Mein Alltagsverhalten ist quantifizierbar geworden. Ob beim Einkaufen, beim Fahren mit dem ÖV, beim Vermitteln von Kontakten: Überall kann ich Punkte sammeln. Mit Vergünstigungen, Geschenken, Prämien wird im Grunde wohl nicht mein Konsumieren an sich belohnt, sondern die Bereitschaft, dabei meine Daten preiszugeben. Diese entpuppen sich als wahre Schätze auf Erden, zumal aus ihrer Analyse Geld gemacht werden kann. Es ist ein Geben und Nehmen; für eine Leistung darf eine Gegenleistung erwartet werden. Was nach irdischer Logik klingt, ist seit jeher auch ein himmlisches Phänomen: Archaische Opferrituale funktionieren gemäss dem Schema «do ut des» (ich gebe, damit du gibst). In der mittelalterlichen Frömmigkeitspraxis dringt dieses Denken verstärkt ins christliche Bewusstsein. Der im Himmel zu erwartende Schatz misst sich demzufolge an den zählbaren irdischen Werken. Gezählt wird von Gott höchstpersönlich, wobei es sich anbietet, selbst mitzuzählen, um den Überblick über die eigene Bilanz zu behalten (und böse Überraschungen möglichst zu vermeiden). Das Gottesbild eines Buchhalters, der minutiös Buch führt über meine Taten, ist nicht weniger problematisch als die Belohnung (oder Bestrafung?) meines Konsumverhaltens mittels Punktvergabe (oder Punktentzug – etwa wenn ich meine Punkte zu lange nicht verwerte). Abgesehen von der dualistischen Betrachtung, die zwangsläufig mitschwingt, wenn ich vor Gott (gut – schlecht) oder auf dem Markt (richtig – falsch) punkten will, bleibt der Blick dabei auf mich beschränkt.
Himmlische und vermutlich manch irdische Schätze lassen sich dagegen eher erahnen, wo eine andere Dynamik Raum bekommt: Mein Tun und Lassen ist mehr als individuelles Punktesammeln; es vermag andere ins Spiel zu nehmen, ihnen den Ball zuzuspielen. Ich erinnere mich an die Punktebilder aus der Kindheit: Erst wenn alle Punkte in einer bestimmten Reihenfolge mit dem Bleistift verbunden werden, kommt ein Bild zum Vorschein. Am Ende zählt nicht die Summe der Punkte, sondern das bisher Verborgene, das in ihrer Verbindung sichtbar wird.
Isabelle Senn