Nachhaltigkeit

Ein Prinzip und seine Tragweite in Kirche und Gesellschaft

Dem «Prinzip Nachhaltigkeit» kommt im heutigen gesellschaftlichen Diskurs besondere Aufmerksamkeit zu, geht es doch dabei um die Frage, wie wir heute verantwortungsvoll gegenüber kommenden Generationen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Wachstum gestalten können. Nicht nur die politische Agenda, sondern ebenso das Alltagsleben ist betroffen: Wie mobil wollen wir sein und mit welchen Mitteln? Aus welchen Ressourcen wird die Energie gewonnen? Gehen wir schonend mit Rohstoffen und Ressourcen um? Wollen wir weiterhin mit Megastädten die Erde bebauen? Die Theologische Fakultät der Universität Freiburg befasste sich in ihrer öffentlichen Vortragsreihe im Herbst 2012 zum Thema «Prinzip Nachhaltigkeit » mit diesen Fragen. An vier Abenden beleuchteten je zwei Referenten einen Aspekt der Thematik; die interdisziplinäre Herangehensweise und die Diskussion waren ein grosser Gewinn für alle Teilnehmer.

Nachhaltigkeit aus biblischer Sicht

Das «World Bible Project» des «Earth Bible Team» aus Australien wurde von Prof. Hans Ulrich Steymans (Freiburg) zum Einstieg in die Vortragsreihe vorgestellt, um aufzuzeigen, dass es eine ökologische Leseweise der Bibeltexte gibt. Diese kann helfen, die eigene «kulturelle Brille» abzulegen und den Genesis-Bericht aus einer anderen Perspektive zu betrachten: Die inzwischen üblich gewordene anthropozentrische und patriarchale Deutung («Macht euch die Erde untertan!») hat zu einer Entwertung der Erde geführt. Dabei könne, so Steymans, im Text auch eine «Stimme» der Erde selbst gelesen werden; die Erde wäre demnach integral in den Schöpfungsprozess eingebunden gewesen: «Und die Erde brachte Gras hervor …» (Gen 1,11 f.). Das Plädoyer von Prof. Steymans wurde deutlich: Anthropozentrismus ist Egoismus; wo eine Konzentration auf den Menschen als Mittelpunkt der Schöpfung stattfindet, dreht sich sehr schnell nur noch alles um ihn, mit allen Folgen, die das mit sich bringt.

Theologische Grundlegung der Verantwortung des Menschen

Frieden in Gerechtigkeit für die ganze Schöpfung – nur ein Wunsch? Prof. Barbara Hallensleben (Freiburg) ging in ihrem Referat der Frage nach, was die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung aus theologischer Sicht bedeutet und wie das Prinzip Nachhaltigkeit in jüngerer Zeit Eingang gefunden hat in das Bewusstsein der Kirche. Nachhaltigkeit ist jedoch zunächst ein ökonomischer Begriff (oikos, nomos = Gesetz des Hauses); in der Antike war nachhaltiges Wirtschaften – auch mittels Sklaven – notwendig, um das Alltagsleben zu bewältigen. In der Moderne fand eine Veränderung statt, da «oikos» nun im globalen Horizont gelesen werden musste: «Macht euch die Erde untertan!» im Sinne der Selbsterhaltung (individuell und kollektiv) wurde zum Schlüsselprinzip der Neuzeit, und der Gedanke der Konkurrenz wurde für den Einzelnen in der Gesellschaft von Bedeutung.

Das spezifisch theologische Konzept der Nachhaltigkeit

Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Ausbeutung der Ressourcen der Erde, der wachsenden Umweltverschmutzung, der ungerechten Verteilung der Güter und mangelnden Entwicklung zeigten sich spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts die «Grenzen des Wachstums». Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung erhielt im heutigen Kontext seine Bedeutung durch den Brundtland-Bericht «Our Common Future» aus dem Jahr 1987. So wurde die wirtschaftliche Entwicklung mit ökologischer Rücksicht und unter dem sozialen Aspekt des Mitdenkens mit den Armen und mit den kommenden Generationen zu einem Leitgedanken. Von kirchlicher Seite geht es dabei um den konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Die Europäische Ökumenische Versammlung in Basel im Jahr 1989 griff das Thema «Frieden in Gerechtigkeit » auf. Im Zuge dieser Versammlung wurde gefordert, die Ökonomie im Horizont der Heilsökonomie zu sehen: Gott ist Eigentümer der Schöpfung, und diese ist zu seiner Ehre bestimmt. Konkrete Reformvorschläge entsprangen den Beratungen, so etwa die Forderung eines neuen, den Umständen angepassten Lebensstils. Weitere Versammlungen in späteren Jahren griffen im Kontext der politischen und globalen Entwicklungen auf je eigene Weise die Thematik wieder auf. Bei alledem liegt ein entscheidender Unterschied der theologischen Sicht darin, dass diese von der grundsätzlichen Hinordnung der ganzen Schöpfung auf Gott ausgeht. Zudem rechnet sie mit der Vergänglichkeit allen irdischen Lebens und richtet zugleich den Blick auf das ewige Leben. Doch enthebt diese Sicht des Glaubens nicht der Verantwortung der Weltgestaltung im Jetzt und Heute, denn schliesslich sind es gegenwärtige Strukturen, die Menschen benachteiligen und ökologische Schäden anrichten.

Plädoyer für eine Sabbat-Spiritualität

Angesichts der inzwischen globalen Bedrohungslage scheint, so gab Prof. Steymans zu bedenken, notwendig, an die jüdische Sabbat-Spiritualität zu erinnern, die im Christentum in veränderter Weise auf den Sonntag bezogen weiterwirkt. Den Sabbat zu halten, bedeutet für den Juden, einen Tag lang nichts zu tun, sondern sich als verdankt zu erfahren; es ist ein demütiges Bekenntnis, dass nicht alles machbar oder kaufbar ist und nicht alles im Kosten-Nutzen- Kalkül betrachtet werden kann. Der Anthropozentrismus kann sich mit der Sabbat-/Sonntag-Spiritualität zum Theozentrismus wandeln: Der Schöpfungsbericht in Gen 1 mündet im Sabbat und damit im gottgewollten Tag der Ruhe. So auch der Sonntag, der zudem den Blick eschatologisch auf die Ewigkeit richtet. Eine Sabbat-/Sonntag-Spiritualität bewirkt einen schöpfungsgemässen Lebensstil. Mit Blick auf Jesus Christus und seinen Kreuzestod bleibt zudem zu sagen: Erlösung von Unrecht und allem Bösen geschieht nicht einfach durch uns Menschen, jedoch ermutigt das Stehen in der Nachfolge Christi dazu, die Schöpfung und die Geschöpfe voll Liebe zu betrachten und Zerstörung zu verhindern.

Nachhaltigkeit geschichtsphilosophisch und aktuell

Die theologische Perspektive allein reicht bei der Suche nach einem gesellschaftsfähigen Konsens in der Nachhaltigkeitsdebatte nicht aus. Es braucht einen historischen und philosophischen Blick darauf. Nachhaltigkeit als Konzept entspringt der Forstwirtschaft: Ein abgeholzter Wald kann nicht mehr genutzt werden; es ist ein nachhaltiger Umgang gefordert, eine Ausgewogenheit zwischen dem Eingreifen des Menschen in den Baumbestand und dem natürlichen Wachstum. Doch scheint seit der Industrialisierung Europas im 19./20. Jahrhundert eine Veränderung im Verständnis der Natur eingesetzt zu haben. Oder sogar noch früher? Prof. Hans Dieter Mutschler (Zürich/Krakau) ging dem geschichtsphilosophischen Aspekt des Themas Nachhaltigkeit nach und zeigte auf, dass die fortschreitende Technisierung in der Neuzeit und Moderne zu einem Ende der Natur im ursprünglichen Sinne geführt habe. Aristoteles kannte noch die intrinsische Werthaftigkeit der Natur, die nach und nach aus dem Bewusstsein verschwand. Der Anthropozentrismus und damit eine Defokussierung weg von der Werthaftigkeit der Natur an sich hin zur Perspektive der Weltgestaltung rein nach den Bedürfnissen des Menschen setzte ein. Wenn Dieter Birnbacher den Einwand bringt, dass der Mensch ein «ästhetisches Interesse» an der Natur habe, so steht dahinter erneut eine anthropozentrische Sicht: der Mensch und seine Interessen – und seien diese auch «ästhetisch». Ebenso ist die heute anzutreffende Wiederkehr einer Art «Naturfrömmigkeit» eher romantisch denn realistisch und in einer Massengesellschaft kaum umsetzbar. Gefordert ist vielmehr ein erneuter Respekt vor der Natur (auch der menschlichen und damit leiblichen) um ihrer selbst willen. Im Kern steht dabei die Frage, so Mutschler: Wie wollen wir leben? Der kollektive Umgang mit der Natur muss geklärt werden, und auch eine säkulare Philosophie muss eine Antwort dafür bereithalten. Ein Versuch kann darin liegen, dass sich die Menschheit allein schon aus gattungsegoistischen Gründen der biologischen Selbsterhaltung der Spezies «Mensch» für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur einsetzt. Reicht das allein aber schon aus, um von einem «guten Leben» zu sprechen?

Die Ökologie des Menschen

Von der «Ökologie des Menschen» sprach Papst Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag im Jahr 2011, die Prof. Mariano Delgado (Freiburg) zu Beginn seines Referates vorgestellt hat. Es wurde deutlich, dass der Papst die Bedeutung der Ökologie mit der Forderung nach der Rückgewinnung der Anerkennung des Naturrechts und damit der «Natur des Menschen an sich» verband. Jedoch ist Vorsicht geboten bei einem Natur-Begriff in äquivoker Verwendung wie in der Papst-Rede, so der Einwand von Prof. Mutschler: Die Dinge der Natur (Vögel, Bäume … als Gegenstand der Ökologie) dürfen nicht verwechselt werden mit der Natur der Dinge (dem Wesen). Als eine Reaktion auf die Erkenntnis der «Grenzen des Wachstums» seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts stellte Prof. Delgado den Vorwurf von Carl Amery vor, der das Christentum und sein Verständnis des Menschen als «Krone der Schöpfung» als einen Hauptgrund für den desolaten Zustand der Erde benennt. Ein Umdenken ist gefordert. Ist eine kollektive Askese notwendig, um das Anliegen der nachhaltigen Entwicklung voranzubringen? Wenn man Askese als schonenden und rücksichtsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen und als Zurückschrauben des Lebensstandards versteht, so Delgado, dann sei dies ein guter Weg zu einem Mehr an Nachhaltigkeit. Dabei gilt es, aus der Perspektive des Glaubens, die Unvollkommenheit der Welt anzunehmen und sich dennoch dafür einzusetzen, dass andere, weniger entwickelte Länder ihre Chance auf Entwicklung erhalten. Eine Kritik am globalen Wirtschaftssystem ist demnach angebracht.

Nachhaltigkeit aus Sicht der theologischen und philosophischen Ethik

Das Thema Nachhaltigkeit ist engstens verbunden mit Fragen des menschlichen Handelns und dessen Auswirkungen auf gegenwärtige und künftigeGenerationen; es geht um Fragen der Ethik. Prof. Andreas Brenner (Basel) ging der Frage nach, welcher philosophische Ansatz sich für die Nachhaltigkeitsdebatte eignet. Dabei fiel das Urteil für den Utilitarismus sehr schlecht aus, setzt dieser sich doch in seiner fortentwickelten Form (J. S. Mill) für eine Wohlstandsmehrung ein, die das grösste Glück für die grösste Anzahl an Menschen wünscht. Dabei sind die Wohlstandsgewinne reale Gewinne, die Wohlstandsgefahren jedoch nur potenzielle Gefahren. Was das bedeutet, wird kaum so sehr deutlich wie bei der Frage des Einsatzes der Atomenergie: Der billigen Energiequelle stehen erhebliche Gefahren der radioaktiven Gefährdung gegenüber. Diese werden aus der Sicht des Utilitarismus jedoch strukturell ausgeblendet, da der Fokus auf dem Nutzen in der Gegenwart liegt. Sehr positiv kann das «Prinzip Verantwortung» von Hans Jonas bewertet werden, der damit einen bedeutsamen Anstoss für die moderne Umweltethik gegeben hat. Seiner Kritik an der «anthropozentrischen» Ethik à la Kant steht eine erneute Suche nach der Verantwortung vor der Natur entgegen. Jonas plädiert darüber hinaus für eine Heuristik der Furcht und macht die «emotionale Erträglichkeit » des Handelns zum Massstab: Der Blick in die Zukunft und auf negative Prognosen soll dazu führen, Verantwortung im Heute zu übernehmen. Die philosophische Sicht wurde von PD Christina Aus der Au (Basel) durch die Sicht der theologischen Ethik ergänzt. Sie wies darauf hin, dass zur Vernunft der Aspekt der Wahrnehmung treten muss, um zu einem ethisch korrekten Handeln zu gelangen. Martin Luther sah die Sünde darin, dass der Mensch in sich selbst gekrümmt ist und nur auf sich blickt. Der Blick des Menschen von sich selbst weg hin auf den Anderen gerichtet verändert die Wahrnehmung: Es geht um eine Einübung in die Achtsamkeit und darum, sich vom Heiligen Geist bestimmen zu lassen, um die Not der Zeit zu erkennen und zu handeln.

Energieversorgung der Zukunft in der Schweiz

Am Abschlussabend ging es besonders um die praktische Seite einer nachhaltig gestalteten Energieversorgung in der Schweiz. Ist diese möglich und in welchem Zeithorizont? Was bedeutet die Umstellung der Energieversorgung konkret? Dr. Eduard Kiener, ehemaliger Leiter des Bundesamtes für Energie, beleuchtete vor dem Hintergrund seines Fachwissens die technischen Fragen dieses Anliegens. Nachhaltige Energieversorgung zu betreiben, bedeutet, wirtschaftliche, ökologische und soziale Faktoren zu berücksichtigen. Immerhin: 80 Prozent der weltweiten Energie werden derzeit aus fossilen Energieträgern gewonnen – mit allen Begleiterscheinungen und Folgeschäden für jetzige und künftige Generationen (Klimawandel, Luftverschmutzung). Deutlich wurde: Mittelfristig führt kein Weg an einem Mix verschiedener Energiequellen vorbei, jedoch wäre es falsch, allzu sehr auf fossile Energien zu setzen. Zudem muss vorhandene Energie effizienter eingesetzt werden. Dies bedeutet zugleich eine Anfrage an die Gesellschaft. Denn auf Energie zu verzichten, bedeutet, Gewohnheiten zu ändern und Bedürfnisse zu überprüfen. Durch die Weiterentwicklung vorhandener Technologien wird der Wandel in der Energieversorgung unterstützt. Thomas Gröbly, Dozent in angewandter Ethik und Leiter des Ethik-Labors, fuhr fort, die Bedeutung des gesellschaftlich getragenen Sinneswandels zu betrachten, der mit einer nachhaltigen Energieversorgung verbunden ist. Er zeigte auf, welchen Widerspruch die Gesellschaft duldet: Grosse Autos sind noch immer geachtet; der Klimawandel jedoch geächtet. Eine tiefgreifende Sinnesänderung wäre es, würde man mit dem Weniger zufrieden sein. Es ist eine Infragestellung der Wachstumslogik, die unsere Gesellschaft (Wirtschaft!) beherrscht. Dabei kann sich niemand dem System ganz entziehen. Jedoch kann jeder Einzelne dazu beitragen, dass sich etwas verändert, indem er selbst sein Verhalten verändert. Der Wertevermittlung kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Ein wichtiger Aspekt ist zudem die Raumnutzung: Lange Anfahrtswege fallen weg, wenn man näher am Arbeitsort wohnt. Das Projekt «Neustart Schweiz» geht in diese Richtung.

Die Vortragsreihe hat bekannte Einsichten zum Thema Nachhaltigkeit vertieft und neue Einsichten ins Bewusstsein gerufen: Das ökologische, soziale und auch wirtschaftliche Anliegen des Nachhaltigkeitsgedankens verbindet in der heutigen Zeit viele wissenschaftliche Disziplinen und bewegt die Gemüter aus den verschiedenen Sparten der Gesellschaft und Politik. Es bleibt zu hoffen, dass die Menschheit heute die Zeichen der Zeit versteht, um nicht selbstverschuldet am Niedergang der vorzüglichen Lebensbedingungen für das Miteinander von Menschen, Tier- und Pflanzenwelt auf dem Planeten Erde mitzuwirken.

 

Thomas Fries

Dr. theol. Thomas Fries ist wissenschaftlicher Mitarbeiter mehrerer Forschungsprojekte an der Universität Zürich und Referent zu Spiritual Care, Spitalseelsorger und Mediator.