Politik, Kultur und Religion

Spannungsfelder und Herausforderungen

Gewalttätige Proteste gegen einen lächerlich schlechten Film belegen, was religiöse Fundamentalisten anrichten können. Voraussetzung für ihren «Erfolg» sind explosive Gemengelagen von Politik und Religion. Solche Gewaltausbrüche sind über das Tagesgeschehen hinaus eine Herausforderung zum kontinuierlichen Umgang mit diesen Spannungsfeldern. Anlass zu solchen Reflexionen bot Ende August 2012 die «Fête KultuRel» des Hauses der Religionen in Bern. Konrad Specker, Leiter Abteilung Institutionelle Partnerschaften bei der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit), stellte in seinem Referat die Verbindung zwischen dem Haus der Religionen und den Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit her. Wir fassen hier seine Leitideen zusammen.

Einleitung

Das Berner Haus der Religionen ist zurzeit noch eine Baustelle. Menschen aus verschiedenen Religionen sollen dort ihre Traditionen und Riten feiern können, und gleichzeitig soll es ihnen ermöglicht werden, ihre Werte und Bräuche an veränderte Gegebenheiten anzupassen und im Austausch mit anderen ihre Identität neu zu verstehen. In diesem offenen Haus soll erfahrbar werden, dass Kulturen und Religionen vitale Teile unserer gesellschaftlichen Realität sind. Das Haus der DEZA in seiner unmittelbaren Nachbarschaft hingegen ist ein nüchternes Bürogebäude. Hinein kommt man nur durch eine Sicherheitsschleuse. Obwohl rein äusserlich gesehen die Unterschiede gross sind, gibt es doch viel Verbindendes zwischen den beiden Häusern. Die Grundsätze des Hauses der Religionen, nämlich Respekt statt Misstrauen, Interesse statt Abgrenzung von Andersartigen, Verstehen statt Ignoranz, gehören auch zu den Prinzipien der Entwicklungszusammenarbeit. Ob hier in der Schweiz, ob in der Entwicklungszusammenarbeit, immer muss es darum gehen, besser zu verstehen, wie religiöse Vorstellungen und Institutionen die Gesellschaften beeinflussen. Sie können menschliche und gesellschaftliche Entwicklung fördern, aber auch hemmen oder gar bedrohen. Darum sind wir mit Fragen konfrontiert, wie mit der Ambivalenz des Religiösen in Politik und Gesellschaft umzugehen ist.

Staat, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften in der Schweiz

Die Globalisierung mischt auch bei uns Menschen mit ihren unterschiedlichen Kulturen und Religionen durcheinander. Während bis vor noch nicht allzu langer Zeit die katholischen und reformierten Landeskirchen die religiöse Landschaft prägten, rücken heute Moscheen, hinduistische und buddhistische Tempel und Versammlungsorte afrikanischer Christengemeinden ins Blickfeld Diese Veränderungen provozieren Abwehrreaktionen. Schweizerinnen und Schweizer, die längst keine Kirchgänger mehr sind, betonen ihre «christliche Kultur», um sie als Ausgrenzungsfaktor zu benutzen. Diese Situation zwingt uns, über grundlegende Prinzipien unseres Rechtsstaates erneut nachzudenken, denn die Prinzipien unseres liberalen Rechtsstaates müssen sich auch im Zusammenleben mit neuen Minderheiten bewähren. Unsere Verfassung gewährt allen Religionsgemeinschaften den gleichen Freiraum. Jeder Mensch darf in diesem Land ein religiöses Leben führen, sich in der Öffentlichkeit religiös äussern und religiöse Argumente benützen – aber gleichzeitig ist auch die Loyalität zu den Grundsätzen unserer Verfassung gefordert.

Einsichten aus der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit

Die Überlegungen zum Umgang mit Potenzialen und Risiken religiöser Einflüsse sollen nun mit Illustrationen aus der Geschichte und der heutigen Praxis der Entwicklungszusammenarbeit weitergeführt werden. Als die Schweiz Anfang der 1960er-Jahre mit dem «Dienst für technische Zusammenarbeit» die staatliche Entwicklungszusammenarbeit gründete, gehörten Missionsgesellschaften mit ihrer Praxiserfahrung und lokalen Verankerung zu den ersten Partnern. In den 1990er-Jahren begann auch die internationale Entwicklungspolitik unter Führung der Weltbank, die Potenziale religiöser Organisationen mit ihrer lokalen Verankerung anzuerkennen. Die Betonung der Potenziale der sogenannten «Faith Based Organizations» darf aber nicht heissen, dass spezifische Versuchungen ausgeblendet werden. Der Philosoph Immanuel Kant hat festgestellt, auf jeder religiösen Institution laste «eine Art von Erbschuld, nämlich der Hang zur eigenen Verabsolutierung».1 Von diesen Versuchungen sind religiöse Entwicklungsorganisationen nicht ausgenommen, denn es ist eine Tatsache, dass Entwicklungsprogramme für religiöse, proselytische und politische Absichten instrumentalisiert werden.

Diesen Versuchungen gegenüber kann das Recht auf Religionsfreiheit nicht eindringlich genug betont werden. Das Recht zur Ausübung der eigenen Religion erlaubt nicht den kleinsten Eingriff in die Rechte und Freiheit anderer. Von Armut betroffene und in Abhängigkeitsverhältnissen lebende Menschen sind Bekehrungsmissionen ausgeliefert und damit in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt. Entwicklungszusammenarbeit und Bekehrungsmission dürfen darum nicht vermischt werden. Ein schwerwiegendes Problem ist auch die Konkurrenz zwischen christlichen Konfessionen in den Entwicklungsländern. Mit dem Boom der charismatischen Frömmigkeitsbewegungen geht oft aggressive Mitgliederwerbung einher. Von religiösen Entwicklungsorganisationen ist verlässliche Auskunft einzufordern, ob ihre Partner in den lokalen Kirchen vor Ort sich über ihre Eigeninteressen hinaus für soziale Veränderungen in den jeweiligen Gesellschaften einsetzen. «Bridging» oder «Bonding » – gesellschaftlich verbinden oder für die eigene Glaubensgemeinschaft vereinnahmen, das ist die entscheidende Frage. Diese Beispiele stellen uns vor die Grundsatzfrage, wie in der Entwicklungszusammenarbeit mit «faith based»-Organisationen umgegangen werden soll. Sie bilden für die DEZA keine Sonderkategorie, sondern der Referenzrahmen für die Zusammenarbeit gilt unterschiedslos für säkulare und religiöse Organisationen. Zentral sind die Achtung der demokratischen Grundsätze und der Menschenrechte, die Anerkennung und Respektierung kultureller und religiöser Vielfalt und die Methoden des Qualitätsmanagements. Ambivalenzen und Interessen müssen offen angegangen und thematisiert werden. Potenziale dürfen den Blick für die Risiken nicht blenden und umgekehrt.

Gewalt im Namen der Religion

Die von Kant diagnostizierte Erblast religiöser Gemeinschaften und ihrer Institutionen, ihren Glauben als den einzig wahren zu verabsolutieren, kann dazu führen, dass die Anwendung von Gewalt im Namen des Glaubens gerechtfertigt wird. Gleichzeitig gibt es aber in allen Religionen auch Quellen und Kräfte, die verkünden, dass Gewalt und Glauben einander ausschliessen. Glaubensgemeinschaften können als «Friedensengel» wie als «Kriegstreiber» wirken. Statt anzuerkennen, dass diese Ambivalenz unaufhebbar in allen Religionen angelegt ist, besteht leider gegenwärtig die verhängnisvolle Tendenz, mit Pauschalurteilen Religionen und die von ihnen geprägten Kulturen in Kategorien von «friedlich» und «kriegerisch» einzuteilen.

Wo immer Religion für Konflikte und Kriege instrumentalisiert wird, muss hartnäckig gefragt werden, was die Ursachen dieses Konflikts mit Religion zu tun haben. Aus Fallstudien geht hervor, dass Gewaltkonflikte in den meisten Fällen nicht durch religiöse Ideen ausgelöst werden. Die Ursachen sind vielmehr in gravierenden sozialen, politischen und geostrategischen Interessenskonflikten zu finden. An einem bestimmten Punkt eines Konflikts, und zwar in der Regel in Zeiten der Enttäuschung und Verzweiflung, wird politischer Kampf religiös verbrämt, gleichsam «religionisiert». Was als weltlicher Kampf begann, bekommt nun die Aura eines heiligen Konflikts. Religion ist aber meistens nicht die Brandursache, sondern Religion wird mit machtpolitischen Absichten als Brandbeschleuniger benützt.

Folgerungen

Gefordert sind alle Akteure – die säkularen ebenso wie die religiösen Organisationen, die staatlichen wie die privaten. Sie sollten sich darauf einlassen, von der Ambivalenz des Religiösen als Tatsache auszugehen, und sich bemühen, in ihren Tätigkeitsfeldern dessen Potenziale ebenso wie die Risiken der Instrumentalisierung zu erkennen. In der Entwicklungszusammenarbeit haben wir gelernt, dass es für die Verwirklichung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten keine Einheitsrezepte gibt. In jedem Kontext braucht es den Dialog zwischen Partnern mit unterschiedlichen Interessen, um konstruktive Prozesse der gesellschaftlichen Entwicklung zu fördern. Entscheidend sind das genaue analytische Hinschauen von Fall zu Fall und die Anstrengungen, Transparenz und damit Raum für öffentlichen Diskurs zu schaffen. Dabei ist es wichtig, ein Umfeld nie ausschliesslich durch die Brille namens «Religion» zu analysieren. Soziale und wirtschaftliche Fragen, Beziehungen zwischen den Geschlechtern, ethnische und politische Spannungen müssen ebenso Themen der Analyse sein. Das Haus der Religionen ist ein wichtiger «Lernort» – zukünftig in der Nachbarschaft eines andern Lernorts namens DEZA. Die Autobahnbrücke zwischen den beiden Häusern mag einen grossen Schatten werfen. Dieser Schatten aber wird unbedeutend, wenn wir die Brückensymbolik dieses Bauwerkes – und nicht jene des kalten Betons – in den Vordergrund stellen. Das Brückenschlagen gehört zum Kern unserer beiden Häuser!

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Religion und Entwicklung

Das Referat von Konrad Specker beruht auf den Erkenntnissen aus dem von Anne-Marie Holenstein im Auftrag der DEZA geleiteten Reflexions- und Analyseprozesses zwischen der DEZA und Schweizerischen NGO der Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Religion und Entwicklung. Siehe dazu: Anne-Marie Holenstein: Religionen – Potential oder Gefahr? Religion und Spiritualität in Theorie und Praxis der Entwicklungszusammenarbeit (= Religionsrecht im Dialog Bd. 9). (LIT Verlag) Wien-Berlin 2010. Das Haus der Religionen gab Ende November 2012 einen Sammelband zu seiner 10-jährigen Geschichte heraus, wo die ausführliche Fassung des Referats von Konrad Specker enthalten ist (Konrad Specker: Auf gute Nachbarschaft – Lokale und globale Herausforderungen, in: Hartmut Haas [Red.]: «gegenwärtig – noch nicht fertig». Haus der Religionen – Dialog der Kulturen. [Edition Haus der Religionen] Bern 2012, 199–214).

1 Zitiert nach: Adrian Loretan: Religionen im Kontext der Menschenrechte. Religionsrechtliche Studien. Teil 1 Zürich, 2010, 33.

Anne-Marie Holenstein

Dr. phil., Dr. theol. h. c. Anne-Marie Holenstein studierte Germanistik und Romanistik und ist heute Publizistin und Fachfrau für Entwicklungszusammenarbeit. Sie leitete das Projekt der DEZA «Entwicklung und Religion».