungspastoral

Was ergibt sich daraus konkret für eine heutige Berufungspastoral und vor allem für ihre Verortung selbst? Wir sehen die Berufungspastoral in deutschsprachigen Bistümern angeschlossen an die Bereiche Familienpastoral, Personalgewinnung oder Jugendpastoral. Kein Bistum aber verortet sie beispielsweise in einem Referat für Theologische Grundsatzfragen. Und auch das eingangs angesprochene Projekt chance-kirchenberufe.ch, welches von der Deutschsprachigen Ordinarienkonferenz (DOK) ins Leben gerufen wurde, ist weit davon entfernt, ein dialogisches Projekt zu sein, welches auch Rückwirkung auf kirchliche Strukturen hat – und wenn es nur Berufsbilder und Ausbildungswege beträfe. So ist das Fazit zum Status quo der Berufungspastoral kurz zu fassen: Eine wahre Berufungspastoral beginnt dort, wo wir nicht Zahlen und Fakten analysieren oder einen Mangel definieren, sondern das gemeinsame Ringen um Berufungen beginnen mit dem Lied KG 567: Herr, gib uns Mut zum Hören auf das, was du uns sagst. Wir danken dir, dass du es mit uns wagst.

 

Thomas Leist

Thomas Leist

Thomas Leist leitet die Fachstelle Information Kirchliche Berufe IKB.