SKZ: Was zeichnet den modernen Kirchenbau aus?
Johannes Stückelberger*: Der moderne Kirchenbau nach 1950 hat sich in verschiedener Weise vom traditionellen Kirchenbau abgegrenzt. Zunächst in der Art der Gestaltung. Er orientierte sich am modernen Bauen. Man wollte modern sein, was die Verwendung von Materialien und deren Möglichkeiten der Gestaltung betrifft. Das dominierende Baumaterial wurde in den 1960er-Jahren der Beton, der Formen erlaubt, die im traditionellen Backstein- oder Stahlbau so nicht möglich sind. Eine weitere Erneuerung betrifft die Kirche als liturgischem Raum. Der Gedanke der «Participatio actuosa» führte zu einer Raumform, die diese aktive Teilnahme zum Ausdruck bringen soll. Der Zentralbau mit der Altarinsel mehr oder weniger in der Mitte der kreisförmig angeordneten Bänke wird zur bevorzugten Raumform.
Neben dem Beton fand auch Holz Verwendung.
Ich würde in diesen beiden unterschiedlichen Materialien auch zwei unterschiedliche Konzepte erkennen wollen. Das eine Konzept ist das einer massiven, fast burgähnlichen z. T. auch höhlenartigen, in Stein gehauenen Kirche, die eine gewisse Monumentalität verkörpert. Das andere Modell ist die Kirche als Wohnstube. Dahinter stecken unterschiedliche Kirchenbilder. Bei den monumentalen Kirchen ist es eine Ausrichtung auf ein unverfügbares Gegenüber, die auch in Gestaltungselementen wie beispielsweise indirektem Licht zum Ausdruck kommt. Den Holzkirchen liegt ein Kirchenbild zugrunde, das von der Gemeinschaft ausgeht. Die Gemeinde, die sich quasi wie in der Wohnstube zum Feiern trifft. Die Mehrheit der modernen Kirchenbauten entspricht dem zweiten Typus. Also der Kirche als Haus der Gemeinde, weniger als Haus Gottes. Oft wurden deshalb auch Kirchgemeindezentren gebaut, die eine Vielzahl von Räumen umfassen, die die Vielfalt des kirchlichen Lebens spiegelt.
Die modernen Kirchen zeichnen sich oft durch Einfachheit aus.
Für dieses Phänomen der Schlichtheit gibt es verschiedene Erklärungen. Ein Grund ist die Reduktion, die wir allgemein in der Architektur der Nachkriegszeit finden. In der Literatur der Zeit findet man aber auch theologische Argumente, die daran erinnern, dass die Kirche nach dem Krieg, in dem sie auch Schuld auf sich geladen hat, nicht mehr mit der gleichen Repräsentanz auftreten kann. Die Kirche soll bescheidener werden, soll von ihrem Selbstverständnis als Staatskirche wegkommen. Von grossen Kathedralen und prunkvollen Ausstattungen wird auch in kirchlichen Dokumenten abgeraten. Es gibt auch das Stichwort der Armut. Die Kirche soll wieder stärker dem Armutsideal folgen und deshalb dieses Prunkgebaren aufgeben. Gleichzeitig wird aber Wert daraufgelegt, dass die notwendige Ausstattung des liturgischen Raums wie Altar, Ambo, Taufstein usw. sowie die liturgischen Geräte von höchster Qualität sein sollen.
Bei Umnutzungen von Kirchenbauten hat man schnell moderne Kirchen im Blick.
Ich stelle fest, dass in der Umnutzungsthematik die modernen Kirchen nicht in der Überzahl sind. Ich glaube sogar festzustellen, dass man aktuell verstärkt das Potenzial der modernen Kirchen erkennt. Auch vonseiten der Denkmalpflege wird viel unternommen, ein Verständnis des modernen Bauens zu fördern. Dazu kommt, dass immer öfters auch neue Kirchen unter Schutz gestellt werden. Besonders die Kirchgemeindezentren haben ein grosses Potenzial, denn das heutige kirchliche Leben entwickelt sich in eine Richtung, die sich durch eine Diversifizierung auszeichnet. Kirche ist immer weniger nur der Sonntagsgottesdienst, sondern Kirche holt ihre Mitglieder auf ganz verschiedenen Ebenen durch ganz verschiedene Angebote ab. Eine Diversifizierung findet auch bei der Umnutzung statt: Es werden nichtkirchliche Organisationen mit ins Boot geholt, mit denen man die Nutzung der kirchlichen Gebäude teilt. So bedeutet Umnutzung heute in der Regel nicht Abriss, Verkauf oder die Vermietung der Kirche als Ganzes. Die Regel ist eine sogenannte erweiterte Nutzung oder Zusammennutzung. So ist man weiterhin am Standort als Kirche präsent.
Interview: Rosmarie Schärer